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Оглавление1 | Auf der Bank
Zweiter Eintrag im KleinDicken
Am frühen sonnigen Nachmittag des 26. Mai vor 13 Jahren saß ich auf einer Bank am Maybachufer des Landwehrkanals in Berlin Kreuzberg. Vom Westende der Bank aus wollte ich ihre Umgebung genießen.
»Entschuldigen Sie, darf ich mich zu Ihnen auf die Bank setzen?«
Der, der das fragte, war ein grauer Mann, der vor mir stand. Ich hatte ihn nicht kommen sehen, da ich für wenige Augenblicke beide Augen geschlossen hatte.
Der graue Mann schaute mich an. Ich schaute den grauen Mann an.
Er trug einen grauen Hut, grauen Anzug, ein graues Hemd mit Stehkragen, eine graue Brille, graue Handschuhe, graue Socken, graue Slipper. Ein ganz und gar grauer Mann.
»Ich bin die Wahrheit und komme von da draußen!«, behauptete er überzeugend und wies auch gleich mit seiner rechten Hand gen Himmel.
Er musste erkannt haben, dass meine sensible Seele nicht nur beeindruckt war, sondern auch unter dem Gewicht seiner Worte einzuknicken drohte.
»Die Wahrheit ist allein für den Chef vom Ganzen!«, belehrte ich den Grauen, der sich deutlich selbst überschätzte, und wies mit dem ausgestreckten Zeigefinger senkrecht in den Himmel über mir.
»Sie müssen wahrlich einen weiten Weg hinter sich haben. Setzen Sie sich und kommen Sie an und zur Ruhe!«
Der graue Mann befolgte meine Worte. In der linken Hand hielt er eine zum Rechteck doppelt gefaltete Zeitung, deren Titelkopf mir fremd erschien. Außer einem kleinen Foto, das möglicherweise den Mond zeigte, konnte ich ihr Erscheinungsdatum erkennen. Und das hatte es in sich. Die Zeitung war von heute! Also von dem Tag, der damals 13 Jahre in der Zukunft lag! Der Graue musste mir wohl meinen Schock angemerkt haben. Er entschuldigte sich sofort.
»Sorry, ich vergaß sie einzustecken. Ich darf sie nicht liegenlassen. Keinesfalls! Sie bedeutet mir viel!«
Eine lähmende Kraft hinderte mich daran, sofort eine naheliegende Frage zu stellen. Doch als er aufgestanden war, um zu gehen, brachte ich die Energie auf, sie zu stellen: »Darf ich vielleicht einen Blick in Ihre Zeitung hineinwerfen?«
Er schaute mich einen Augenblick an, der mir wie eine gestauchte Ewigkeit vorkam, und sagte monoton: »Er wird Ihnen nichts nützen. Ich werde jetzt gehen. Genießen Sie den Nachmittag. Der Himmel über uns ist mehr als sein Raum. In wenigen Jahren werden wir uns in anderer Atmosphäre wiedersehen. Sie werden dann kurzzeitig einen Job machen, den es kein zweites Mal gibt und Sie werden einen Vogel haben, den es kein zweites Mal gibt. Passen Sie gut auf sich auf und bleiben Sie stets auf dem Boden der Wahrheit!«
Die Sonne brannte mir ins Gesicht. Ich musste für einen Moment die Augen schließen, und als ich sie öffnete, war der mondgraue Mann verschwunden.