Читать книгу Einmal Steinzeit und zurück ... - Monika Arend - Страница 11

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Vanessa saß auf ihrem Lieblingshandtuch, das mit einem Sonnenuntergangsmotiv bedruckt war, und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Sie versuchte, an nichts zu denken. Eine Illusion! Ihr Leben war aus dem Ruder gelaufen und in ihrem Kopf tobte ein Orkan.

Sie hätte es merken müssen. Toni hatte nie begehrend ihren Körper betrachtet oder sie zärtlich berührt. Hatte sie höchstens mal flüchtig auf die Wange geküsst.

Zwar verspürte sie nicht mehr das Bedürfnis, sich zu ertränken, was ihr sowieso nicht gelungen wäre, aber sie wollte sich auspowern. Sie erhob sich. Setzte sich zum Schutz gegen das Salzwasser eine Schwimmbrille auf. Machte Trockenübungen, trabte Richtung Meer und stürzte sich in die Fluten. Das Wasser war eisig. Vanessa schwamm zunächst gemächlich. Die Haut auf den Schenkeln prickelte. Oberarme und Ellbogen fühlten sich bereits nach kurzer Zeit taub an. Daher erhöhte sie das Tempo. Bald kraulte sie, als ob sie einen Wettbewerb gewinnen wollte. Der Restalkohol war längst abgebaut.

Nach einer guten Weile verließ sie das Meer wieder und sank zurück auf das Handtuch. Das Salzwasser lag in dicken Tropfen auf dem Körper und das Haar klebte an den Schultern. Das Glücksgefühl, das sie kurzzeitig verspürt hatte, kehrte sich schnell in eine innere Leere um. So hatte sie sich zuletzt am Tag der Auswanderung ihrer Eltern nach Australien vor drei Jahren gefühlt, dem bisher emotionalsten Moment ihres Lebens.

„Ihr könnt mich nicht alleine lassen“, hatte sie mit Tränen in den Augen gesagt, als sie von den Plänen erfahren hatte.

„Komm doch mit, Nessa!“, schlug die Mutter vor. „Wenigstens für ein paar Monate!“

So einfach verhielt es sich aber nicht. Vanessa hatte einen Beruf, eine Wohnung, Freunde und lebte gerne im Rheinland. „Vielleicht später!“, hatte sie geantwortet.

Später war sie Toni begegnet und alles hatte sich richtig angefühlt. Der anspruchsvolle Job, die Maisonette und das prominente Umfeld.

Aber nun musste sie quasi bei null anfangen.

„Ich schaffe das!“ Vanessa ballte die Faust.

Sie erhob sich, hüpfte auf und nieder und beschloss, einen Spaziergang zu machen. Die Bucht maß von einem Ende zum anderen vermutlich wenige Hundert Meter. Durch die eintretende Ebbe dehnte sich der Strand allerdings weiter aus.

Ein Pärchen lag eng umschlungen an einem großen Felsen, der aus dem Sand ragte. Eine portugiesische Familie packte laut diskutierend die Picknickutensilien zusammen. Holländisch sprechende Kinder spielten Fußball. Die Flut hatte unzählige Muscheln angeschwemmt. Vielleicht war ein schönes Exemplar für Evelyn dabei. Sie sammelte ausgefallene Muscheln. Vanessa lief noch einige Zeit hin und her, dann zückte sie ihr Smartphone. Keine neue Nachricht. Evelyn war bestimmt im Stress. Und Toni? Ob er schon zu Hause war? Er hatte sicher keine Kosten und Mühen gescheut, von hier wegzukommen. Ach, was kümmerte es sie? Sie würde den Kontakt zu ihm auf Sparflamme halten. In das gemeinsame Zuhause würde sie nur zurückkehren, um ihre Sachen zu holen. Aber wo wollte sie in Zukunft wohnen? Sie ging eine Reihe von Freunden, Bekannten und entfernten Verwandten durch, aber es war niemand dabei, der ihr spontan Unterschlupf gewähren konnte. In der Großstadt würde es schwierig werden, sofort ein Zimmer oder Appartement zu finden. Aber Evelyn wusste sicher Rat.

„Wenn du Hilfe brauchst, ich bin immer für dich da“, hatte Toni mehr als einmal gesagt.

Seine Hilfe brauchte sie am allerwenigsten. Sie würde es alleine schaffen. Musste jetzt einen Schritt nach dem anderen gehen.

Vanessa erblickte ein Paar, das einem Kleinkind warme Sachen anzog. Ob der Meisterkoch ein guter Vater gewesen wäre? Hätte er sich die Zeit genommen, mit dem Nachwuchs am Strand zu tollen oder auf einen Spielplatz zu gehen? Tonis Leben bestand überwiegend aus dem Zubereiten von Gerichten. Das konnte er allerdings hervorragend.

Schluss mit Toni-Gedanken! Fasziniert ließ sie den Blick durch die Bucht schweifen. Jeder Fels schien handgeformt an den für ihn vorgesehenen Platz gesetzt worden zu sein. Auf einem Gesteinsbrocken, der an eine gigantische Haifischflosse erinnerte, ließen Kormorane das Gefieder trocknen. Links auf einem Plateau hockte ein Angler. Er hatte einen ungepflegten Bart und das helle, filzige Haar, das im Kontrast zur dunklen Haut stand, reichte weit über die Schultern. Er erinnerte Vanessa an einen Steinzeitmenschen. Wenn sie sich ihr Essen selbst angeln müsste, würde es auf eine Nulldiät hinauslaufen.

Sie würde sich direkt nach ihrer Rückkehr um einen neuen Job kümmern, sonst konnte sie sich demnächst neben den Mann setzen und darauf warten, dass er ihr etwas abgab. Aber so weit war es ja noch nicht. Toni hatte sie gebeten, weiterhin als seine persönliche Assistentin tätig zu sein. Das kam für sie jedoch nicht infrage. Sie wollte die Zusammenarbeit sofort beenden. Schon wieder kreisten ihre Gedanken nur um Toni. Sie musste sich ablenken.

Sie drehte erneut eine Linkskurve, denn sie hatte die Mauer erreicht, die die Bucht vom angrenzenden Strand trennte. Rechts lag nun die gewaltige Felswand mit einer riesigen Höhle, die an eine Bühne erinnerte. Mittendrin saß eine Katze und starrte ins Leere. Weiter hinten erkannte Vanessa Gegenstände. Bestimmt lagerten Fischer hier ihre Utensilien.

Sie erinnerte sich daran, was sie am Vorabend irritiert hatte: ein Lichtschein. Nun sah sie den Schlafsack. In der Grotte wohnte jemand. War das nicht zu kalt nachts? Vanessa hatte trotz warmer Jacke gefroren, was wahrscheinlich auch der verfahrenen Situation geschuldet war. Plötzlich fiel es Vanessa wie Schuppen von den Augen. Der Angler mit der wilden Haarpracht lebte in dieser Höhle. Seiner Hautfarbe nach zu urteilen wahrscheinlich schon seit Monaten. Aus welchem Grund? Liebeskummer? Oder handelte es sich um einen Straftäter? Vielleicht hatte er einfach die Nase voll von der Überflussgesellschaft.

„Irgendwie verstehe ich ihn sogar. Gibt es einen schöneren Platz zum Leben?“, dachte Vanessa. „Wir könnten ja eine Selbsthilfegruppe gründen. Er hört sich meine Probleme an und ich kümmere mich um seine Themen.“ Sie schmunzelte beim Gedanken, wie sie beim Grillen über Gott und die Welt reden würden.

Die Sonnenstrahlen erreichten den Strand kaum noch und mit der schwindenden Wärme verzogen sich die Badegäste.

Nachdem Vanessa unzählige Male am Wasser hin- und hergelaufen war, sank sie zurück auf das Badetuch. Sie verspürte keine Lust auf das Hotelzimmer.

Vor ihr ragte eine riesige Felsformation aus dem Meer. Das Profil erinnerte sie an ein Frauengesicht. Obenauf ein Haarbüschel, darunter die Augenhöhlen, ein spitzes Näschen und die Mundpartie mit leicht geöffneten Lippen. Man musste der Fantasie nur freien Lauf lassen.

Allmählich wurde Vanessa ruhiger. Sie legte sich hin. Die Gedanken hörten auf zu kreisen und das Wellenplätschern sang sie in den Schlaf. Plötzlich spürte sie etwas Feuchtes am Hals. Sie zuckte zusammen und riss die Augen auf.

Einmal Steinzeit und zurück ...

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