Читать книгу Die Tesla-Methode - Michael Valentin - Страница 20
Der Teslismus als potenzielles Organisationsmodell für das vierte Industriezeitalter
ОглавлениеDie Analysen und Beobachtungen des Autors zum Tesla-Modell (und anderen potenziellen „Leuchttürmen“ der Industrie 4.0) belegen, dass der „Teslismus“ die Bezeichnung „System“ verdient und sich um drei konzentrische Kreise dreht.
Einer ist nach außen gewandt, ein anderer nach innen. Der dritte bildet das Kernsystem, das auf die Fähigkeit von Menschen – aber auch Maschinen – fokussiert ist, schnell zu lernen. Das System zeichnet sich durch sieben Prinzipien aus: Entwicklung eines Narrativs, Kreuzintegration, Tentakeltraktion, Start-up-Leadership, Software-Hybridisierung, Hyperproduktion und menschliches und maschinelles Lernen (Abbildung 2.3).
Bevor wir tiefer in diese sieben Prinzipien einsteigen, ist es sicherlich sinnvoll, kurz auf die Frage einzugehen, wie der Teslismus zu einer überzeugenden Lösung für die strategischen und technischen Probleme des vierten Industriezeitalters werden könnte.
Abbildung 2.3Die sieben Prinzipien des Teslismus
Quelle: OPEO
Abbildung 2.4Die vier Ziele des Teslismus
Quelle: OPEO
Im Anschluss beleuchtet das Buch, wie die sieben Prinzipien auf die vier Hauptziele eingehen: die Welt mit einem Projekt zu inspirieren, das über das Unternehmen, in dem es entstanden ist, hinausgeht; den betrieblichen Systemen und Schnittstellen des Unternehmens Impulse zu verleihen; seine Geschäftsfelder, sein Ökosystem und seine Kunden digital zu vernetzen; und seinen Mitarbeitern zu helfen, sich weiterzuentwickeln, um im Tagesgeschäft dazu beizutragen, dass die Organisation als Ganzes wachsen kann (Abbildung 2.4). Diese vier Ziele entsprechen perfekt den vier mit dem vierten Industriezeitalter verbundenen Herausforderungen. Wird die Welt inspiriert, kann sie auf die durch die Hyperkonzentration von Wert und fähigen Köpfen verursachte Nachfrage nach Ethik und Regulierung reagieren. Die interne wie externe Stärkung und Vernetzung eines Systems wird dem wachsenden Bedarf an Produktfunktionalität gerecht, und damit den Herausforderungen einer nutzungsgestützten Wirtschaft. Das System profitiert dabei von der Hyperkonnektivität zwischen Menschen, Maschinen und Produkten. Unterstützt man Menschen dabei, sich weiterzuentwickeln, wird dadurch letztlich die Entwicklung individueller und kollektiver Kompetenzen ermöglicht, sodass exponentieller Fortschritt als Chance angesehen wird – und nicht als Wettlauf gegen die Zeit.
INSPIRIEREN, VERNETZEN, VERSTÄRKEN UND AUSBAUEN: JPB SYSTEMS – EIN MITTELSTÄNDLER, DER SICH GANZ UNBEWUSST NACH DER TESLA-METHODE GERICHTET HAT
Die unglaublich inspirierende Geschichte eines Menschen, der mit viel Tiefgang das Lebenswerk seines Vaters weiterführt
Obwohl schon über zehn Jahre Chef eines eigenen mittelständischen Unternehmens, sah sich Damien Marc nie als eine Art Elon Musk. Der 36-jährige Unternehmer brauchte weder Tesla noch die Industrie 4.0, um eine Vision zu entwickeln, die dem, was alle in seinem Sektor sagten, diametral entgegengesetzt war. Damien machte aus der Not eine Tugend. Er lässt sich seit jeher von dem Gefühl leiten, dass er seinen „Vater am besten durch Wachstum des Unternehmens lebendig erhält“. Obwohl dieser schon seit Langem tot ist, berührt dieses Thema Damien immer noch sichtlich. Es heißt, Gefühle können Berge versetzen. Im Mittelpunkt der Geschichte von JPB steht die Überlieferung von Gefühlen und Leidenschaft von einer Generation an die nächste. Damiens Vater Jean-Pierre wurde 1958 geboren und entsprach selbst ebenfalls nicht dem typischen Profil. Er war Künstler – Fotograf –, was seinem Vater missfiel, der Jean-Pierre schon früh erklärte, er müsse einen ordentlichen Beruf ergreifen. Daraufhin schrieb ihn seine Mutter für eine Mechanikerausbildung am Lemmonier Institute in Caen ein und er begann seine Laufbahn als Feinmechaniker. Doch dieser neue Kurs konnte seine Kreativität nicht dämpfen – ganz im Gegenteil. Als er ein paar Jahre lang für einen Mann namens Bernard gearbeitet hatte, wagte Jean-Pierre, eine Fehlentwicklung infrage zu stellen, die der Luftfahrtsektor bis dahin toleriert hatte. Sie betraf die Art und Weise, wie Befestigungsmuttern mit Sicherungsdraht kombiniert wurden, um die Gefahr von Drehmomentverlust zu minimieren. Dieser Kompromiss kostete viel Zeit und Geld und war dabei nicht absolut zuverlässig. Jean-Pierre begann, in der Werkstatt an einem eigenen System zu basteln, doch wie bei so vielen bahnbrechenden Entwicklungen nahmen ihn anfangs nur wenige ernst. „Könnte man das System ändern, hätte es die Industrie doch längst getan“, war offenbar die Haltung der Schwarzmaler. Dennoch war Bernard bereit, mit Jean-Pierre ein neues Unternehmen zu gründen – neben seiner eigenen Maschinenbaufirma.
Das war 1995. Jean-Pierre brauchte über sechs Jahre, bis ein betriebsbereites Produkt vorlag. In dieser Zeit schloss Damien die Schule ab. Er war ein eher durchschnittlicher Schüler und interessierte sich mehr für die Praxis als für die Theorie, schaffte aber ein gutes Abitur. Vor die Wahl gestellt, ob und was er studieren wollte, entschied sich Damien für eine technische Ausbildung, die er einem theorielastigeren Studium vorzog. Weil ihm Elektronik viel Freude machte, begeisterte sich Damien für seine Ausbildung und schloss als Jahrgangsbester ab. Das motivierte ihn, sich danach an einer Ingenieurschule einzuschreiben. Dennoch ging er andere Wege als seine Kommilitonen. Er machte zunächst ein Praktikum in Afrika, bevor er erste Berufserfahrungen als Vorarbeiter sammelte. Der Einstieg ins Erwerbsleben verlief reibungslos – ihm gefiel seine Arbeit.
Damals sprachen Damien und Jean-Pierre wenig über berufliche Dinge. Damien hatte im Grunde keine Ahnung vom väterlichen Unternehmen. Eine Verkettung unerwarteter Ereignisse änderte das und brachte sie näher zusammen. Jean-Pierre war gesundheitlich angeschlagen und sein Zustand verschlechterte sich abrupt, als er nach einem schweren Herzinfarkt ins Koma fiel. Für Damien war das ein gewaltiger Schock. Nicht nur hatte er nie die Firma seines Vaters übernehmen wollen – schlimmer noch, er verstand nichts vom Geschäft. Das bedeutete, er musste sich alles von der Pike auf aneignen. Ein paar Monate später – und vollkommen unerwartet – wachte Jean-Pierre aus dem Koma auf. Damien ergriff die Gelegenheit, die dieses wundersame Intermezzo (das 18 Monate dauern sollte) bot, und nutzte sie nach Kräften, um ein paar wichtige Angelegenheiten zu klären. Jean-Pierres Unternehmen schrieb zwar schwarze Zahlen, lebte aber von einem einzigen Großkunden. Es hatte drei Beschäftigte, die den ganzen Tag über hart arbeiteten, damit alles lief. Damien musste viel Energie in die Aushandlung der rechtlichen Voraussetzungen investieren, um die Leitung von Jean-Pierres Firma übernehmen zu können. Die übrigen Teilhaber fürchteten, sie stünde unmittelbar vor dem Untergang. Diese Phase ständiger Konflikte, in der Damien große Risiken eingehen musste, ging nicht spurlos an ihm vorbei. Am Ende gelang es ihm, den Betrieb zu übernehmen, doch zu einem hohen Preis: Seine Mutter, die ihm durch die ganzen juristischen Querelen hindurch zur Seite gestanden hatte, musste ihre sämtlichen Ersparnisse einbringen.
Doch JPB Systems schrieb in nur zehn Jahren eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Das Unternehmen zählt inzwischen vier der größten Motorenhersteller des globalen Luftfahrtsektors zu seinen Kunden – und ihre wichtigsten Partner. Der Jahresumsatz beträgt heute mehr als 18 Millionen Euro. Dennoch ist die Unternehmenskultur nach wie vor von den schweren Anfangsjahren geprägt. Harte Arbeit und eine Bereitschaft, sich Herausforderungen zu stellen, sind weiterhin Grundwerte seiner Teams.
Ein gezielter Fokus von Anfang an: Durch Andersdenken Wachstum und mehr Wettbewerbsfähigkeit herbeiführen
Wer neu in einem so anspruchsvollen Sektor wie der Luftfahrtindustrie anfängt, muss noch schneller Lösungen finden als andere Akteure, die bereits fest im Sattel sitzen. Per definitionem beginnt jedes Unternehmen zunächst als Start-up, was bedeutet, dass noch nichts erledigt und getan ist. Für Damien stand der Gedanke im Vordergrund, dass „Exzellenz unsere einzige Option war“. Diese Einstellung hat ihm großen Erfolg beschert. Sein Unternehmen läuft fast allen Rivalen den Rang ab.
Bei JPB Systems liegt die Service Rate nun schon seit mehreren Jahren bei 100 Prozent. Das Unternehmen hat etliche Auszeichnungen erhalten und gilt heute allgemein als „Leuchtturm“ für den Luftfahrtsektor. Hätte es ausgetretene Pfade beschritten, wären diese fantastischen Ergebnisse allerdings nicht eingetreten. Die großen Fehler, die Damien nach der Übernahme des Unternehmens vermeiden musste, waren Selbstgefälligkeit und Arroganz. Stattdessen beschloss er, „immer weit vorauszublicken … Dinge voranzubringen und an allen Fronten zu kämpfen.“ Kurz, die Voraussetzungen für den Erfolg sind Wagemut und Tatkraft – wenngleich das allein nicht ausreicht.
Spricht man mit Damien über die Faktoren, die der Dynamik seines Unternehmens zugrunde liegen, springt als Erstes der Chef persönlich ins Auge – ein Visionär, der es versteht, in jeder Lebenslage bescheiden und ergebnisorientiert zu bleiben. „Mir blieb am Anfang gar nichts anderes übrig, als mich als Beobachter des Systems aufzustellen. Ich kam aus der Welt der Elektronik. Von Mechanik hatte ich keine Ahnung.“ Anders formuliert: Damiens erster Schritt war die Anpassung an eine neue Situation. Er lernte schnell, und vielleicht fühlte er sich, gerade weil er fachfremd war, in der Lage, bestimmte Risiken einzugehen, die andere scheuten. Ein Beispiel war seine Entscheidung, von Grund auf eine vollständig automatisierte Fertigungsstraße zu entwickeln, sobald das Unternehmen im Aufwärtstrend war. Dabei verfolgte er insofern ein hehres Ziel, als er keine Betriebsteile nach Polen auslagern wollte. Alle anderen fanden, er sei verrückt, so ein Risiko einzugehen. Doch er hatte damit großen Erfolg. Natürlich lief nicht auf Anhieb alles rund, und es dauerte eine Weile, bis bestimmte Zuverlässigkeitsprobleme behoben waren. Doch Damien war hartnäckig und konnte dadurch die Stellung halten, auch wenn es hart auf hart kam. Er war seinen Teams ein gutes Vorbild, weil er die Einstellung verkörperte, „nicht dem Zweifel zu erliegen, sondern Vertrauen in unser Handeln zu haben.“
Neben diesen ein wenig verrückten Risiken wurzelte die Dynamik von JPB auch in der Fähigkeit zu kontinuierlicher Beschleunigung. Seit es seinen Modus Operandi infrage gestellt hat, wächst das Unternehmen immer weiter. Diese Fähigkeit zur raschen Ausführung schlägt sich vor allem darin nieder, wie schnell seine Systeme Entscheidungen treffen können, was vor allem auf dem Vertrauen beruht, das die Geschäftsleitung den Teams entgegenbringt, sowie auf der ihnen gewährten Autonomie. „Sobald ich eine Angelegenheit durchschaue, zögere ich nicht. Gewöhnlich treffe ich sofort eine Entscheidung – zumindest aber noch am selben Tag.“
Nur durch eine Start-up-Mentalität können kleine Unternehmen in einer von Giganten dominierten Welt überleben
Für den Chef eines KMU ist es nicht so einfach, zu einem neuen Elon Musk zu werden. Besonders groß ist die Herausforderung für Unternehmen mit nur einem Geschäftsfeld und wenigen Mitarbeitern – wenn auch nur, weil es so schwierig ist, die nötigen Kompetenzen zu erwerben und zu entwickeln. In seinen Anfangsjahren hatte sich JPB vor allem auf technische Studien fokussiert. Das Produkt, das Jean-Pierre entwickelt hatte, war eine absolut disruptive Neuerung. Ganz zu schweigen davon, dass das Unternehmen damals winzig klein und stark von seinen Teilezulieferern abhängig war (und von seinem einen Kunden). Der Schlüssel zur weiteren Entwicklung waren daher eine stärker vertikale Integration sowie eine viel engere Anbindung an das übrige Ökosystem.
Zu diesem Zweck bediente sich Damien einer ganz typischen Start-up-Strategie. Er setzte sich so gründlich mit den Bedürfnissen der Kunden auseinander, dass er nicht mit Zwischenhändlern (und auch nicht mit großen Konkurrenten) arbeiten musste. Er ging rasch auf direkte Kontakte zu den Endnutzern der Produkte über, nämlich den Verfahrenstechnikern. Ihr wichtigstes Ziel in der Designphase ist es, ihren internen Entscheidern so schnell wie möglich Prototypen zu präsentieren. Damien und seine Teams kamen auf eine fantastische Lösung. Sie investierten in Technik im Entwicklungsstadium (Metallbearbeitungsmaschinen, Öfen, Prüfstände), die eingesetzt werden konnte, um neue Teile in unter einer Woche zu entwickeln und zu testen. Das war eine Revolution im Luftfahrtsektor, was JPB bald bei einer Reihe von Ausschreibungen den Zuschlag sicherte.
Es gab aber auch Anlass für neue Sorgen, weil das Unternehmen zu klein war und dadurch das Größenkriterium nicht erfüllte, das potenzielle Käufer für ihre Zulieferer vorgaben. Daraufhin wandte sich Damien an lokale Mitbewerber und tat sich mit ihnen zusammen, um eine Größe zu erreichen, die von großen englischen oder US-amerikanischen Kunden als ausreichend erachtet wurde.
Neben diesen rein psychologischen Fragen bestand da aber auch noch die grundsätzliche Notwendigkeit, dass die Leistung stimmen musste. Sind kleine Unternehmen von großen Konkurrenten umgeben, kämpfen sie manchmal ums nackte Überleben. Damien merkte schnell: Er würde die verschiedenen Facetten seiner Fertigungsfunktion integrieren müssen, wenn er eine Chance haben wollte, die üblichen Lieferfristen in der Luftfahrtlieferkette einzuhalten. Das spielte angesichts seines persönlichen Ehrgeizes eine besondere Rolle, denn dieser schloss von vornherein aus, dass sich JPB bei der Arbeit an einem eher mittelmäßigen Servicestandard orientierte. Am Ende stand eine strategische Entscheidung, die Produktion nach und nach ins eigene Unternehmen zurückzuholen. Dabei entschied sich Damien auffallend oft für die Automatisierung möglichst vieler Prozesse, um weiterhin in Frankreich investieren zu können. Das wiederum wirkte sich auf die hausinternen Designabläufe aus, aber auch – worin sich seine Bereitschaft zu disruptiver Innovation niederschlug – auf das maßgeschneiderte Informationssystem, das sich die Teams von JPB ausgedacht hatten. Damien schaute sich auch auf dem ERP-Markt um, doch keines der dort angebotenen Produkte konnte ihn wirklich zufriedenstellen – er fand sie zu vorsintflutlich und nicht reaktionsschnell oder benutzerfreundlich genug. Wieder meisterte er die Herausforderung, indem er „mit Input von zwei jungen Absolventen“ ein eigenes Produktionsausführungssystem (Manufacturing Execution System, kurz MES) aufbaute. Damit hielt er sich an die grundlegende Philosophie von JPB, die besagte: Lief etwas zu langsam, ließ es sich stets dadurch beschleunigen, dass Aufgaben ins eigene Unternehmen zurückgeholt und dessen hochmotivierte Teams darauf angesetzt wurden.
Heute ist das Unternehmen weit größer, doch Damien gestattet sich noch immer nicht, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Er vernetzt sich nach wie vor mit größeren Netzwerken, nutzt dafür heute aber andere Kanäle. Dazu gehören Beziehungen zu Hochschulen, Beiträge zum Gründungszentrum von Bpifrance und die Zusammenarbeit mit den Medien, um dem Unternehmen zu mehr Bekanntheit zu verhelfen und es für potenzielle fähige Neuzugänge attraktiv zu machen. Derartige Vernetzungen bilden irgendwie nach wie vor den Schlüsselfaktor für den Erfolg – vor allem bei kleinen Unternehmen, die gegen übermächtige Rivalen antreten.
Das Team vergrößern: Menschen sind wichtiger als Kompetenzen
„Das Allerschwierigste an diesem ganzen Unterfangen war zweifellos das Personalmanagement.“ Mit Blick auf all die Probleme, die er lösen musste, schlägt Damien mitunter sehr ernste Töne an. „Das Personalmanagement ist eindeutig ein wesentlicher Faktor für unseren Erfolg.“ Das war ihm aber nicht von Anfang an klar, und noch viel weniger, wie komplex dieses ganze Ressort werden würde – vor allem, wenn es schlechte Nachrichten zu übermitteln gab. „Am schwersten ist meiner Erfahrung nach, sich von jemandem zu trennen. Doch wenn es nötig ist, muss man den Mut dazu einfach aufbringen. Das ist gewöhnlich für beide Seiten viel besser.“ Einzuräumen, dass Fehler passieren können, ist Teil der Kultur von JPB – wieder ein Merkmal, das das Unternehmen mit der digitalen Welt gemein hat.
Ins Bild passt auch folgende Feststellung Damiens: „Es funktioniert nicht immer, wenn Beschäftigte aus dem technischen Bereich mit Führungsrollen betraut werden.“ Abgesehen davon kommt es vor allem anderen auf das Vertrauen zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft an. In der Organisation hat jeder seinen Platz, solang er gute Arbeit leisten will. Fand er jemanden im Vorstellungsgespräch sympathisch, bot er der oder dem Betreffenden einen Job an auf der Grundlage: „Über deine Position sprechen wir später.“ Das hat so gar nichts mit den starren Einstellungsverfahren vieler, wenn nicht der meisten Großunternehmen gemein. Vor Kurzem stellte Damien beispielsweise einen Bekannten ein, der zuvor CEO bei einem Mittelständler gewesen war. Der Betreffende erledigte in einer Übergangsphase beide Aufgaben und entschloss sich dann, die Vertriebsabteilung von JPB zu übernehmen. „Unsere Teams treibt eine Leidenschaft für das Geschäft an – und der Stolz, den sie empfinden, wenn sie zum Wachstum des Unternehmens beitragen.“ Stolz ist Damien auch auf das Tempo, in dem manche Manager die Karriereleiter erklettern, obwohl sie beim Einstieg kaum mehr als einen Berufsabschluss nachweisen können. „Ich arbeite auf Vertrauensbasis. Es gibt für jeden einen Platz, an dem er aufblühen kann. Ich kann dazu nur sagen: Je motivierter einer ist, desto schneller steigt er auf.“
Entscheidend sind also Vertrauen und auch unternehmerische Freiheit. Damien findet es stets amüsant, dass das Unternehmen so gut – vielleicht sogar besser – läuft, wenn er nicht da ist. „Es ist großartig, wenn mir ein Mitarbeiter den letzten Prototyp vorführt, sobald er aus dem Labor kommt. Die Leute sind ganz offensichtlich stolz auf ihre Arbeit – und wissen Sie was? Ich auch.“
Natürlich war es am Anfang nicht so einfach, fähigen Nachwuchs anzuwerben. Für manche Neuzugänge war der Wechsel zu JPB erst einmal mit Gehaltseinbußen verbunden. Mit der Zeit begeisterten sich aber viele für dieses außergewöhnliche Abenteuer – und die erste Kohorte neu angeworbener Beschäftigter übernahm letztlich eine Schlüsselrolle als Wegbereiter. Damien war mit seiner inspirierten Vision mit gutem Beispiel vorangegangen, aber das Umfeld im Unternehmen war dennoch stets durch strenge Vorgaben geprägt. „Manchmal forderte ich Maschinenlieferanten sogar auf, Teile noch einmal zu streichen, obwohl sie kaum sichtbar waren. Ich bin da knallhart, aber meine Überzeugung ist nun einmal, dass eine Fabrik ebenso sauber und ästhetisch ansprechend zu sein hat wie ein Labor.“ Kurz, Damien stellt an alles, was JPB tut, extrem hohe Ansprüche. Von Anfang an stellte er die Dinge infrage durch seine Entscheidung, Atome (also Maschinenbau) mit Bytes (Elektronik) zu kombinieren – eine Paarung, die bald zur Kernkompetenz des Unternehmens werden sollte. Diese Bereitschaft zur Revolutionierung der Unternehmenskultur zeigt sich auch in seinem Geschäftsgebaren, seinem Ansatz zur Lösung potenzieller Entwicklungs- und Produktionsprobleme und nicht zuletzt auch darin, wie er bei JPB Personal einstellt und entwickelt.
Alles in allem ist JPB Systems ein hervorragendes Beispiel für die Kreuzung der Digitalisierung mit der traditionellen Industrie. Generell gibt es jedoch eine ganze Reihe von Unternehmen, die wie Damien – ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein – in ihren Betrieben Transformationen à la Tesla vorangetrieben haben. Die folgenden Kapitel vermitteln ein genaueres Bild davon, wie sich die Tesla-Methode am besten beschreiben lässt. Dabei werden die zuvor angesprochenen sieben Dimensionen herangezogen.
„ERST 110 PROZENT GEBEN – UND DANN AUFS GAS TRETEN“: SODISTRA, DIE TESLA-METHODE IN REINKULTUR
Engpässe in Chancen verwandeln: Ein inspirierender Chef, der bewusst Zuversicht ausstrahlt
Château-Gontier im französischen Département Mayenne inmitten dreier dynamischer sektoraler Unternehmenszusammenschlüsse ist ein untypischer Ort – eine sehenswerte historische Kleinstadt mit einer ungewöhnlich hohen Unternehmerkonzentration. Hier investierte Erwan Coatanea vor fünf Jahren, als er ein Unternehmen übernahm, das innovative Luftaufbereitungsanlagen herstellte.
Erwan begleitete mich auf meinem Besuch der Anlage, die er im September 2013 erworben hatte – an einem Standort am Rande der Innenstadt. Die Fabrik ist in einer Ansammlung relativ moderner Gebäude auf den ersten Blick schwer zu erkennen. Der Grund dafür: Die hier errichteten Industrieparks sollen die umliegende natürliche Landschaft nicht verschandeln. Die Unternehmen bemühen sich sichtlich darum, dass die ganze Gegend sauber und ansprechend wirkt. Erwan wird ganz ernst, als er mir von den Anfängen erzählt: „Es war erst ungefähr vier Monate her, dass ich Sodistra gekauft hatte. Meine Frau und ich waren damit ohnehin ein großes Risiko eingegangen, doch dann kam die Gewerbeaufsicht und erklärte uns, dass an diesem Standort nichts den Anforderungen entsprach.“ Mit solchen Dingen hatte Erwan schon Erfahrung. Als er in die Autoindustrie einstieg, fiel sein Potenzial schnell auf, was darin gipfelte, dass ihm die Verantwortung für über 1.000 Beschäftigte übertragen wurde. Die Arbeit in einem großen Unternehmen sagte ihm aber nicht zu – er fühlte sich zu stark reglementiert. Daher entschloss er sich, seinen Posten aufzugeben und ein KMU aus der Aluminiumbranche zu übernehmen. Nach diesen beiden aufschlussreichen Erfahrungen fühlte er sich für Größeres gerüstet. Aus diesem Grund war das negative Prüfungsergebnis seines neuen Betriebs so kurz nach der Übernahme auch ein solcher Schock. Für Compliance-Zwecke waren gewaltige Investitionen in Höhe von mehreren Millionen Euro erforderlich.
Doch Erwan verkraftete die schlechten Nachrichten und löste seine Probleme. Der geborene Optimist sah in dem neuen Zwang eine Chance. Nachdem er gründlich über die Angelegenheit nachgedacht hatte, beschloss er, ganz einfach einen Neubau zu errichten. Das brachte erhebliche Risiken mit sich – und Kosten in Höhe von acht Millionen Euro, Maschinen eingeschlossen. Bei solchen Summen dachten am Anfang alle, er würde scheitern. Doch kaum fünf Jahre später hatte sich der Umsatz von Sodistra beinahe verdoppelt (von fünf Millionen Euro im Jahr 2013 auf neun Millionen Euro 2018). Die plausibelste Erklärung dafür: Erwan investierte nicht nur in sein Unternehmen, sondern revolutionierte es, indem er sein eigenes Transformationsprogramm unter der Devise „das Gestern, das Heute und das Morgen meistern“ lancierte.
Hinter diesem Slogan verbarg sich eine Fülle technischer und betriebswirtschaftlicher Veränderungen, angefangen bei einer spürbaren Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Darin schlug sich Erwans Vorstellung nieder, dass es Menschen sind, die das Herzstück jedes Systems bilden – ein Modus Operandi, der davon ausgeht, dass sich Führungskräfte und Belegschaft respektieren.
Ausführungsgeschwindigkeit – eine entscheidende Priorität für KMU
Nach einer Rundfahrt im Auto setzte mich Erwan schließlich auf dem Parkplatz der neuen Anlage ab. Dort herrschte eine magische Hightech-Atmosphäre, zu der ein ultramodernes Gebäude, ein gepflegter Rasen und eine ganz von Glas umschlossene Lobby beitrugen. Drinnen erwartete mich jedoch ein heftiger Kulturschock – aus ländlicher französischer Idylle wurde ich sozusagen in ein kalifornisches Start-up katapultiert. Im zentralen Großraumbüro saßen junge Ingenieure fröhlich Seite an Seite mit erfahreneren Kollegen. Die hohe Energie, die hier herrscht, ist förmlich greifbar. Alles hier erinnert eher an einen Bienenstock als an ein Büro in einem Industriepark. Gesprächen mit mehreren Teammitgliedern entnahm ich, dass diese Dynamik ganz allein auf den Chef zurückgeht. Wie mir jemand scherzhaft zuflüsterte: „Manchmal macht er uns fertig mit seinen 40 neuen Ideen am Tag.“ Doch im Ernst: Die Ausführungsgeschwindigkeit war bei Sodistra von Anfang an ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Schon beim Betreten des Produktionsbereichs merkte man, dass alles darauf ausgerichtet war, die Abläufe zu beschleunigen: kräftige Upstream-Investitionen, um so schnell wie möglich vom 3D-Plan zur physischen Anlage zu kommen, verbreitete Automation, integrierte Software, um Schneidemaschinen zu optimieren und inaktive interoperationelle Bestände zu minimieren, visuelles Projektmanagement et cetera. Schließlich waren Latenzzeiten beim Gewinnen von Marktanteilen und Wettbewerbsfähigkeit ein entscheidender Aspekt. Erwan machte immer wieder klar: Oberste Priorität hatte für ihn der Gedanke, dass der Kunde bei allem, was das Unternehmen tut, im Mittelpunkt steht. Abgesehen von diesen rein technischen Gesichtspunkten fokussierte er sich aber auch stark auf die Mentalität der Menschen und auf die Frage, wie sie zu Treibern des Wandels werden konnten. Das galt vor allem für ihn selbst. „Ich verbringe sehr viel Zeit mit den Menschen, die die eigentliche Arbeit tun, und versuche, meine Entscheidungen bis ins Letzte zu erklären. Das soll nicht heißen, dass ich sie anderen überlasse, sondern lediglich, dass jeder Einzelne begreifen soll, warum eine bestimmte Entscheidung getroffen wurde.“ Dadurch soll eine neue Methode entstehen, das Unternehmen zu führen. Organisationen müssen sich ständig weiterentwickeln, wenn sie schneller und wendiger werden wollen. Das gilt vor allem für das mittlere Management. Dazu Erwan: „Es ist total anachronistisch, zwischen den Arbeitnehmern und der Geschäftsleitung Filter zwischenzuschalten … Man muss einfache Entscheidungen treffen und diese den Leuten an der Basis verständlich machen. Sonst kann man nicht erwarten, dass sie sich daran halten.“ Auch die Personalpolitik war eine wichtige Stellschraube, um die neue Dynamik anzutreiben. Es sollte das richtige Verhältnis hergestellt werden zwischen jüngeren, energiegeladenen Beschäftigten und älteren Kollegen, die von langjähriger Berufserfahrung profitierten.
Bei altgedienten Mitarbeitern kam es stets auf Weiterentwicklung an („mit dem Strom schwimmen“ hieß das bei Erwan). Wer herumlief wie ein kopfloses Huhn, war fehl am Platz.
Ein offenes Ohr, Aufgeschlossenheit und Ehrlichkeit – drei Grundwerte für bleibende Konnektivität, von der alle profitieren
Der örtliche Unternehmerverband, der French Fab, das Gründungszentrum von Bpifrance, Kunden, Zulieferer, Kommunalbehörden – Erwan ist gut vernetzt. Von seinem Fokus lässt er sich aber dadurch nicht abbringen. „Ein Netzwerk beginnt damit, dass man alle im eigenen Umfeld beobachtet und ihnen zuhört. Das Streben nach Vernetzung ist natürlich, doch man muss akzeptieren, dass es nicht unmittelbar Resultate bringt. Das Wichtigste ist, sich anderen gegenüber zu öffnen und Beziehungen zu pflegen – alles zu seiner Zeit.“
Geht es darum, Absichten in die Tat umzusetzen, ist jedoch Vorsicht angezeigt – und auch die Beachtung ein paar allgemeiner Regeln. Erstens: Nur einen Kurs einschlagen, den man auch richtig versteht. Die Teams müssen unbedingt in der Realität verankert bleiben – will heißen, ihre Geschichte sollte nicht nur erzählt, sondern vielmehr schriftlich niedergelegt werden. Zweitens: Nie vergessen, dass der Kunde im Mittelpunkt steht. Dasselbe gilt auch für Kollegen an der Schnittstelle zwischen dem Unternehmen und seinen Märkten. Drittens und letztens: Es kommt auf die richtigen Machtverhältnisse an. Alle Interessengruppen, Kunden und Zulieferer sind zu respektieren, und das Ziel muss sein, dass alle dabei gewinnen. Erwan fasst seine Vision gern in der Sprache der Mathematik zusammen: „Wenn es nach mir geht, sollen Beziehungen bijektiv oder sogar injektiv sein, aber niemals surjektiv.“
In den Personalräumen von Sodistra erzählte Erwan eine Anekdote, die diese geistige Haltung mustergültig vermittelte. Neben einem Kickertisch, den er gekauft hatte, als die Fabrik den Betrieb aufnahm, befanden sich in Kisten unter dem Tisch ein paar 3D-Drucker und etwa 20 blaue Plastikgockel. Weil Erwan neugierig auf die 3D-Technologie war und wissen wollte, wie sie funktionierte, hatte er die Geräte 2015 gekauft. Da aber niemandem eine sinnvolle Nutzung einfallen wollte, standen sie monatelang ungenutzt herum. Eines Tages stellte Erwan einen jungen Bewerber ein, der sich begeistert auf so ein Gerät stürzte und es ausprobierte, um sich im Umgang mit der Technik zu schulen. Dann bat Erwan Bpifrance, einen blauen Plastikhahn als physische Wiedergabe des Logos anzufertigen, das für die French-Fab-Initiative (made in France) ausgewählt worden war. Der Test verlief erfolgreich, und seither sind die Geräte ständig in Betrieb und spucken so gut wie alle der kleinen blauen Plastikvögel aus, die überall auf den von dieser öffentlichen Investitionsbank organisierten Veranstaltungen zu sehen sind. Das hat nichts mit Sodistras Kerngeschäft zu tun, stellt aber ein großes Abenteuer voller Chancen dar, die sich im Zusammenhang mit dem Netzwerkeffekt ergeben – und gleichzeitig kann das Unternehmen sich so bestimmte 3D-Kompetenzen aneignen, die ihm bei der Entwicklung künftiger Systeme von Nutzen sein können.
Wie aus Spaß und Ehrgeiz Wachstumstreiber werden
Die nächste Frage war, wie man Teams zusammenstellen und ihre Entwicklung in einem Kontext fördern konnte, in dem das Unternehmen gleichzeitig rasch wuchs und eine echte Transformation durchmachte. Von Anfang an war Sodistras Lösung gewesen, sich zunächst auf die Wünsche und Motive der Menschen zu konzentrieren, dann erst auf die Erweiterung ihres Know-hows. Erwan war der Überzeugung: „Das Wichtigste ist, Leute zu finden, die dazulernen und Ziele erreichen wollen.“ Anders ausgedrückt: Man lernt am besten, indem man sich auf Erreichbares konzentriert, statt auf die Hindernisse, mit denen man sich auf dem Weg dorthin konfrontiert sieht. Es geht nur um die geistige Haltung des Betreffenden, die vor allem anderen handlungsorientiert sein muss. Als Konzept ist Erfahrung daher für Beschäftigte, die im Unternehmen aufsteigen wollen, unabdingbar. Je öfter sich Gelegenheiten ergaben, dazuzulernen, desto eher konnten die Leute daraus Kapital schlagen. Das bedeutete allerdings nicht, dass nicht gelegentlich auch Schulungsmaßnahmen zum Erwerb formeller neuer Kompetenzen erforderlich waren – nur, dass stets beide Ansätze wichtig genommen wurden. Aus diesem Grund musste der Chef dafür sorgen, dass der gesamte Prozess so fließend wie möglich blieb, von der Einstellung bis zur ständigen Weiterbildung. Die Teams müssen außerdem Zugriff auf sämtliche Instrumente haben, die ihre Erfolgschancen maximieren könnten.
Per saldo ist Sodistras Erfolgsgeschichte in erster Linie ein kollektives Abenteuer, eine eindeutig von Erwan betriebene Veränderung auf der Grundlage der von ihm vorgegebenen Vision, seiner Unterstützung bei der Beschleunigung des Prozesses und der Art und Weise, wie er das Unternehmen mit seinem Ökosystem vernetzt hat. Besonders zu beachten ist allerdings, wie das gesamte Team dieses Wachstum und diesen Erfolg erlebt hat. Erwan hat großartige Kollegen, Menschen, die stets ihr Bestes geben wollen, jeden Tag – auch und vielleicht sogar vor allem, wenn sie auf Widerstand stoßen. Abschließend steht hinter Sodistra die Begeisterung einer ganzen Familie. Erwan sagt oft, seine Frau Anne sei „seine Inspiration“. Sie war von Anfang an mit von der Partie. In der Summe ist Sodistra also mehr als ein Unternehmen – nämlich ein menschliches Abenteuer.
Mit markigen Worten beschreibt Erwan selbst am treffendsten, wie Sodistra die Tesla-Methode umsetzt: „Erst 110 Prozent geben – und dann aufs Gas treten.“