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Die Universitätsidee
ОглавлениеDas Aufkommen der Universitäten
Die „Bildungsexpansion des 12. Jahrhunderts“ (Koch 2008, 26) hatte eine Blüte unterschiedlicher Institutionen zur Folge, von denen sich manche nach und nach zu „Universitäten“ entwickelten. Der Begriff der „universitas“ bezeichnete dabei nicht die Gesamtheit des Wissens oder das Zueinander der Fächer, sondern eine Gemeinschaft von Personen, die Träger bestimmter Rechte und Pflichten war. Die ältesten Universitäten, etwa Paris und Bologna, wurden nicht formal gegründet, sondern entstanden aus bestehenden Schulen heraus: Paris wuchs aus einer Kathedralschule empor, Bologna aus einer Juristenschule. Diese beiden Einrichtungen standen auch für unterschiedliche Organisationsprinzipien der mittelalterlichen Universität. Während Bologna eine so genannte Scholarenuniversität war, an der die Lehrenden von den Lernenden, denen die Universitätsleitung zukam, angestellt wurden, markierte Paris als Magisteruniversität, die von den Lehrenden geführt wurde, das institutionelle Gegenmodell. In einer Gesellschaft, der die moderne Trennung von Staat und Religion noch fremd war, kam der Kirche ein entscheidender Einfluss bei der Verwirklichung der universitären Idee zu. Durch Privilegien, die der Kaiser oder der Papst gewähren konnte, wurde die „universitas“, also die Gemeinschaft von Lernenden und Lehrenden, mit Sonderrechten, wie etwa einer eigenen Gerichtsbarkeit, die sonst Geistlichen vorbehalten war, oder dem Recht zur Verleihung akademischer Grade ausgestattet. Obwohl die unterschiedlichen Universitäten in ihrem Ansehen variiert haben mögen, waren an einer Universität verliehene Grade, wie etwa der des Magisters, im gesamten Einzugsbereich der Christenheit gültig. Die transnationale, ihrem Selbstanspruch nach universale Geltung der Universitätsidee konnte ihrerseits nur durch eine ebenfalls transnationale Institution mit universalem Anspruch durchgesetzt werden: die Kirche. Erst durch päpstliche Privilegien wurde zum Beispiel das Recht eines Magisters, überall lehren zu dürfen, tatsächlich implementierbar (vgl. Wolgast 2002, 355). Die Kehrseite der kirchlichen Protektion der Universitätsidee war jedoch ein starker kirchlicher Einfluss an den Universitäten. Wenn es um Fragen der Glaubenslehre ging, scheute sich die Kirche nicht, mit allem Nachdruck und bisweilen auch mit aller Gewalt zu intervenieren.
Theologie an der mittelalterlichen Universität
Die Theologie war an den mittelalterlichen Universitäten in zweierlei Weise präsent. An manchen Orten – etwa in Paris, einer Universität, die sich überhaupt erst aus einer Domschule heraus entwickelt hatte – bildete sie den ursprünglichen Kern des Fächerkanons und wurde als eigenständiges Fach gelehrt. Das war aber nicht an allen frühen Universitäten der Fall. In Bologna etwa konnte man nicht Theologie studieren. Über ihre Präsenz als universitäres Lehrfach hinaus spielte Theologie aber auch insofern eine Rolle, als in einer durch die Dominanz des christlichen Glaubens geprägten Gesellschaft potenziell jede Frage zu einer theologischen werden konnte. Dem Mittelalter wohnt – nicht bei allen, aber bei vielen seiner Autoren – eine Tendenz zur „reductio ad theologiam“ inne, zur Rückführung einer Frage auf ihre theologischen Implikationen, wie sich in Anlehnung an einen Werktitel Bonaventuras (1221–1274) sagen ließe. Auch wenn sich nicht zuletzt durch die Universitäten zunehmend differenzierte Formen des Wissens und der institutionalisierten Wissenschaft ergaben, kamen auch Philosophen, Juristen oder Mediziner kaum umhin, sich mit Fragen zu beschäftigen oder zumindest Grenzen zu beachten, die ihnen die Kirche in ihrem Denken und Handeln auferlegte.
Obwohl viele Universitätsangehörige Kleriker waren (allein schon wegen ihres privilegierten Rechtsstands), blieb eine universitäre Ausbildung innerhalb des Klerus bis weit in die Neuzeit hinein eine seltene, elitäre Angelegenheit. Während ab dem 13. Jahrhundert die so genannten Bettelorden, vor allem die Franziskaner und die Dominikaner, immer stärker in universitäre Strukturen eingebunden wurden, und die Mönche weiterhin in ihren Klöstern Unterricht genossen, blieb für Diözesanpriester, also Männer, die keinem Orden angehörten, sondern einem Bischof und seinem Bistum zugeordnet waren, eine solide theologische Ausbildung die Ausnahme. Sofern diese Priester nicht adelig waren und sich ein privates oder ein universitäres Studium nicht leisten konnten, wurden sie, nur mit notdürftigen theologischen Kenntnissen versehen, vor allem praktisch „angelernt“, was im späten Mittelalter Missstände evozieren sollte, die die oft den Orden entstammenden Reformatoren im 16. Jahrhundert heftig kritisierten.