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Fokus auf das Politische

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In der Politik ist relevant, was politisch ist – also nicht so sehr, was den Einzelnen im stillen Kämmerlein bewegt, sondern was er mit anderen in der politisch verfassten Gemeinschaft zu verhandeln hat. Wobei es zu den elementaren Einsichten des Liberalismus gehört, dass es zwischen diesen beiden Sphären einer sauberen Trennung bedarf. Das Hochgefühl der Freiheit hingegen, das zum Beispiel den Seemann auf seiner Barke erfasst, den Skifahrer im Abfahrtsrausch, den Wanderer am Gipfelkreuz, das jauchzende Kind auf der hoch hinaufschwingenden Schaukel und den jungen Menschen, der zum ersten Mal eine eigene Wohnung bezieht – es ist beglückend, aber es gehört analytisch schlicht nicht hierher oder allenfalls nur insofern, als sich die Frage stellt, was denn die Politik dafür zu tun und vor allem zu unterlassen hat. Und dennoch ist für den politischen Kontext das Hochgefühl der Freiheit darin bedeutsam, dass es in Erinnerung ruft, wie stark in der menschlichen Natur die Sehnsucht nach Grenzenlosigkeit ausgeprägt ist, aber auch allgemein nach Möglichkeiten, nach Selbstbestimmung.

Im Politischen geht es um die Freiheit in ihrer externen Facette; die Varianten A und C im Schaubild sind hier mithin nicht unmittelbar relevant. Es geht insbesondere um die «grosse Freiheit» in Variante D, die auf das «Verhältnis von Individuum und Staat hin entworfen ist», wie es der Zeithistoriker Paul Nolte einmal formuliert hat.5 Wobei diese Definition durchaus nicht ausschliesst, sondern einschliesst und sogar erfordert, sich mit dem zu befassen, was zwischen Individuum und Staat liegt, der Bürgergesellschaft. Im Politischen jedoch geht es um den Menschen in der Gemeinschaft, um das Individuum im Kollektiv, im selbst gewählten wie im schicksalhaften, auf allen Ebenen der Staatlichkeit und auch der auf dieser Grundlage eingegangenen supranationalen Bindungen und Verbindungen.

Es geht um alle Interaktionen von Menschen, die dazu führen, dass der Aktionsradius des einen den des anderen begrenzt – und mithin auch nicht nur im wirtschaftlichen Bereich. Die gängige Unterteilung des Freiheitsbegriffs in «politische Freiheit» und «wirtschaftliche Freiheit» suggeriert fälschlich, dass sich die Freiheit departementalisieren lässt. Die Freiheit ist unteilbar. Derartige Adjektive ergeben nur Sinn, wenn spezifisch die Freiheit in einer bestimmten Sphäre wie der Politik oder der Wirtschaft, dem Staat oder dem Markt von Interesse ist. Doch in allen Sphären entspringt die Freiheit derselben Wurzel, ist sie Teil eines Ganzen. Im Nachdenken über die Freiheit dabei stets beim einzelnen Menschen anzusetzen, bedeutet im Übrigen keineswegs, wie Liberalen gelegentlich unterstellt wird, einer Individualisierung der Gesellschaft das Wort zu reden. Im Gegenteil: Nur mit einer solchen konzeptionellen Vorgehensweise kann man sich logisch darum bemühen, dass niemand im abstrakten Kollektiv unter die Räder kommt.

Viele Liberale bringen gegen das Konzept der positiven Freiheit im Politischen vor, dass dieses beinahe jede Form von materieller Umverteilung zu rechtfertigen vermag – und damit fast jeden Eingriff in das Eigentum und damit in die Freiheit anderer. Auch wenn das Argument stichhaltig ist, stellt dieser materielle Fokus einen Irrtum dar. Das eigentliche Problem liegt auf einer anderen Ebene: in der Einmischung anderer in die Definition dessen, «wer ich bin» und werden soll (Variante B im Schaubild). Isaiah Berlin sprach in diesem Zusammenhang von einer «monstrous impersonation».6 Aus liberaler Sicht problematisch ist hier erstens schon die zugrundeliegende Unterscheidung zwischen einem geringeren, vorläufigen Ich und einem höheren, wirklichen Ich; zweitens der implizite Imperativ, dass es sich vom einen zum anderen zu bewegen gelte; drittens die Möglichkeit, dass das Erkennen meines Potenzials und die Entscheidung über den Grad, zu dem ich es verwirkliche, nicht mir selbst obliegt. Aus dieser Problematik ergibt sich gerade im Politischen ein Vorzug für die negative Freiheit, also für einen nicht invasiven Freiheitsbegriff, aus dessen Perspektive jeder Person ihre Selbstverortung, Selbstbestimmung und Selbstentfaltung zu überlassen ist. Es bleibt mithin nur Variante D im Schaubild: «A free man is he that […] is not hindered to do what he has a will to do», wie schon Thomas Hobbes schrieb.7

Für die Politik bedeutet das, dass jede kollektive Entscheidung und jede staatliche Massnahme unter dem Kriterium zu betrachten sind, ob Bürger mittels Zwang davon abgehalten werden zu tun, was sie möchten. Über den Begriff des Zwangs wiederum kann man sich auch lange streiten: Was ist überhaupt Zwang, und unter welchen Bedingungen ist er zulässig? Friedrich August von Hayeks nicht maximal scharfe, aber abgewogene Herangehensweise erscheint plausibel und praktikabel. Sie bindet die Ausübung von Zwang durch den Staat strikt an das Kant’sche Willkürverbot, toleriert ihn also allenfalls unter der Herrschaft des Rechts und dem Diskriminierungsverbot, und unterwirft ihn auf dieser Grundlage noch dem «harm principle» sowie dem Gebot der Verhältnismässigkeit.8 Gemäss dem «harm principle» nach John Stuart Mill gilt, dass «der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gemeinschaft ausüben darf, der ist: die Schädigung anderer zu verhüten».9

Die Freiheit nimmt dabei eine besondere Stellung gegenüber anderen Werten und Zielen ein, die in der Politik verfolgt werden können: der Gerechtigkeit, der Gleichheit, dem Frieden, der Sicherheit, und was einem sonst noch so einfällt.10 Auf der Ebene der individuellen Tugenden ist sie eine vorgelagerte, universelle Voraussetzung: Erst wo Menschen in Freiheit leben, ergibt es Sinn, an sie die Aufforderung zu richten, sie mögen sich gerecht verhalten. Ein im Nachhinein vom Ergebnis her als gerecht oder ungerecht beurteiltes Handeln verdient diese Bezeichnung nicht, wenn der handelnde Mensch unfrei war und deshalb nicht über die Möglichkeit der Entscheidung verfügte. Auf der gesellschaftlichen Ebene gilt dasselbe, soweit es um die grundsätzliche Legitimation von staatlicher Ordnung und kollektivem Handeln geht: Gleich, ob man über Freiheit oder Gleichheit oder Gerechtigkeit nachdenkt, man bedarf dafür derselben individualistischen Prämissen, desselben Ausgangspunkts in der Würde des einzelnen Menschen und, zumindest in einer kontraktualistischen Herangehensweise, derselben Unterwerfung unter den Vorbehalt der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit.

Unterhalb dieser Metaebene jedoch verändert sich das Verhältnis zwischen der Freiheit und anderen Werten wie der Gerechtigkeit und der Gleichheit; hier kommt es durchaus regelmässig zu einer Konkurrenz. Ein Zuviel an Gleichheit, zum Beispiel, sofern sie nicht konzeptionell allein auf die rechtliche Gleichheit beschränkt ist, bedroht die Freiheit. Freiheit ohne Berücksichtigung der Gerechtigkeit ist auch keine Option. In der Politik besteht die Kunst dann darin, eine Balance zu finden und die Konkurrenz der beiden Ziele in eine Komplementarität zu überführen. Die Welt der Werte und der politischen Ziele ist plural. «Human goals are many, not all of them commensurable», befand Berlin:11 Nicht immer lassen sich diese Ziele ohne Weiteres harmonisch aufeinander ausrichten, manchmal widersprechen sie einander. Deshalb gilt es wohlinformiert und klug abzuwägen, fair zu verhandeln und bewusst nach Einigungen zu suchen, sich in Respekt und Toleranz zu üben, Spannungen auszuhalten und sich mit nicht maximalen Zielerreichungsgraden abzufinden.

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