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Ein wenig Ökonomie

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Sich jeweils gründlich in die zu verhandelnde Materie zu vertiefen, um nicht an der klischeehaften Oberfläche der Dinge zu verharren, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Das bedeutet zum Beispiel, dass sich jemand, der aus Gründen der Gerechtigkeit für einen Mindestlohn ficht, Klarheit über die nicht nur kurzfristig erwartbaren Folgen verschafft und diese bewertet – unter dem Gesichtspunkt, ob die Massnahme in einer relevanten Frist mit Blick auf die eigene Absicht überhaupt zielführend ist. Ist dies der Fall, dann bleibt zu fragen, wie sie sich zu den Nebenwirkungen verhält. Als ordnungspolitisch relevante Nebenwirkung steht bei diesem Beispiel im Vordergrund, dass das Verfügungsrecht von Unternehmern beschnitten und dass die an der Knappheit orientierte (und zu ihrer Behebung beitragende) Koordination auf dem Arbeitsmarkt über Preissignale verzerrt wird.

Um das Gesamtbild zu bewerten, bedarf es nun nicht nur, aber auch ein wenig sperriger Ökonomie. Die preistheoretisch logisch unabweisbare Folge des Mindestlohns zum Beispiel ist, sofern die Nachfrage nach Arbeitskräften «elastisch», also preisempfindlich ist, eine geringere Zahl von angebotenen Stellen. Aber zunächst wäre empirisch zu klären, ob die Nachfrage denn elastisch ist oder nicht, beispielsweise weil das Umstellen auf Roboter in der Gastwirtschaft keine Option ist. Ist sie elastisch, ist ein Mindestlohn keine gute Idee – weder aus Gründen der Gerechtigkeit noch der unternehmerischen Freiheit. Ist sie nicht sonderlich elastisch, dann gilt es, die voraussehbare Reaktion der Arbeitgeber zu ermitteln: Können sie die zusätzlichen Kosten auf ihre Kunden überwälzen? Ist das dann gerecht? Entspricht das der ursprünglichen Absicht? Und welche ökonomischen Folgen zeitigt das? Bildlich gesprochen, tritt das volle Ausmass der unbeabsichtigten Nebenwirkungen einer Massnahme erst zutage, wenn alle Ringe gezählt sind, die sich um den ins Wasser geworfenen Stein ziehen.

Freilich lässt sich nicht alles abschliessend wissenschaftlich beurteilen, und die Ökonomie ist gewiss nicht die einzige dafür relevante Disziplin. Aber die ökonomische Theorie und ihre empirische Evidenz können zumindest helfen, eine Entscheidung auf eine halbwegs solide sachliche Basis zu stellen. Gleichzeitig sei vor einem «Ökonomismus» gewarnt: So manche politische Entscheidungen mögen wirtschaftlich gut begründet und sinnvoll sein, doch wenn man nicht bedenkt oder kein Gespür dafür besitzt, welche sozialpsychologischen Prozesse und politischen Dynamiken sie in Gang zu setzen vermögen, dann nützt das alles wenig – ein drastisches aktuelles Beispiel ist die ökonomisch gar nicht so unsinnige geplante Ökosteuer auf Benzin und Diesel in Frankreich, die wesentlich die Bewegung der «Gilets jaunes» hervorgerufen hat. Liberal inspirierte Politik kann nicht nur ökonomisch informiert sein; sie bedarf des Blicks und der Kompetenz in alle Richtungen. So oder so ist von allen, die sich auf die Freiheit berufen, Bereitschaft zum produktiven Selbstzweifel angezeigt, des ständigen demütigen Zweifels «daran, ob die gefundene Antwort wirklich die richtige ist, gegen alle Gewissheiten der Logik wie der geschichtlichen Entwicklung», 12 wie Peter Graf Kielmansegg schreibt. Liberalismus ohne Anerkennung des Pluralismus, ohne Skepsis gegenüber absoluten Wahrheitsansprüchen, ohne Selbstzweifel und ohne Toleranz wäre dogmatisch, lebensfern und schlichtweg inhuman.

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