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Wir waren jagen

Wir waren jagen. Rayl, Lois und ich. An einem sonnigen Tag im Frühling. Damals sah ich es zum ersten Mal. Ich muss etwa acht Jahre alt gewesen sein. Wir hatten Ferien und Hanne war verreist. Die Welt gehörte uns. Ich hatte großes Glück. Die meisten älteren Geschwister schlossen die jüngeren aus, doch ich wurde überall hin mitgenommen. Rayl sagte, dass es ihm nichts ausmachte. Er und Lois waren unzertrennlich und ich wurde eingeladen, dabei zu sein. Ich fühlte mich geborgen und geliebt. Es war schön, weil ich eine Familie hatte. Schwester und Bruder und Mutter.

Wir waren jagen. Rayl, Lois und ich. Durch den Wald sind wir gelaufen, haben Fußspuren von Rehen und Wildschweinen gefunden. Einen Fuchs haben wir gesehen und Vögel, die von Ast zu Ast sprangen. Sie riefen sich Geheimnisse zu, die wir nicht verstanden. Im Sonnenlicht leuchtete ihr Gefieder golden, so wie meines, hätte ich Flügel. Wir waren am See und an der Brücke, haben versucht, Fische zu fangen. Rayl hat ein Netz aus Stoff gebaut, Lois stand im Wasser, ich sammelte Muscheln. In eine trat ich und es blutete. Ich sah, wie mein Blut von den Wellen davongespült wurde. Ich sagte ihnen nichts davon, sondern drückte heimlich ein Taschentuch auf die Stelle. Sie sollten sich nicht sorgen. Wir sollten nicht nach Hause gehen.

Sie achten zu viel auf mich.

Am Hochsitz war Lois in ihrem Element. Sie kletterte nach oben und hielt Ausschau nach Tieren. Wir folgten ihr, schauten durch das Laubwerk, achteten auf jede Bewegung und horchten auf die Geräusche des Waldes. Malerisch unberührt war die Natur, malerisch unberührt unser Gemüt. Da sah ich es. Das Monster. Es verbarg sich hinter den Bäumen und ließ uns nicht aus den Augen. Mein Blut hat es angelockt. Es folgte uns überall hin. War dabei, als wir auf der Holzbank Rast machten und auch, als wir zum Schuppen gingen. Rayl und Lois sahen es nicht. Sie sahen nie das, was ich sah. Ich erzählte ihnen davon, doch sie hörten nicht hin.

Für sie existiert nur diese eine Welt, ihre eigene.

Wir waren jagen. Aßen zusammen, spielten zusammen, ließen die Zeit verstreichen. Es war unvergesslich, und manchmal gelang es mir, das Monster nicht zu sehen. Mich nicht vor ihm zu fürchten. Doch als ich vor dem Schuppen auf dem Baumstamm saß und über die Felder schaute, trafen sich unsere Blicke. Ich wusste plötzlich, es lag auf der Lauer, um uns zu trennen. Um uns auseinanderzureißen wie Beute. Es wartete auf den einen Moment, in dem wir uns zu weit voneinander entfernten, dann schlug es zu.

Er kam, dieser eine Moment, denn manche Dinge sind unvermeidbar.

Goldrote Finsternis

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