Читать книгу Einmal Steinzeit und zurück ... - Monika Arend - Страница 9

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Vanessa hatte von einem Riesen mit Kochmütze und Kinnbart geträumt, der traurig den Kopf schüttelte. Sie öffnete die Augen. Erst nach und nach erkannte sie den hellen Kleiderschrank, den Flachbildschirm und den Schreibtisch. Ihre Kehle war trocken und sie verspürte leichte Übelkeit. Sie tastete nach dem Smartphone, das vom Nachttisch auf den Boden plumpste. Widerwillig schlug sie die Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett und schaute sich um. Ihre Kleidungsstücke lagen überall im Raum verteilt. Keine Spur mehr von Toni.

Sie schlich ins Bad. Zahnbürste, Aftershave, Rasierapparat, alles verschwunden. Vanessa wusch sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser. Ging zurück zum Bett und hob das Handy auf. Ein Blick aufs Display verriet – kurz vor Mittag! Wenn sie in der Bude nicht verrückt werden wollte, sollte sie unbedingt frische Luft schnappen. Vorher musste sie jedoch etwas trinken. Sie warf einen Blick in die Minibar und erstarrte. Das Alkoholsortiment war fast restlos geplündert!

Hatte sie das alles getrunken? Das erklärte den Filmriss. Sie nahm ein paar Schlucke Wasser und fühlte sich sofort besser. Mit einem Ruck zog sie die Vorhänge beiseite und riss die Verandatür auf. Stapfte auf die Terrasse. Atmete tief durch. Bloß nicht durchdrehen!

Die Erinnerung an den Vorabend tropfte in Vanessas Gedächtnis. Sie sah noch einmal den Vollmond, der ein breites, goldenes Band auf das Meer warf. Toni hatte sie in den Arm genommen und dabei verlegen zu Boden geblickt. Dass er sie küssen wollte, war ein Trugschluss gewesen.

„Du musst endlich die Wahrheit erfahren!“, sagte er mit bebender Stimme. Der Name Manu hing in der Luft. Also doch! Vanessa hatte gedacht, dass sie für eine Manuela den Platz räumen müsse. Die Erkenntnis traf sie hart: Manu war ein Mann!

Danach erschien ihr alles unwirklich. Toni, der wie ein Wasserfall redete. Die dunkle Felswand, die funkelnden Sterne. Im ersten Moment wollte sie ins Wasser flüchten. Immer weiter hinausschwimmen, bis sie vor Erschöpfung untergehen würde. Aber Toni umklammerte ihre Hände, redete mit ihr wie mit einem Kind. Sie versuchte, sich zu befreien. Als es ihr gelang, trommelte sie wie eine Besessene gegen seine Brust. Schrie ihn an, bis ihr die Stimme versagte.

Schweigend kehrten sie in das Hotelzimmer zurück. Dort erzählte Toni mit weicher Stimme von Manuel, den er vor zwei Monaten auf einem Gastronomie-Kongress kennengelernt hatte. Die Begegnung mit dem jungen Koch habe ihm die Augen geöffnet. Immer wieder sagte er: „Kleines, verzeih mir. Ich bin ein Schuft. Aber es ändert nichts daran, dass wir ein tolles Team sind.“

„Du hast mich getäuscht! Was ist heutzutage denn dabei, zur Homosexualität zu stehen?“, hatte Vanessa ihn angeschrien.

„Ich habe den Zeitpunkt verpasst, mich zu outen“, hatte er geantwortet. „Als du zu mir gezogen bist, haben alle das perfekte Paar in uns gesehen. Mit dir an meiner Seite fühlte ich mich sicher. Natürlich wusste ich, dass du dir Hoffnungen machst. Aber es ergab sich nie die Gelegenheit, in Ruhe zu reden.“

Das längst überfällige Gespräch hatten sie ja nun geführt. Wenn Manuel, der Deckel auf Tonis Topf, nicht in sein Leben getreten wäre, hätte es vielleicht noch Monate oder sogar Jahre gedauert, bis die Wahrheit ans Licht gekommen wäre. Jetzt konnten die beiden Köche sich gegenseitig das Essen abschmecken und sie musste sich ihr Süppchen selbst zubereiten.

Die Sätze „Ich werde immer für dich da sein“ und „Du kannst gerne bei mir wohnen bleiben“ klangen fad. Das Kartenhaus, das sich gemeinsame Zukunft nannte, stürzte in sich zusammen und riss Vanessas Leben mit sich.

Dann lagen sie sich in den Armen. Den sonst so starken Toni weinen zu sehen, war das Schlimmste. Es dämmerte bereits, als er seine Kleidungsstücke in den Koffer warf. Er sagte: „Ich muss zurück nach Düsseldorf. Die Arbeit ruft. Ich versuche, heute noch einen Flug zu erwischen. Kommst du mit?“ Sie hatte den Kopf geschüttelt.

Nachdem die Tür mit einem Schmatzen ins Schloss gefallen war, hatte sie sich betrunken.

„Wie heißt es doch so schön? Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich ein Fenster“, dachte Vanessa jetzt. „Das Fenster habe ich soeben aufgemacht.“

Sie beglückwünschte sich dazu, dass sie Toni nicht gefolgt war. Fühlte sich jedoch antriebslos. Die Beine waren wie Wackelpudding. Sie sank auf einen gepolsterten Liegestuhl und legte die Füße hoch.

Zwei Stimmen diskutierten in ihrem Kopf.

Die eine sagte: „Du bist an einem wunderschönen Ort, das Wetter ist ein Traum, du bist jung und gesund.“

Die andere rief: „Du warst so blind!“

Niemals hätte Vanessa gedacht, dass Toni, ihr Fels in der Brandung, ein großer Feigling und exzellenter Schauspieler gleichzeitig sein konnte.

Bevor sie wegdämmerte, merkte sie, dass ihre Haut brannte. Sie erhob sich träge.

Zurück im Zimmer cremte sie sich sorgfältig ein. Stopfte Badesachen in die große Stofftasche. Gab den Schlüssel an der Rezeption ab, schritt durch das Foyer und spürte dabei förmlich, wie sich der Blick des Rezeptionisten auf ihr Hinterteil heftete.

Vanessa war es gewohnt, dass Männer ihr hinterherschauten. Nach dem Abitur hatte sie mit einer Modelkarriere geliebäugelt. Sie aß allerdings gerne, trank hin und wieder ein Gläschen Wein. Hatte sich schließlich für eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau entschieden und sich in diesem Beruf hochgearbeitet.

Nun stand sie vor einem kompletten Neuanfang. Wie eine Katze, die vom Balkon eines Hochhauses fiel, würde sie auf den Füßen landen, davon war sie überzeugt. Auch wenn es ein harter Aufprall werden würde.

Auf der Plattform über der Bucht hielt sie einen Moment inne. Blickte auf den Strand. Abgesehen vom Vorabend hatte sie sich kein einziges Mal an der Praia da Dona Ana aufgehalten. Schlimm genug! Das Meer glitzerte, der Sand schimmerte golden. An diesem Ort würde sie ihre Wunden lecken.

Toni hatte erklärt, er wolle nun Butter bei die Fische tun und sich zur Homosexualität bekennen.

„Ich muss unbedingt mit Linn reden, bevor sich Tonis Coming-out in den sozialen Netzwerken verbreitet“, dachte sie, zückte das Smartphone und wählte die Nummer. Sprachbox. Vanessa hinterließ eine Nachricht: „Chaos in Lagos! Ruf mich an!“

Einmal Steinzeit und zurück ...

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