Читать книгу »Ich kann's nicht lassen« - Michael Niavarani - Страница 10
Briefe
ОглавлениеDie längste Epoche meines Lebens war die, in der ich nicht geschrieben habe. Dabei wollte ich Dichter werden. Aber als ich zum Theater ging, hat das Theatertalent wie eine Krake jede Formulierfreude schriftlicher Art aufgefressen. Ich war plötzlich eine Art Analphabet, was das Schreiben betrifft. Gelesen habe ich weiterhin begeistert, aber eklektisch, immer nur hineinfahrend in ein Werk und es wieder wegschleudernd. Als ich Direktor der »Josefstadt« wurde, war ich verpflichtet, Briefe zu schreiben, und da war die Frau Khek diejenige, die mir die Briefe abverlangt hat. Das heißt, ich musste widerwillig – wie ich alles tue – dem Direktor von Sowieso erklären, warum er schlechte Sitze bekommen hat. Und dabei entdeckte ich in mir eine Sucht, Briefe nicht direkt zu schreiben, sondern in jeden Brief etwas Besonderes einzupacken. Wenn ich einer Polizeidirektion eine Strafe bestätigt habe, dann habe ich mich bemüht, es nicht im Polizeijargon zu schreiben, sondern: »Ich armer Tölpel bin wieder einmal in eine Falle getappt und bitte um Entschuldigung.« Ich bin drauf gekommen, dass mit einem persönlichen Satz ein offizielles Schreiben nicht gerade im Herzen, aber wenigstens in der Erinnerung dessen landet, der sonst die hunderttausend Briefe, die er jeden Tag bekommt, sofort weitergibt. »Das ist der, der geschrieben hat«, sagt er dann meistens im Dialekt oder in Hochdeutsch, je nachdem.
Und daraus sind sieben Bände von Briefen, eine Uransammlung von Briefen, entstanden, die mir die Frau Khek und meine Mitarbeiter haben binden lassen. Mein Agent Herbert Fechter hat dann gefunden: »Das muss man veröffentlichen!«, und so wurde die Erinnerung an meine Epoche im Theater in der Josefstadt satirisch festgehalten. Wenn man diese Briefe liest, weiß man, wie unüblich ich dieses Theater geführt habe und wie ich versucht habe, nicht Direktor zu sein, sondern mit allen Menschen auf gleicher Höhe zu stehen.
Das geht vom Dank für die Vanillekipferl bis zu den traurigen Briefen, wenn zum Beispiel mein Freund Kurt Sowinetz gestorben ist. Die Briefe spielen alle Farben.
Dann ist die Frau Sinhuber gekommen und hat gemeint, ich habe ein Talent zu formulieren. Zu schreiben weiß ich ja gar nicht, geschrieben habe ich ja keine Zeile. Ich habe ja alles anfallsmäßig vor mich hin diktiert, so wie heute. Und mit dem Abschied vom Theater, der ja bevorsteht oder in meiner heutigen Epoche schon schwelt, ist eine Schreiberepoche aufgebrochen, eine spärliche – bis jetzt ein Buch pro Jahr –, wahrscheinlich wird das aber auch aufhören. Ich habe immer die größten Sorgen, dass mir nichts mehr einfällt, was ja auch der Fall ist.
Man muss mir so alles entlocken, und wenn nichts mehr da ist, kann man nichts mehr entlocken.
Ich habe mich immer geweigert, eine Biografie zu schreiben, weil ich mein Leben als Ganzes als langweilig empfinde und nur Momente, sporadische Explosionen, gerne schildere und nicht das Fade, das dazwischen liegt. Jahreszahlen waren mir schon im Geschichtsunterricht ein Gräuel. Ich bin da sehr großzügig mit Epochen herumgesprungen, manchmal auch mit großem Erfolg. Es gibt große Schriftsteller oder Philosophen, Oswald Spengler zum Beispiel, die das auch tun. Der ist plötzlich in China und plötzlich in Indien und vergleicht Mohammed mit weiß Gott wem, und die sind tausend Jahre auseinander, und er hupft herum, wenn auch sehr gebildet. Das kann ich nicht, aber ich bin unbedenklich mit Jahreszahlen umgegangen. Für mich ist manches neulich, das zwanzig Jahre zurückliegt, und manches, das ich vorgestern gesehen habe, ist bereits vergessen. Ich bin jetzt nicht mehr fähig, mir Theaterabende zu merken. Das kann aber auch an den Theaterabenden liegen und nicht nur an mir, denn ich habe mir ein paar neue Theaterabende in der Oper und auch im Theater sehr wohl gemerkt. Zum Beispiel von Patrice Chéreau »Aus einem Totenhaus« von Leoš Janáček, was ich für eine großartige Operninszenierung halte.