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5 | Der Ordner

Achter Eintrag im KleinDicken

Der Fehlerfreie blieb gefasst. »Es liegt an der Umgebung. Sie haben recht. Sie hatten aber nach Fehlern der Vergangenheit gefragt!«

Das klang wie eine Entschuldigung und sie stimmte mich versöhnlich.

»Das ist richtig. Und wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie also jetzt, bedingt durch mein erhellendes Interview, einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit gezogen.«

»Sagen Sie mal, wie kommen Sie dazu, mein Leben einzuteilen?«

Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben, und schaltete in den Ton des inneren Oberlehrers.

»Hm, ja, Sie sind ein ordentlicher Mensch. Ihre Serviette schaut übrigens aus Ihrer Hosentasche heraus. Ich denke, dass ein ordentlicher Mensch dankbar für jede Einteilungshilfe ist!«

Zu meinem Erstaunen wurde der Oberlehrer angenommen und sorgte für Nachfragebedarf.

»Gut zu wissen. Und in welchem Lebensabschnitt befinde ich mich also Ihrer Meinung nach?«

»Na ja, Sie haben unter Ihren fehlerfreien Lebensabschnitt einen Schlussstrich gezogen. Demnach befinden Sie sich in der kritischen, fehlerbehafteten Ära Ihres Lebens, sozusagen.«

Das war mehr als lehrerhaft. So schaute er prüfend in mein Augenpaar, zog gestisch überbetont die Papierserviette hervor, rollte sie zu einer fiktiven Zigarette, hielt sie zwischen Zeige- und Mittelfinger und wies mit ihr auf einen langnasigen, kalkweißen Stelzenmann, der seine einzelnen Gliedmaßen wohl zu einer Kunstfigur arrangieren wollte.

»Wie ist Ihr Name überhaupt?«

»Der der Kunstfigur?«, fragte ich.

»Nicht der«, antwortete er mir. »Der Ihrige!« Jetzt erst schaltete ich. »Sie lesen meine Gedanken?«

»Ich empfange sie, so ich es will. Und bevor Sie mir jetzt das Du anbieten, denn das würden Sie gleich tun, sage ich Ihnen, Knut Feuereis, wir können uns durchaus duzen.

Grundsätzlich sehe ich das Duzen als Zeichen sich verflachender Zeiten, in denen sich jeder mit jedem auf künstliche Weise äußerlich gleich machen will, tatsächlich aber jeder mit jedem in den Ring steigt, um durch Überlegenheit Ungleichheit zu schaffen.

Und diesen Ring finden wir nach wie vor überall: auf der Straße, am Arbeitsplatz, im Privaten! Wie gesagt: überall!

Ja! Ich bin dem Ring entflohen. Ich schaffe mich selbst in meiner Kunst. Abend für Abend. Auf der Bühne. Alleine. Natürlich fehlerfrei.«

Haiko Henk lächelte und ich widersprach.

»Ich sehe es so: Im Duzen sorgen wir für die Wahrnehmung gleicher Startbedingungen. Und der Ring entscheidet, was das Sie vorwegnimmt. Das Sie erzeugt Illusion, der Ring schafft Fakten!«

»Oft ein blutiger Fakt! Zu oft, Knut! Aber, ja, du sagst es selbst: Das Sie erzeugt Illusion. Eine Illusion, die bedeutsamer ist als die Wirklichkeit des auf dem Boden Liegenden!

Du gefällst mir, Knut. Deshalb ja, lass uns duzen. Ich bin Haiko Henk! Und wenn du magst, können wir unser Gespräch morgen in der Rippe zur selben Zeit fortsetzen. Jetzt ruft mich meine Kunst. Später werde ich mich mit dem Strich beschäftigen, den du unter mein Leben gezogen hast. Wir sehen uns dann morgen, wenn du willst!«

Haiko Henk ging.

Da rang eine Menschenseele mit sich, einen Strich unter ihre bisherige Biographie zu ziehen, einen Schlussstrich sozusagen! Und ich hatte den Anstoß dazu geliefert!

»Sehr gerne«, rief ich dem Fehlerfreien hinterher.

KNUT

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