Читать книгу Einführung in die Systematische Theologie - Michael Seewald - Страница 7
ОглавлениеI. | Einleitung |
„Die Schulbücher sind – Schulbücher. Wer es schon versucht hat, weiß, daß es gar nicht leicht ist, ein ordentliches Lehrbuch oder auch nur ein Stück davon zu schreiben. Es gibt eine ganze Reihe ordentlicher Lehrbücher der Dogmatik in Latein und in modernen Sprachen. Es ist aus dem Wesen der katholischen Glaubenswissenschaft heraus und durch ihre Absicht, sich an Theologen zu wenden, die die Lehre der Kirche zum erstenmal gründlich studieren wollen, gegeben, daß solche katholische[n] Schulbücher nicht den Ehrgeiz haben dürfen, um jeden Preis ‚originell‘ zu sein. Aber ist es ein freventliches Urteil, wenn man der Meinung ist, sie seien (einzelne Ausnahmen sollen nicht bestritten sein) in einer Weise ‚unoriginell‘, daß es erschreckend ist?“ (Rahner 1997, 405)
Die Bedeutung von „Schulbüchern“
Es ist über sechzig Jahre her, dass Karl Rahner (1904–1984), vermutlich der einflussreichste katholische Theologe des 20. Jahrhunderts, diese Zeilen schrieb. Sie formulieren ein Programm, das Rahner gemeinsam mit Hans Urs von Balthasar (1905–1988) ausgearbeitet hatte, das aber nie – oder zumindest nicht zur Gänze – in die Tat umgesetzt wurde. Bedenkenswert ist, warum Rahner im Kontext eines derart komplexen Vorhabens, wie es sein neuer „Aufriss zur Dogmatik“ darstellt, auf Lehrbücher zu sprechen kommt, die sich ja nicht in erster Hinsicht an Spezialisten, sondern an Studierende am Anfang ihres Weges richten. Lehrbücher sind offenbar ein Gradmesser für den Zustand der Theologie, weil sie ganz besonders vor jenen Herausforderungen stehen, vor die sich diese Disziplin als ganze gestellt sieht: die Verbindung von Originalität und Konventionalität, von Innovation und Tradition. Manches an Rahners Feststellungen ist veraltet. Ernstzunehmende theologische Lehrbücher in lateinischer Sprache gibt es heute nicht mehr. Und auch das Bild des vorwiegend männlichen, eine klerikale Laufbahn einschlagenden Studenten, dem „katholische Schulbücher“ die „Lehre der Kirche“ vermitteln, trifft die Realität theologischer Fakultäten an deutschsprachigen Universitäten nicht mehr. Die Hörerschaft, auch innerhalb eines Faches wie der Katholischen Theologie, ist bunt geworden.
Abb. 1: Der Jesuit Karl Rahner war ein bedeutender Impulsgeber der Theologie des 20. Jahrhunderts und prägt sie bis heute.
1. Vielfalt der Theologie, Beschränktheit der Theologen
Pluralisierung und Positionierung
Heute ein Einführungswerk zu schreiben, ist daher sicher nicht einfacher geworden, als Rahner es schon für seine Zeit feststellen musste. Denn es gibt in der Systematischen Theologie immer weniger Thesen und Methoden, die von ihren Vertretern als allgemein gültige Grundlagen dieses Faches anerkannt wären. Stattdessen nähern verschiedene „Stile der Theologie“ (Dürnberger/Langenfeld/Lerch/Wurst 2017) sich ein und derselben Frage in ganz unterschiedlicher Weise – ein Umstand, der eine Zusammenhänge, aber auch Bruchstellen und Übergänge betrachtende, eben systematische Perspektive umso wichtiger macht. Die zunehmende Pluralisierung, die auch ein so angestaubt wirkendes Fach wie die Theologie erfasst hat, kennzeichnet diese Disziplin als eine Geisteswissenschaft, in der lebhaft gestritten wird, und macht sie dadurch interessant, erschwert es aber zugleich, noch neutral in sie einzuführen. Anders gesagt: Jede Einführung in diese Disziplin setzt bereits theologische Grundentscheidungen voraus, deren Für und Wider ihre Leserschaft mitten in theologische Diskussionen hineinführen und sie zu eigenständigem Denken herausfordern, die es deshalb aber auch offenzulegen gilt.
Voraussetzungen dieses Buches
Erstens ist diese Einführung das Werk eines katholischen Theologen, der der evangelischen Theologie mit großer Sympathie gegenübersteht und Ökumene – auch innerhalb des von Selbstreferenzialitäten nicht freien, akademischen Betriebs – für unerlässlich hält, aber am Ende eben doch ein katholischer Theologe bleibt. Diese Feststellung ist nicht konfessionell abgrenzend gemeint, sondern gibt einfach nur die Beschränktheit wieder, in der jeder Fachvertreter einer gewissen Disziplin steht. Da die katholische und die evangelische Theologie nun einmal zwei unterschiedliche Studienfächer mit zusammenhängenden, aber doch verschiedenen Institutionen und teilweise auch unterschiedlichen Voraussetzungen sind, ist die Herangehensweise und der Horizont eines katholischen Theologen bisweilen anders als bei seinen evangelischen Kollegen. Das gilt es transparent zu machen. Nichtsdestotrotz versteht sich diese Einführung durchaus als ökumenisch orientiert, weshalb hoffentlich auch Studierende der evangelischen Theologie sie als hilfreich empfinden.
Zweitens wäre es trotz des Bemühens, eine Einführung in die Systematische Theologie nicht als Aneinanderreihung von Einführungen in ihre Einzeldisziplinen – Dogmatik, Fundamentaltheologie und Ethik – zu gestalten, illusorisch zu meinen, es mache keinen Unterschied, aus welcher Perspektive in die Systematische Theologie eingeführt wird. Im Folgenden liegt der Schwerpunkt auf den grundlegenden Fragen, die sich im Schnittpunkt von Dogmatik und Fundamentaltheologie bewegen, wohingegen die Spezielle Ethik in den Hintergrund tritt, weil sie in ihren Gegenstandsbereichen, etwa der Medizin-, der Wirtschafts- oder der Medienethik, derart detaillierte Kenntnisse medizinischer Vorgänge, wirtschaftlicher Zusammenhänge oder medialer Prozesse voraussetzt, dass sie notwendigerweise aus dem Rahmen dessen fällt, was von Nichtexperten gewusst und in einer breiter konzipierten Einführung vermittelt werden kann.
Drittens liegt dieser Einführung die Annahme zugrunde, dass Präzision – und darum sollte es aller Wissenschaft gehen – nicht ohne aufwendige Begriffsklärungen und Begriffsklärungen nicht ohne aufwendige historische Betrachtungen möglich sind. Das geschichtliche Auge der Theologie ist dabei nicht rückwärtsgewandt. Im Gegenteil: Es hinterfragt die scheinbare Eindeutigkeit heutiger Festlegungen, die sich gerne auf „die“ Tradition berufen. „Theologen sind in aller Regel nicht zur Radikalität konsequenter (Selbst-)Historisierung bereit, weil einen das Historisieren, wenn man es denn ernstnimmt, mit der nicht hintergehbaren Relativität des eigenen ‚Sehepunktes‘ konfrontiert“ (Graf 2009, 68). Nicht nur den Gegenstand, auf den man blickt, sondern auch den Ort, von dem aus man ihn betrachtet, zu bedenken, ist aber ein entscheidendes Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens und damit auch guter Theologie, die ohne ein reflektiertes Verhältnis zu ihrer eigenen Herkunft nicht auskommt.
2. Ein Gang durch den Maschinenraum
Zwischen Originalität und Konvention
Einführungswerke dürfen, so Rahner, einerseits nicht „den Ehrgeiz“ haben, „um jeden Preis ‚originell‘ zu sein“; sonst wären sie keine Einführungswerke mehr. Andererseits sollte ein gutes Lehrbuch auch nicht vollkommen „unoriginell“ sein und einfach nur aufkochen, was schon immer serviert wurde. Ein Büchlein wie dieses hat also die Balance zwischen positionierender und damit womöglich origineller Festlegung, und zurückhaltenden, der Konvention verpflichteten Darstellungen zu wahren. Das soll dadurch geschehen, dass im Folgenden gleichsam ein Rundgang durch den Maschinenraum der Systematischen Theologie geboten wird. Es geht nicht darum, die Leserinnen und Leser mit gewagten Thesen zu erschlagen, sondern ihnen in solider Form zu zeigen, wie die Systematische Theologie aufgebaut ist, was sie antreibt und vor welchen Fragen sie steht. Gelingt dem Buch dies, können Anfänger in ihm hoffentlich jene Grundlagen finden, die sie brauchen, um im Studium der Systematischen Theologie Fuß zu fassen. Damit hätte es sein Ziel erreicht und wäre ein „ordentliches Lehrbuch“ im Sinne Rahners, das nicht um jeden Preis originell sein will, aber hoffentlich auch nicht gänzlich unoriginell ist.
Gliederung
Da die Systematische Theologie innerhalb der Theologie für die grundlegenden, zusammenhängenden Fragen zuständig ist, fällt es auch in ihren Aufgabenbereich, zu klären, worin die historischen und institutionellen Besonderheiten der Theologie liegen (II.) und was eine Definition von Theologie sein könnte (III.). Anschließend ist nach der Struktur der Systematischen Theologie in ihrer disziplinären Vielfalt zu fragen (IV.), bevor die Methodik und die normativen Vorgaben dieser Disziplin skizziert werden (V.). Sodann gilt es zu klären, was die menschliche Vernunft verantwortbarer Weise über Gott sagen kann (VI.) und was die christliche Glaubenslehre von ihm behauptet (VII.). Wie beides zusammengeht, ob also der Gott, den die Kirchen im Glauben bekennen, eine sinnvolle Möglichkeit vernünftigen Denkens sein kann (VIII.), wird vor einem Ausblick (IX.), der das Büchlein beschließt, erwogen.
Natürlich gäbe es immer noch Anderes und immer noch mehr zu erwähnen und zu bedenken, als tatsächlich gesagt und bedacht wird – mehr von der Kirche, mehr von einzelnen dogmatischen Traktaten, mehr Moraltheologie oder was auch immer man sonst noch interessant finden mag. Der Reiz einer Einführung in die Systematische Theologie liegt aber darin, dass sie gerade nicht mit der Summe der Einführungen in ihre einzelnen Fächer identisch ist, sondern einen – natürlich selektiven – Akzent auf einzelne Fragen legen kann. Wenn es ihr dabei gelingt, Studierenden zu vermitteln, worum es in der Systematischen Theologie geht und wenn sie dabei ein Problembewusstsein vermittelt, das zum Weiterstudieren und eigenen Nachdenken anregt, hat sie ihren Zweck erreicht.