Читать книгу »Ich kann's nicht lassen« - Michael Niavarani - Страница 12
Verluste
ОглавлениеDer Osterhase war der Erste, der dran glauben musste, schon weil mir als vierjähriger Bub die Sucherei furchtbar auf die Nerven gegangen ist und ich auch nicht wusste, was ich mit den vielen gekochten Eiern anfangen sollte. Spielzeug ist ja damals noch wenig versteckt worden und wenn, dann auch fast nie das richtige. Ich kann mich auch nicht an andere Verstecke als unter Polstern erinnern und fand es eigentlich unzumutbar, dass ich so lange gewisse Zimmer nicht betreten durfte, und unhöflich vom Osterhasen, der ja nichts Heiliges hatte wie das Christkind, dass man ihn nie zu Gesicht bekommen hat. Auch seine Größe konnte ich mir nicht vorstellen. Und gewohnt, dass Hendln Eier legen, denen ich manchmal sogar dabei zuschauen konnte durch meine Großmutter, die eine Hendlfreundin war, konnte ich mir das Produzieren von Eiern bei einem Hasen nicht vorstellen. Und auch nicht, wie so ein Hase in die Wohnung kommt und Eier versteckt und wie er unter die Polster greifen kann. Das Technische des Osterhasen-Mythos war mir sehr früh dubios und als ich endlich meinen Vater beim Eierlegen erwischte, wusste ich, wo der Hase läuft.
Ostern war auch ein geschenkarmes Fest und wurde feiermäßig relativ bald geschwänzt. Ich kann mich nur an ein paar Auferstehungsritualmessen erinnern, die damals noch nachmittags stattfanden.
Mein Glaube an das Christkind hielt sich etwas länger, und der Abschied vom Christkind war wehmütig. Ich war eigentlich froh, dass ich den Osterhasen los war, aber an das Christkind glaubte ich lieber, vor allem wegen des Weihnachtsbaums. Der Weihnachtsbaum ist für mich heute noch unerlässlich. Er ist ja nicht einmal ein christliches Symbol, sondern kommt von heidnischen Bräuchen. Das war mir aber nie bewusst. Der Christbaum, so glaubte ich, war immer vom Christkind durchs Fenster hereingebracht worden, und ich habe lange an das Christkind glauben wollen, es sogar irgendwie persönlich gern gehabt, und als es sich aus meinem Glauben verabschiedet hatte, stand ich ein bisschen blöd da.
Das blödeste Symbol ist wohl der Klapperstorch. Da fällt mir ein Witz ein:
In einem jüdischen Haushalt erwartet die Familie Nachwuchs.
Als es fast so weit ist, fragt der Vater den kleinen Moritz:
»Der Klapperstorch wird dir bald a Geschwisterchen bringen. Was wünschst du dir? A Buberl oder a Mäderl?«
Drauf Moritzl: »Wenn’s die Mama nicht zu sehr strapaziert, hätte ich lieber ein Schaukelpferd.«
Der kleine Moritz konnte nicht mehr daran glauben, dass der Klapperstorch irgendwas zu bringen hat, wenn er das Baucherl der Mutter wachsen sah.
Dass der Klapperstorch die Kinder aus Afrika bringen soll, hat einen wahren Kern, denn die Menschheit stammt ja ursprünglich aus Afrika, wie man heute zu wissen glaubt.
Nikolaus und Krampus wurde ich Gott sei Dank bald los, vor allem den Krampus. Meine Nonna hat mir sehr früh meine Angst genommen, indem sie mir die Krampus-Lüge erklärt hat.
Wie ich, glaube ich, schon erzählt habe, bin ich das Gespenst des Todes deshalb nicht losgeworden, weil meine Mutter mir auf die Fragen »Gibt’s das Christkind?«, »Gibt’s den Osterhasen?«, »Gibt’s den Nikolaus?«, »Gibt’s den Krampus?« immer gesagt hat:
»Nein, keine Angst, die gibt’s alle nicht.«
Aber auf meine Frage:
»Und gibt’s den Tod?«, meinte sie:
»Ja natürlich, den gibt’s.«
Darauf hatte ich beim Arzt oder im Museum vor dem Skelett, das ich mit dem Tod identisch fühlte, ständig Angst. Bei jedem leuchtenden Kürbis ging es mir eiskalt über den Rücken. Und die Angst vor diesem Gespenst ist mir eigentlich nie ganz vergangen.
Ich verstehe den Tod einfach nicht. Der Mensch ist nicht zum Sterben konzipiert. Der Mensch hat etwas Ewiges in sich. Schon das Kind will ewig leben. Und so schrecklich ewiges Leben wäre, wir kokettieren alle ein bisschen mit der Ewigkeit. Und das Ende bewältigen wir nicht, vor allem das Ende der Anderen, der Umgebung nicht, der Freunde, der Eltern.
Das eigene Ende ist noch ein Honiglecken dagegen. Und wie schon Rilke sagt: Wenn es wenigstens ein eigener Tod wäre, den man stirbt, aber die vielen aufgezwungenen Tode, die vielen läppischen Tode, die vielen Unglücke, sind gefühlsmäßig nicht zu bewältigen. Da hat der Mensch dann die Begriffe Schicksal und Jenseits erfunden und versucht etwas linkisch mit diesen Begriffen umzugehen.