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Über den Liberalismus hinaus. Freiheit, das «Gattungswesen» Mensch und ökologische Abhängigkeiten Raul Zelik

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Die These, dass der Rechtspopulismus auf dem Weg sei, die liberale Gesellschaft zu zerstören, gehört wohl zu den abgedroschensten Floskeln des Tageszeitungsjournalismus. Ausser Frage steht jedoch, dass die neue Rechte überall eine autoritäre politische Wende im Staat forciert und gleichzeitig gegen jene «Minderheiten» mobilmacht, die sich in den vergangenen Jahrzehnten mühsam Anerkennung und eine gewisse Gleichstellung erkämpft haben: Nichtweisse, Migrantinnen und Migranten, LGBTQ-Menschen und Frauen, die zwar nie eine Minderheit waren, aber von der maskulin dominierten («Mehrheits-»)Gesellschaft wie eine behandelt wurden. Die neue Rechte will den Ausbau von Armee, Justiz und Polizei und greift zugleich die gesellschaftliche und kulturelle Differenz an. Die Anerkennung sexueller Identitäten wird als «Toiletten-Debatte» lächerlich gemacht, Gleichstellungsbemühungen werden als «Gender-Gaga», die Ächtung rassistischer Begriffe als «Sprech- und Denkverbote» attackiert.

Hinter dieser Offensive steckt ein eigentlich leicht zu durchschauendes Manöver, das man mit Hannah Arendt als Wiederkehr des alten Bündnisses von «Mob und Eliten» bezeichnen könnte. Denn die neurechten Bewegungen setzen zwar auch auf eine Anti-Eliten-Rhetorik, doch hinter ihnen stehen fast überall Superreiche wie Donald Trump, Christoph Blocher, der deutsche AfD-Spender August von Finck oder der Medienzar Rupert Murdoch, der die Brexit-Kampagne finanzierte. Deren politisches Angebot besteht darin, die unter Druck geratene, weiss und männlich geprägte Mehrheitsgesellschaft gegen Ansprüche «von unten» zu mobilisieren. So drischt der Milliardär Donald Trump auf Migranten, Feministinnen und andere vermeintliche «Randgruppen» ein und erhält dafür den begeisterten Applaus eines weissen und männlichen Publikums, das zwischen Mittelschicht und Arbeiterklasse angesiedelt ist. Wie fast immer wird bei der Rechten in Anbetracht sich verschärfender ökonomischer Verteilungskämpfe von sozialen Widersprüchen abgelenkt und ein klassenübergreifender Pakt geschmiedet, der die Verteilungsfrage nach unten, nicht aber nach oben formuliert. In dieser Auseinandersetzung gerät dann auch der bürgerrechtliche Liberalismus unter die Räder, der den individuellen Rechten von Individuen gegenüber Staat und Mehrheit traditionell immer schon grosse Bedeutung beimisst.

Unseligerweise ist diese neurechte Diskursverschiebung auch von Teilen der Linken aufgegriffen worden. Das hat damit zu tun, dass sich vor allem in den USA in den vergangenen dreissig Jahren ein eigenartiges politisches Projekt formiert hat, das die US-amerikanische Soziologin und Feministin Nancy Fraser als «progressiven Neoliberalismus» bezeichnet. Es verbindet eine aggressive Wirtschaftspolitik im Dienst kleiner Finanzeliten mit durchaus fortschrittlichen, aber auf Symbole fokussierten Elementen der Anerkennungspolitik. Was bei Fraser allerdings als Aufruf an Frauen, antirassistische oder LGBTQ-Menschen gedacht war, ökonomische Forderungen stärker zu berücksichtigen und sich gegen die neoliberale Agenda zu positionieren, wurde von manchen Linken als Einladung verstanden, von rechts geschürte Ressentiments zu übernehmen.

In Deutschland beispielsweise schrieb die linke Politikerin Sahra Wagenknecht 2018 in einem Meinungsbeitrag, «Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz» seien «Wohlfühllabel, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren». Richtig an dem Hinweis war, dass der Neoliberalismus mit der Anerkennung anderer sexueller Orientierungen und Identitäten den reaktionären Kern seines Projekts verschleiert. Aber Wagenknecht nutzte gleichzeitig eben auch die Gelegenheit, um der antirassistischen oder LGBTQ-Bewegung ihre Bedeutung abzusprechen. Der Spiritus Rector der von Wagenknecht initiierten (mittlerweile allerdings wieder eingeschlafenen) Aufstehen-Bewegung, der Berliner Dramaturg Bernd Stegemann, ging noch einen Schritt weiter. Er knüpfte an den neurechten Spott über Gender-Debatten an, indem er die These vertrat, eine postmodern gewendete Linke habe «Hypermoralismus» und «paradoxe Sprachspiele» hervorgebracht. Für den Kapitalismus aber, so Stegemann weiter, sei die «offene Gesellschaft nur ein Türöffner, um die sozialen Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates zerstören zu können».

Als Reaktion auf diesen Affront bekannten sich nun wiederum andere Linke plötzlich trotzig zum Liberalismus. Sie feierten das bürgerliche Freiheitsverständnis und bezogen sich ausgerechnet auf das Konzept der «offenen Gesellschaft» von Karl Popper (1902–1994), das letztlich auf einen ziemlich platten Pluralismusbegriff hinausläuft. Denn Popper, der zu Lebzeiten wohl auch deshalb ein erbitterter Gegner der linken Frankfurter Schule gewesen war, weil er deren Gesellschaftskritik schlichtweg nicht verstanden hatte, propagierte einen unideologischen Antitotalitarismus, der es der Gesellschaft ermöglichen soll, sich immer auf die jeweils beste Lösung eines Problems zu verständigen. Dass das in der bürgerlichen Gesellschaft unmöglich sein könnte, weil das Prinzip der Gewinnmaximierung uns die meisten Entscheidungen abnimmt, lässt sich mit Popper nicht verstehen. Für den Totalitarismus kapitalistischer Warengesellschaften ist die Theorie der «offenen Gesellschaft» blind.

In diesem Wust von Diskursen ist zuletzt alles durcheinandergeraten: Rechte fantasieren weisse Männer als Opfer von Frauen und verrückten linksliberalen Akademikern. Linke versteigen sich zu der Wahnvorstellung, Antirassismus sei ein Projekt des Kapitals. Und antirassistische Linke halten plötzlich die seichteste Ideologie für ein taugliches Werkzeug im Kampf gegen rechts.

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