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Vorwort
ОглавлениеMan glaubt, das Rührende und das Gerührte sind Gegensätze, aber zumindest am Theater gibt es nichts Rührendes, das nicht gerührt wurde. Wenn wir dem Wort genau auf der Spur sind, ist das gerührte Rührende sogar etwas Magisches. Es hat etwas von einer Hexenküche, von einem Wunder. Was rührt man denn? Wozu rührt man? Und aus was rührt man Gerührtes?
Eine Mixtur ist alles, was man rührt, und eine Mixtur ist alles, was am Theater rührt. Es kommt natürlich auf die Ingredienzien an, auf die Zutaten, auf das Prisengefühl des Rührers, der diesen seltsamen, duftenden Brei von Wirklichkeit und Fantasie und Atmosphäre und Verzweiflung und Humor zusammenstellt. Durch eine Prise Unlust, eine Prise falschen Würzens, ein übertriebenes Gemisch, das man untermischt in den gerührten Brei, wird die Götterspeise zur unverträglichen Geschmacklosigkeit, wird sie zu unverträglichem Quark erstarren. Rühren muss man können. Es bedarf einer fast gesegneten Hand, so zu rühren, dass das Gerührte rührt.
Mein innerer Widerstand, etwas Formuliertes von mir zu geben, ist eine Alterserscheinung, die ich nicht unbekämpft verstreichen lassen will. Ich habe, wie schon oft gesagt, erst sehr spät eine Formuliersucht in mir entdeckt, die zum Druck drängt. Es ist verdächtig, wie das Reden darüber schon einen geradezu fäkalen Anstrich bekommt. Druck, Hartleibigkeit, Verstopfung könnte man auch noch amikal dazuordnen.
Aber diese Schwierigkeit, etwas sagen zu wollen und nicht gleich zu können, erzeugt Hemmungen und zugleich Lust, diese Hemmungen zu überwinden. Ein Verstopfter will die Erlösung. Die Erlösung, wenn sie passiert, macht aus ihm einen anderen Menschen. Im Schwank kommt Armin Berg von der Toilette zurück zum Tisch, strahlend über das ganze Gesicht, und setzt sich zum Kartenspiel mit den Worten: »Man ist ein anderer Mensch.«
Das geschieht auch, wenn einen plötzlich ein Einfall formulierfreudig umfängt und man deutsche Sätze loswird, wie man sie in der Schule, in der Grammatik, am Theater, in der Konversation, im Leben benützt hat, die einem dann beim Durchlesen fast wie von einem anderen Stern geschenkt wirken. Da entsteht etwas, was man bei aller Schwierigkeit und Verklemmtheit nicht lassen kann. Man muss einfach von Zeit zu Zeit etwas loswerden. Man ist ein anderer Mensch, wenn man’s loswird.
Wenn man sagt, ich kann’s nicht lassen, meint man ja nicht, ich tu’s gern. Man meint ja nicht, ich tu’s zwangsläufig. Man meint, es hat etwas über einen Gewalt ergriffen und ob man will oder nicht, es geht nicht mehr anders. Man muss loswerden, was in einem schwelt, und je älter man wird, desto mehr schwelt in einem.
Und wahrscheinlich ist meine Sucht, zu formulieren und loszuwerden, was in mir so wuchert, eine Alterserscheinung und zwar die Alterserscheinung eines Menschen, der nicht mehr lange Zeit hat zu sagen, was er zu sagen hat, und der wahrscheinlich keine großen Rollen mehr in Hülle und Fülle zu spielen bekommt, bekommen kann, der keine große Inszenierung mehr machen will. Und was bleibt übrig? Lesen. Vorlesen. Schreiben. Und Formulieren. Formulieren ist Schreiben und Lesen zugleich. Vorlesen ist Formuliertes wiedergeben. So wiedergeben, wie es der Dichter meint und der Halbmüde unten verstehen kann. Oft auch der Schwerhörige. Nur wenn man die Schwerhörigen gewinnt, hat man gewonnen am Theater, am Pult und beim Buchschreiben.