Читать книгу Einmal Steinzeit und zurück ... - Monika Arend - Страница 21
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Leon sang zum Gitarrenspiel. Vor ein paar Stunden hatte er zum ersten Mal seit dem Moment, in dem alle Harmonien aus seinem Geist gewichen waren, endlich wieder Melodien wahrgenommen. Erst dachte er, in der Ferne laufe ein Radio, aber dann wurde die Musik immer lauter und schließlich stellte er fest: Sie spielte in seinem Kopf. Was für ein erhebendes Gefühl! So musste es sein, wenn man taub war und plötzlich hören konnte. Oder blind und sehen. Er war allerdings weder taub noch blind gewesen. Nur sehr, sehr traurig. Dabei hatte Leons Leben immer aus Tönen bestanden. Morgens, mittags, abends hatte er gesungen, getrommelt, gepfiffen, Gitarre gespielt oder der Musik anderer gelauscht.
Er legte das Instrument, ein Erbstück seines Vaters, beiseite und hielt einen Moment inne.
Über dem Meer lag bereits eine tiefe Dunkelheit. Nichts erinnerte mehr an den schwindenden Tag. Er rieb sich die Hände über dem Feuer. Worte wanderten durch seinen Kopf. Ein neuer Text setzte sich nach und nach zusammen. Im Seesack fand er Papier und Bleistift.
Vor Monaten hatte er eine Ballade komponiert. Dazu passten die Formulierungen, die traurig, aber zugleich voller Hoffnung waren. Er musste sie sofort niederschreiben.
Leon textete ausschließlich in Englisch. Nach dem Abitur hatte er ein Jahr in einem Musikverlag in London gejobbt. Hatte in der Zeit nicht nur die Sprache fließend sprechen gelernt, sondern sich auch ein breites Fachwissen angeeignet.
Er las die Zeilen über eine unerwiderte Liebe erneut und ihm wurde klar, dass ihn die Frau vom Strand dazu inspiriert hatte. Versonnen betrachtete er die Gitarre und hatte das Gefühl, das Instrument nicke ihm freundlich zu.
„Schön, dass wir beide uns noch immer so gut verstehen“, dachte Leon. Er hielt die Finger erneut über das Feuer, um seine Hände geschmeidig zu machen. Dann spielte er weiter. Sparky und Tschaikowski dösten auf dem Schlafsack. Plötzlich schreckte der Hund hoch und knurrte. Auch der Kater blickte in Richtung der großen Treppe. Seine Schnurrbarthaare zitterten. Nachtschwärmer, die sich ans dunkle Meer setzen wollten? Leon konzentrierte sich wieder auf den Song. Vom Strandabschnitt direkt unter der Höhle erklangen Stimmen. Ehe er sich’s versah, kletterten drei Männer die Felsstufen zu seiner Behausung hoch und bauten sich vor ihm auf.
Er hatte noch nie Besuch von Menschen in dieser Grotte bekommen. Für eine Person mit zwei Haustieren bot sie ausreichend Platz. Doch nun fühlte er sich in die Enge getrieben. Er sprang auf. Sparkys Knurren ging in aggressives Bellen über. Von Tschaikowski, dem Feigling, fehlte jede Spur. Leon schob das Instrument, das für ihn einen unschätzbaren Wert darstellte, in den Hintergrund.
„Nur über meine Leiche“, dachte er. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass er eines Tages hier überfallen werden könnte. Pass und EC-Karte lagen bei Bjarne im Safe. In einem Felsspalt hatte Leon ein wenig Bargeld versteckt. Sollten die Eindringlinge also Wertsachen fordern, würde er den Betrag opfern.
Die Männer steckten in dunklen Steppjacken, Jeans und ausgetretenen Turnschuhen. Einer von ihnen trug Vollbart und eine schwarze Wollmütze. Die anderen waren glattrasiert. Sparky stellte sich vor die Männer und hörte nicht mehr auf zu bellen.
Einer der Bartlosen deutete einen Fußtritt in seine Richtung an. „Shut up, bloody dog!“
Der Bärtige ignorierte Sparky, stattdessen funkelte er Leon an. „You have to leave this cave!“ Ihr Akzent ließ vermuten, dass es sich um Einheimische handelte. Also doch kein Überfall. Sie fühlten sich offenbar von seinem Aussehen provoziert. Leon sollte die Höhle räumen.
Ihm fiel absolut kein Argument ein, mit dem er den Eindringlingen seine Anwesenheit an diesem Platz hätte plausibel machen können. Er konnte ihnen schlecht seine traurige Geschichte erzählen. Andererseits störte er hier niemanden. Er hinterließ keinen Müll und machte keinen Lärm. Leon roch eine Alkoholfahne. Der Bartmann schwankte leicht. Er schnaubte wie ein Stier. Leon wollte beschwichtigen und zusichern, dass er seinen Unterschlupf schnellstens räumen werde. Der kräftige Mann sah jedoch nicht so aus, als könne man mit ihm diskutieren. Er drängte sich unsanft an Leon vorbei und trat gegen die Gitarre.
„Please, don’t!“, rief er. Der Typ drehte sich um und kam auf ihn zu. Er musste einen Schritt zur Seite machen, um nicht von seinem Widersacher niedergewalzt zu werden. Dabei stolperte Leon über Sparky, der ein Jaulen ausstieß, kippte nach hinten und knallte mit dem Kopf auf eine Felskante. Dann wurde es dunkel.