Читать книгу Einführung in die Systematische Theologie - Michael Seewald - Страница 15
3. Die Gegenwart zwischen Krisen und Aufbrüchen
ОглавлениеAktuelle Herausforderungen
Dennoch ist dieses Modell nicht auf Rosen gebettet. Angesichts sinkender Studierendenzahlen und nun nicht mehr ins Bodenlose fallender, weil schon am Boden liegender Zahlen des Priesternachwuchses in der katholischen Kirche stellt sich die Frage, ob die hohe Anzahl theologischer Fakultäten und Institute noch zu rechtfertigen oder ob eine stärkere Konzentration theologischer Studienorte sinnvoll ist. Da das moderne Verständnis von Wissenschaft sich – völlig zu Recht – an dem orientiert, was gelegentlich als „methodischer Atheismus“ bezeichnet wird, stellen manche auch die Frage, ob eine Disziplin wie die Theologie, die bekenntnishaft an eine Religionsgemeinschaft gebunden ist, überhaupt einen legitimen Platz an der säkularen Universität für sich beanspruchen könne. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es kirchliche Akteure, die der Ansicht sind, dass die Theologie durch den Freiraum, den ihr eine Universität bietet, zu wenig bekenntnisgebunden – das heißt: nicht so, wie diese Akteure es gerne hätten – agiert, weshalb manch einer es nicht ungerne sähe, wenn Theologie wieder an seminarähnlichen, kirchlichen Einrichtungen betrieben würde, um sie dort ideologisch besser unter Kontrolle zu halten.
Universitäre Theologie – ein Auslaufmodell?
Auf die wissenschaftstheoretischen Implikationen und damit auch auf die Frage, ob die Theologie einen legitimen Ort an der säkularen Universität hat, ist im Folgenden immer wieder einzugehen. An dieser Stelle sei lediglich auf drei Aspekte hingewiesen: den numerischen, den rechtlichen und den politischen. Die gesunkenen und vermutlich in der Gesamtheit auch weiter sinkenden Studierendenzahlen machen langfristig eine Anpassung der institutionellen Landschaft der Theologie nötig, die der geringeren Nachfrage entspricht. Das ist schade, tut aber der Theologie als universitärer Disziplin keinen grundsätzlichen Abbruch. Sie wird nämlich nicht nur als Relikt vergangener Zeiten an den Universitäten geduldet, sondern dort auch grundsätzlich – was die bedarfsgerechte Anpassung nach unten nicht ausschließt – hochschulpolitisch gewollt.
Empfehlungen des Wissenschaftsrates
So hat der Wissenschaftsrat – ein Gremium in gemeinsamer Trägerschaft des Bundes und der Länder, das die föderale Bildungsstruktur beratend begleitet – im Jahr 2010 ausführliche „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologie und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“ vorgelegt. Darin wird betont, wie groß der Forschungsbedarf „angesichts des sozioreligiösen Wandels“ (Wissenschaftsrat 2010, 66) sei – ein Bedarf, der nicht nur durch eine bekenntnisneutrale Religionswissenschaft geleistet werden könne, sondern auch die öffentliche Selbstreflexion religiöser Gemeinschaften miteinschließe, die sogar immer wichtiger werde. „Die Gesellschaft hat deshalb ein vitales Interesse daran, die Religionsgemeinschaften in den universitären Diskurs auch institutionell einzubinden“ (ebd., 61). In einer Zeit, die sich bewusstwird, dass das noch vor einigen Jahrzehnten im Kontext der Säkularisierungstheorie prognostizierte Verschwinden der Religion ausgeblieben ist (vgl. Knöbl 2013), dass Religion von unterschiedlichsten Akteuren politisch in Anspruch genommen wird, und dass sie selbst auch eine erstaunliche Eigendynamik entfaltet, die aus Feinden Freunde, aber auch aus Freunden Feinde machen kann, stellt sich die Grundsatzfrage: Gehört die Selbstreflexion einer Religionsgemeinschaft in den Raum der Öffentlichkeit, wie ihn die Universität bietet, die ihn durch ihre Mechanismen der akademischen Qualitätssicherung auch auf einem erklecklichen Niveau halten kann? Oder gehört diese Selbstreflexion in Bibelschulen und Moscheezentren, wo Gläubige in reiner Selbstaffirmation mit Gleichgesinnten vor sich hin sinnieren können, unbehelligt von den Fragen einer kritischen Öffentlichkeit und den akademischen Standards, wie die Universität sie einfordert?
Der Wissenschaftsrat bejaht ausdrücklich die erste und verneint die zweite Frage. Er geht davon aus, „dass die staatlichen Hochschulen der wichtigste Ort der wissenschaftlich reflektierten Selbstauslegung von Religion sind. Allein hier ist nämlich jene Verdichtung des intellektuellen Austauschs zwischen den unterschiedlichen religionsbezogenen Wissenschaften möglich, allein hier können diese so in die Vielfalt der Wissenschaftskulturen (nicht nur der Geisteswissenschaften, sondern auch der Sozial- und Naturwissenschaften, der technischen und biomedizinischen Fächer) eingebettet werden“ (Strohschneider 2017, 112), wie es einer umfassenden Analyse des Religionsphänomens, an dessen Verständnis religiöse Akteure ein besonderes Interesse haben müssten, gerecht wird.