Читать книгу Einmal Steinzeit und zurück ... - Monika Arend - Страница 14
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Leon erblickte die Frau am Kopf der Treppe. Ewig lange hatte er bereits in diese Richtung geschaut. „Sparky, da ist sie wieder“, flüsterte er. Der Hund lag dicht neben ihm und hob das Köpfchen.
In einem blau-rot gemusterten Kleid, das ihre Taille betonte und die langen, schlanken Beine zur Geltung brachte, nahm sie Stufe um Stufe und schritt kurz darauf barfuß durch den Sand. Wie schon am Tag zuvor klemmte unter ihrem Arm eine große Stofftasche. Das brünette Haar wurde von einer bunten Spange zusammengehalten. Sie steuerte auf den Platz zu, an dem Sparky sie begrüßt hatte. Dort breitete sie das Handtuch aus, streifte das Kleid ab und ließ sich geschmeidig nieder. Ihre Haut schimmerte in einem Bronzeton.
Mit ausgestreckten Beinen saß sie auf dem Strandlaken und blickte aufs Meer. Zwischen den Badegästen, die sich in kleinen oder größeren Gruppen über die Bucht verteilt hatten, wirkte sie wie eine Gestrandete auf einer einsamen Insel. Leon fühlte sich ebenfalls als Außenseiter an diesem Ort. Im Gegensatz zu ihm übernachtete die Frau jedoch bestimmt in einem Hotel, schlief im weichen Bett und genoss vorzügliches Essen.
Ab und zu warf sie ihm einen verstohlenen Blick zu. Vielleicht sagte sie sich: „Hauptsache, ich ende nicht wie der Wilde dort.“ Sollte er sie nicht einfach ansprechen? Früher wäre es ihm wahrscheinlich leicht gefallen. Aber den sorglosen, kontaktfreudigen Leon gab es nicht mehr. Außerdem wollte er die Frau nicht in Verlegenheit bringen.
Ein Paar schleppte Strandklamotten die Treppe hinunter. Der Mann trug ein kleines Mädchen auf den Schultern. Die Frau hielt ein größeres Kind an der Hand. Sie ließen sich am Fuße eines Gesteinsblocks nieder.
Leon erinnerte sich daran, wie er die Bucht kennengelernt hatte. Vor zehn Jahren war er mit seiner Familie in den Osterferien nach Lagos gereist, sein erster Auslandsurlaub. Sie wohnten in einem nahe gelegenen Appartement.
„Praia da Dona Ana. Der Name klingt so poetisch! Und ist es nicht ein malerischer Ort?“ Diese Worte hatte seine Mutter benutzt. Jeden Tag hatten sie sich hier aufgehalten.
Was für eine unbeschwerte Zeit!
„Seltsam, dass ich die Grotte damals nicht wahrgenommen habe“, dachte Leon. „Als Teenager habe ich die Umgebung bestimmt mit anderen Augen gesehen.“
Wie lange konnte er wohl noch in der Höhle wohnen? Von Tag zu Tag strömten mehr Besucher in die Bucht. Er musste bald eine Entscheidung treffen. Sollte er nach Deutschland zurückkehren? Nein, dazu war er momentan nicht in der Lage.
Leons Blick ging wieder zu der Frau. Wo sie wohl lebte? Auf jeden Fall sprach sie Deutsch. Vermutlich war sie mit dem Flugzeug gekommen.
An seine eigene Anreise erinnerte er sich nur bruchstückhaft. Ungefähr drei Tage hatte die Zugfahrt von Münster nach Lissabon und von dort weiter mit dem Bus nach Lagos gedauert. Er wusste nicht mehr, wie oft er umgestiegen war und wo er die Tickets gelöst hatte. Schlaf hatte er – wenn überhaupt – in den Nachtzügen gefunden.
Dann stieg Leon endlich in Lagos aus dem Bus, irrte durch die Stadt und stand plötzlich vor einem Hostel. Bjarnes Dream las er. Das Haus machte einen gepflegten Eindruck. Der Besitzer, ein sympathischer Däne, der fließend Deutsch sprach, bot ihm ein Einzelzimmer zu einem fairen Preis an. Außer Leon wohnten zu der Zeit kaum Gäste in der Unterkunft. Er trug eine Tasche mit sich, in die er vor der überstürzten Abreise wahllos Kleidungsstücke gestopft hatte. Außerdem baumelte seine Gitarre an einem breiten Gurt über seiner Schulter. An das Instrument hatte er sich während der Reise wie ein Ertrinkender an ein Stück Treibholz geklammert.
Er fasste Vertrauen zu Bjarne und das beruhte offenbar auf Gegenseitigkeit.
„Ich kenne Typen, die behaupten, sie hätten die Überflussgesellschaft satt. Und dann siehst du sie vorm Supermarkt sitzen und betteln. Denen laufe ich wochenlang hinter dem Geld her. So welche kommen mir nicht mehr unter. Du bist nicht so jemand, das merkt man an deinen Umgangsformen“, sagte Bjarne.
Trotzdem oder gerade deswegen bezahlte Leon sein Zimmer im Voraus. „Kann ich eine Tasche mit Klamotten bei dir lagern?“, fragte er. „Für das, was ich vorhabe, brauche ich nur das Nötigste.“
Der Däne schob das Gepäck in einen Abstellraum.
„Kannst du mir sagen, wo ich eine Angel herbekomme?“
Bjarnes Antwort kam prompt: „Ich leihe dir meine. Wenn ich mal Zeit habe, gehe ich lieber surfen. Du kannst sie mir ja irgendwann wiedergeben.“
Einen Tag später war Leon mit Angel, Gitarre und einem Seesack losgezogen. Das war lange her. Ob Bjarne sich überhaupt noch an ihn erinnerte?
Im Moment blieb sein Blick wieder an der Frau hängen, die auf ihrem Handtuch lag. Sparky würde es hoffentlich nicht wagen, sie noch einmal zu überfallen, wobei sie es ihm sicher längst verziehen hatte. Sie wirkte völlig unerschrocken, wie sie kurz darauf durch das Wasser lief und lange im Atlantik schwamm.
„Im Gegensatz zu mir wird sie bestimmt bald in ein geregeltes Leben zurückkehren“, dachte er. Wie das aussah, würde er nie erfahren.