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Die Außerirdischen als Spiegel

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Nach welchem Muster aber sind in all diesen Science-Fiction-Werken die Außerirdischen konstruiert? Zunächst gibt es eine Paradoxie: Jeder Schriftsteller oder Filmemacher muss, um etwas völlig Fremdes, ja Unvorstellbares wie eine außerirdische Lebensform darzustellen, auf Vertrautes und Bekanntes zurückgreifen. Etwas, was der Mensch kennt, was er sich vorstellen kann, was ihm zumindest halbwegs nachvollziehbar erscheint. Und so sieht man bei den Außerirdischen in Film und Literatur oftmals wenig Neuartiges und Unbekanntes – vielmehr spiegeln sie uns Menschen bekannte Gegebenheiten wider. Sei es im Aussehen, weil sie entweder wie Menschen mit Kopf, Rumpf, Beinen und Armen, wie maschinenartige Roboter oder auch wie Reptilien oder (riesige) Insekten daherkommen. Sei es in kulturellen, politischen, psychologischen oder auch gesellschaftlichen Dimensionen.

So sind die Außerirdischen in US-amerikanischen Science-Fiction-Filmen aus den 1950er-Jahren oft angsteinflößende, zerstörungswütige Invasoren mit einer fortschrittlichen Waffentechnik. Hier spiegeln sich die Ängste vor einer russischen Invasion und einem Atomkrieg wider. Auch die außerirdischen Völker in »Star Trek« sind lediglich Zerrbilder der US-amerikanischen Gesellschaft. Dazu noch einmal Filmwissenschaftler Matthias Hurst: »Deren Verständnis von Politik, Diplomatie, Demokratie und Lebensführung wird zum Raster, dem sich fast alle Formen extraterrestrischen Lebens unterwerfen müssen; dass es dabei nicht immer tolerant und vorurteilsfrei zugeht, sondern häufig auch stereotypes Denken und chauvinistisches Gedankengut transportiert werden, zählt zu den eher bedenklichen Merkmalen des ›Star Trek‹-Universums.«11

Auch die »Alien«-Filme (erschienen 1979, 1986, 1992, 1997 sowie 2012 und 2017) sind Spiegelbilder ihrer Zeit und jeweils vorherrschender kollektiver Ängste. Erst das Wettrüsten im Kalten Krieg und biologische Waffen, dann AIDS, Gentechnik und Klonexperimente bis hin zu den Gefahren künstlicher Intelligenz in neuerer Zeit.

In der Fernsehserie »Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI« sind Außerirdische Teil einer düsteren Verschwörung einer Macht­elite, was wiederum die Ängste der Menschen vor politischen Verschwörungen abbildet. Andersherum zeigen natürlich auch die uns wohlgesinnten, Frieden stiftenden Reisenden aus dem All menschliche Sehnsüchte und Befindlichkeiten.

Generell aber, man erinnere sich an die 1:9-Relation, werden den Außerirdischen sehr oft negative Motive und Merkmale zugeschrieben. Die meist aggressiven und heimtückischen Aliens in den Filmen und Romanen verkörpern letztlich die Schattenseiten unseres menschlichen Charakters. Die Furcht vor den Film-Aliens resultiert dabei nicht nur aus der Angst vor dem Unbekannten, sondern mindestens ebenso aus der Angst vor dem allzu Bekannten: vor uns selbst.

Die Tatsache, dass wir beim Nachsinnen über die Frage, ob es da draußen intelligente Außerirdische gibt, am Ende immer wieder bei uns selbst landen, sollte uns aber natürlich nicht davon abhalten, uns weiterhin mit ihnen zu beschäftigen. Ganz im Gegenteil! Unsere Reflexionen über Außerirdische bilden eine schier unerschöpfliche Quelle für ungemein anregende, spannende Erzählungen und haben eine ganze Reihe von wissenschaftlichen und technischen Innovationen inspiriert. Und nicht zuletzt können wir durch die Beschäftigung mit Außerirdischen viel über uns selbst lernen. Doch eines hat uns das Nachdenken über Außerirdische bisher nicht geliefert: Erkenntnisse über reale Außerirdische. Über diese können wir im Moment nur sehr wenig sagen. Wir wissen ja nicht einmal, ob es sie gibt. Falls ja, können wir nicht sagen, wie sie aussehen. Wir wissen nichts über ihre Technologien und Wissenschaften, nichts darüber, ob sie eher friedlich oder aggressiv sind. Wahrscheinlich wären sie in vielerlei Hinsicht ganz anders als wir, aber letztlich ist auch das nur eine Mutmaßung.

Bis auf Weiteres gilt, dass wir uns beim Nachdenken über Außerirdische in einer Art Spiegelkabinett bewegen – wir sehen meist nichts anderes als Zerrbilder von uns selbst. Solange wir keine realen Erfahrungen mit außerirdischen Intelligenzen haben, wird dies auch so bleiben. Wir möchten im Folgenden jedoch trotzdem den Versuch wagen, so weit wie möglich aus dem Spiegelkabinett auszubrechen, hinter die Spiegel zu blicken und zu erkunden, was sich aus soziologischer Sicht begründeterweise über außerirdische Zivilisationen sagen lässt. Und was eben nicht.

1 Plutarch 1968, S. 56

2 Von Kues 1967, S. 103–104

3 Günther 1898, S. 20

4 Locke 1988b, S. 208

5 Locke 1988b, S. 208

6 Vgl. Moore 2014, S. 210

7 Vgl. Akerma 2002, S. 167

8 Vgl. Gerritzen 2016, S. 13–20

9 Bauman 2000, S. 39

10 Hurst 2008, S. 34

11 Hurst 2004, S. 48

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