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Kapitel 10

Rayl nahm Asche in die Hand und ließ sie durch die Finger rieseln. Feuer zerstörte, doch es reinigte auch die Erde, damit daraus etwas Neues wuchs. Das hatte Ilyan vor sechs Jahren gesagt. Mit Ruß auf den Wangen und getrocknetem Blut auf der Haut. Das gestern war wirklich passiert. Wirklich und wahrhaftig. Niemand wusste, was folgte oder wohin das Flußwalde führte.

Das Klingeln seines Smartphones riss Rayl aus den Gedanken. Er klopfte sich an der Jacke die Hände ab und zog es aus der Hosentasche. Auf dem Display las er Hannes Namen über einem unscharfen Selfie, das sie zu zweit vor ein paar Jahren aufgenommen hatten. Auf sein Drängen hin, denn Hanne mochte diese gestellten Fotos nicht.

Da war sie ohne Ankündigung in aller Früh aufgebrochen, ignorierte seine Anrufe und Nachrichten und meldete sich nun wie eh und je aus dem Blauen heraus.

»Guten Morgen, Hanne.«

»Guten Morgen, Rayl«, sagte sie und es raschelte im Hintergrund. »Hattest du eine geruhsame Nacht?«

Ob er ihr sagen sollte, dass er kein Auge zubekommen hatte, weil Lois’ Worte durch seinen Kopf gespukt waren? Dass er wie paralysiert auf dem Bett gelegen hatte, immer wieder aufgestanden war und sich jetzt wie ein lebender Toter fühlte?

»Es geht, war viel los«, antwortete er, »aber es war bei dir anscheinend nicht anders oder weshalb bist du so früh aufgebrochen?«

»Wie aufmerksam du bist, dass dir das aufgefallen ist. Ich konnte gar nicht gut schlafen. Immer musste ich daran denken, wem etwas passiert sein könnte. Stell dir vor, das Mietshaus der von Erlens ist abgebrannt. Unser guter Bürgermeister liegt im Krankenhaus, sein Zustand ist kritisch und es hat wohl auch einen Feuerwehrmann erwischt. Er musste mit starken Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein Desaster.« Sie machte eine Pause. Im Hintergrund hörte er ihre Schritte und das regelmäßige Tock-Tock ihres Krückstocks, der auf Stein traf. »Die Scheune daneben war auch betroffen. Das Getreide hat lichterloh gebrannt und ist verloren. Ein furchtbarer Verlust. Ein Erdbeben, ich bin immer noch sprachlos.«

»Ich auch, mit sowas rechnet doch niemand. Überschwemmungen oder Hagel, ja, aber das?«

»Na ja, meine Großtante mütterlicherseits hat schon damals gesagt, mit der Erde in Flußwalde ist etwas nicht ganz koscher. Sie meinte, man weiß nie, was daraus hervorkriecht. Würde sie noch unter uns weilen, hätte sie das Beben sicherlich Wochen im Voraus angekündigt.«

Rayl massierte seine Stirn und verkniff sich einen Einwand. Jedes Unglück auf der Welt erklärte Hanne mit einer Geschichte über ihre Großtante. Hochwasser im Süden? Ihre Tante, die nach dem Krieg mit eigenen Händen den Schutt weggeschafft hatte, die juckte es stets im Zeh, wenn die Wassermassen kamen. Völlig egal, ob das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte. Ihr zu widersprechen brachte sie nur dazu, noch mehr »offensichtliche« Beweise zu präsentieren.

»Was ich eigentlich wollte, Rayl. Wärst du so lieb und holst mir für heute Abend ein paar Eier und eingelegte Gurken aus dem Supermarkt? Ich schaffe es nicht hin und nehme an, du bist nicht in die Stadt zum Arbeiten gefahren?«

Arbeit, richtig, bei all den wirren Gedanken in seinem Kopf war ihm glatt entfallen, dass er sich krank gemeldet hatte und blau machte.

»Ich ähm, bin noch auf dem Weg in die Stadt. Sitze im Zug«, antwortete er und spürte augenblicklich wie Hitze von seinem Bauch ins Gesicht schoss. Hoffentlich merkte sie das nicht. Schweigen am anderen Ende der Leitung.

»Rayl«, sagte sie mit sanftem Ton, »der Empfang auf der Zugfahrt ist fürchterlich. Würdest du im Zug sitzen, könnte ich das hören.«

Er spürte, wie seine Finger kribbelten und sich sein Magen zusammenzog. Jetzt dachte sie mit Sicherheit, dass er sich vor ihrer Bitte drückte, obwohl er ihr nur nicht hatte erklären wollen, wieso er sich unbegründet krank meldete. Nicht, dass sie sich unnötig Sorgen machte.

»Tut mir leid«, antwortete er. »Ich war auf dem Weg zum Bahnhof und stand vor dem Zug, aber als ich …«

»Schon gut, Rayl. Holst du mir also die Sachen aus dem Supermarkt?«

»Klar«, entgegnete er kleinlaut und betrachtete erneut die Asche zu seinen Füßen. Könnte er sich doch auflösen und zu Staub zerfallen, dann würde er sich in alle Winde zerstreuen und irgendwo anders neu anfangen. Vielleicht sollte er das tun, neu anfangen, alles zurücklassen, nicht mehr nach hinten schauen.

»Du bist der Beste«, sagte Hanne mit fröhlicher Stimme. Er stellte sich vor, wie ihre Augen strahlten, wenn sie nach Hause kam und der Einkauf auf sie wartete. Die Vorstellung schenkte ihm Frieden und eine wohlige Wärme fuhr durch seinen Körper. Ohne sie wäre es wahrlich unerträglich.

»Fehlt dir sonst noch etwas?«

»Nein, nein, das reicht mir. Und mach dir keine Sorgen wegen des Jobs. Du bist eh unzufrieden, ein Tag zu Hause schadet nicht. Man lebt ja nur einmal.«

Damit verabschiedete sie sich und legte auf.

Er ließ sein Smartphone wieder in der Hosentasche verschwinden und seufzte. Manchmal fühlte er sich einfach ausgebrannt. Es gab keinen offensichtlichen Grund dafür, die Arbeit war anstrengend aber okay, er hatte ein Dach über dem Kopf und ein Zuhause. Trotzdem war es so. Manchmal fehlte ihm einfach die Luft zum Atmen.

Goldrote Finsternis

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