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Die Kirchen in der Pflicht
ОглавлениеReligion im Diskurs
Für die Religionsgemeinschaften bietet das wiederum die Chance, sich intellektuell in bestehende Diskurse einzubringen, öffentlich Gehör zu finden und die eigenen, auch in religiösen Kernbereichen tätigen Mitarbeiter – seien es nun Kleriker, Pfarrerinnen, pastorales Personal oder Religionslehrerinnen – von Universitäten zu rekrutieren. Umgekehrt gilt aber: Genauso, wie es manchen Kritikern dogmatischer Festlegungen ein Dorn im Auge ist, an einer säkularen Universität mit einer bekenntnisgebundenen Disziplin konfrontiert zu werden, ist es vielen Verteidigern dogmatischer Festlegungen ein Ärgernis, im innerkirchlichen Raum mit Menschen konfrontiert zu sein, die an säkularen Einrichtungen kritisch ausgebildet wurden und deshalb nicht zu allem Ja und Amen sagen, was religiöse Institutionen autoritativ vorgeben. Dieses Problem stellt sich im muslimischen Bereich im Kontext der Imamausbildung, ist aber auch im christlichen Bereich dort präsent, wo manche Entscheidungsträger meinen, zum Beispiel einen „katholischeren“, also mit ihren Vorstellungen von Rechtgläubigkeit kompatibleren Klerus heranziehen zu können, indem sie dessen Ausbildung an strengkirchliche Einrichtungen und weg von den Universitäten verlagern. Der Wissenschaftsrat ist demgegenüber „grundsätzlich der Auffassung, dass die Ausbildung des geistlichen Personals der Kirchen auch künftig vorwiegend im Rahmen des staatlichen Hochschulsystems erfolgen sollte. Andernfalls kann es leicht zu einer Gefährdung der wissenschaftlichen Standards von Lehre und Forschung kommen, da der Austausch und die Auseinandersetzung mit den akademischen Ansprüchen einer Universität fehlen“ (Wissenschaftsrat 2010, 61).
Auf einen Blick
Der Begriff „Theologie“ entstammt der Antike, wurde dort von Christen aber als problematisch empfunden und in der Regel von ihnen nicht zur Beschreibung des Nachdenkens über ihren eigenen Glauben herangezogen. Erst im 12. Jahrhundert hat er Eingang in den christlichen Sprachgebrauch gefunden, um eine kompromisslos an der Vernunft orientierte, notfalls auch kirchenkritische Form des Nachdenkens über den christlichen Glauben zu bezeichnen. Zeitgleich mit der christlichen Profilierung des Theologiebegriffs sind auch die frühen Universitäten entstanden. An vielen, nicht an allen, hatte die Theologie jahrhundertelang einen selbstverständlichen Platz. Dieser Platz ist heute umstrittener, aber nicht obsolet geworden. Theologinnen und Theologen sind daher in der Pflicht, Rechenschaft über die Gründe für die Verortung ihrer Disziplin an einer säkularen Universität abzulegen.