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4. Wegbereiter: Aufklärung und Vorromantik

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Romantik und Aufklärung

Mittlerweile akzentuiert man in der Romantikforschung zu Recht, dass die Romantik aus der Aufklärung hervorgeht, betrachtet sie nicht mehr einseitig als irrationalistische Reaktion auf diese, sondern als ihre Erbin. Tatsächlich lässt sich vor allem in der Frühromantik eine Fortführung und Überbietung aufklärerischer Impulse beobachten. Gegen die Aufklärung wenden sich die Romantiker nur dort, wo diese zu einer trivialen, allein am Nützlichen interessierten Verstandeskultur degeneriert ist. Mehrere der frühen Romantiker entstammen einem aufklärerisch geprägten Umfeld. Die theoretisch vertretene und das literarische Schaffen leitende Idee einer Integration ästhetischer, philosophischer, psychologischer und naturkundlicher Kenntnisse ist ein Erbteil aufklärerischer Bildungskonzepte. Romantisches Schreiben lässt sich zu weiten Teilen als experimentelle Produktion ästhetischer Gebilde charakterisieren, und auch in der sich darin manifestierenden Neugier und Offenheit für Entdeckungen kann man ein Erbteil der Aufklärung sehen. Das wichtigste Erbteil, das die romantische Kultur von der Aufklärung übernimmt, ist die Idee der Progression. Der einzelne Mensch gilt als entwicklungsfähig zum Höheren. Auch die Geschichte wird zunächst als Prozess solcher Höherentwicklung interpretiert – und wo dies nicht geschieht oder diese Deutung in Frage gestellt wird, da erfolgen Zeit- und Kulturkritik doch immerhin vor dem ideellen Hintergrund der Progressionsidee. Leitend für den frühromantischen Diskurs ist die Überzeugung von der Möglichkeit eines harmonischen Miteinanders von Vernunft und Phantasie. Dabei verschiebt sich deren Beziehung zueinander. Während die Aufklärung dem Verstand eine allgemeine Koordinations- und Kontrollfunktion zugewiesen hatte, ist das romantische Modell durch Spannungen charakterisiert. Vernunft und Phantasie sind Antagonisten und werden zugleich als komplementär gedacht – wie Tag und Nacht.

Rousseauismus

Mit seinen kulturpessimistischen Thesen und Argumenten löst Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) in ganz Europa eine Woge der Kritik an der aufklärerischen Verstandeskultur aus, die er als mechanisch deutet und der er die Sprache des Herzens, der Empfindungen und der Natur gegenüberstellt. Er bereitet den Weg für ein neuartiges Verständnis sowohl der Religiosität und der Liebe als auch der Kunst. An die Stelle des Leitbildes des poeta doctus, der die Regeln klassizistischer Poetik befolgt, tritt das von Empfindungen und Leidenschaften angetriebene schöpferische Individuum. Rousseaus Name steht repräsentativ für die maßgeblichen Tendenzen der spätaufklärerischen und vorromantischen Kultur: für die Freisetzung des individuellen Gefühls, die Autorisierung des Individuums, das Aufbegehren gegen die Konventionen der ständischen und der bürgerlichen Gesellschaft und gegen die Restriktionen politischer Systeme. Auf die frühe Romantik wirkt er nachhaltig, wenn auch eher indirekt, vor allem durch die Vermittlung Herders und Goethes. Das Verhältnis der konservativen Vertreter der Romantik zu Rousseau ist gebrochen, da er zu Recht als Wegbereiter der französischen Revolution gilt.

Englische Vorromantik

Prägend für die Romantik ist nicht zuletzt die Abwendung von der klassizistischen Ästhetik und Poetik. Diese setzt schon um 1750 ein. Insbesondere die englische Literatur illustriert aus der Sicht der Anhänger einer antiklassischen Ästhetik beispielhaft, wie eine von natürlichen Leidenschaften geprägte, ursprüngliche Poesie aussieht. Die bürgerliche Kultur der Empfindsamkeit, welche die englische Romanliteratur dieser Zeit stark beeinflusst, wird in ganz Europa als kompatibel mit den neuen Ideen begrüßt. Die Genieästhetik findet einen wichtigen Wegbereiter in Shaftesbury (1671–1713; vgl. den Essay on Original Genius and its Various Modes of Exertion in Philosophy and the Fine Arts) und in Robert Wood (1769–1775), der in seinem Essay on the Original Genius of Homer die geniale Natur Homers gegen die an traditionellen Mustern orientiert Dichtung Vergils ausspielt. Shaftesbury prägt zudem die Formel vom poetischen Genius als einem Second Maker, einem zweiten Schöpfer, die von der Genieästhetik und deren romantischen Nachfolgern vielfach aufgegriffen und bekräftigt wird. Auch Edward Young (1683–1765) beeinflusst maßgeblich die Ideenwelt der Folgegenerationen durch seine Night Thoughts (1741/43) und die Conjectures on Original Composition (1759). Eine epochemachende Fälschung sind die Fragments of Ancient Poetry (1760), deren Verfasser und Held Ossian von dem schottischen Dichter James McPherson (1736–1796) erfunden wurde. Melancholie, Leidenschaft, düstere Atmosphäre und die vorgebliche Natürlichkeit des poetischen Ausdrucks machen die Dichtung Ossians zum wichtigen Vorbild. Der Schauerroman der Romantik bedient sich der Gothic Novel als Muster. Gattungskonstitutiv für dieses Romangenre sind vor allem inhaltliche Elemente: Verbrechen und Liebe, eine nächtliche Atmosphäre, Schauplätze wie Burg und Kloster, die Situierung im Mittelalter oder doch in früherer Zeit, entfesselte Leidenschaften und Gewalttaten aus Passion. Tieck, Hoffmann, Kleist und Heine greifen Elemente des „gothischen“ Genres auf und assimilieren sie ihren eigenen poetischen Intentionen. Walter Scott (1771–1832), als Hauptvertreter des Genres historischer Roman zugleich ein wichtiger Repräsentant der englischen Romantik, ist ebenfalls durch die Gothic Novel angeregt worden.

Herder und Hamann

Johann Gottfried Herder (1744–1803) zufolge wurzelte die Dichtung in der Natur – die Kunstpoesie späterer Zeiten in der Naturpoesie und die Kunst des individuellen Dichters in seiner eigenen Natur. Im Journal meiner Reise im Jahre 1769 setzt er sich mit der rationalistischen Kultur seines Zeitalters kritisch auseinander. Herder vor allem erschließt den Romantikern die antiklassizistischen Autoren, die als romantisch apostrophiert werden, insbesondere Shakespeare und Cervantes. Seine Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784–1791) geben einem neuen Geschichtsverständnis Ausdruck, demzufolge sich historische Prozesse organologisch als Wachstums- und Verfallsprozesse beschreiben lassen. Das neu erwachte, bei Herder leitende Interesse an der Individualität differenter Völker und ihrer Kulturen motiviert eine neuartige Hinwendung zur Vergangenheit. Johann Georg Hamanns (1730–1788) Interesse gilt durchgängig dem Individuellen als einem Nicht-Ordnungskonformen. Entsprechend eigenwillig ist sein Schreibgestus. Seine Kritik gilt der rationalistischen Philosophie und Theologie, die nach seiner Überzeugung einem sinnenfeindlichen und destruktiven Abstraktionsprozess zuarbeiten und damit den Menschen der Natur, seinem eigenen Wesen und Gott entfremden. Die Natur ist laut Hamann ein göttliches Medium von Offenbarungen, die der Verstand allein gar nicht ermisst, da sie sich an den ganzen Menschen, insbesondere an dessen Sinne, wenden. Hamann bahnt den Weg für ein romantisches Naturverständnis und legt das Fundament für romantische Konzepte einer ursprünglicheren, zugleich bild- und ausdruckshaften poetischen Sprache.

Pietismus, Empfindsamkeit, Erfahrungsseelenkunde

Der Pietismus ist eine protestantische Bewegung im Zeichen des Aufbegehrens gegen die kirchliche Orthodoxie. Gegen deren Lehren wird das subjektive religiöse Empfinden ins Feld geführt. Daraus resultiert ein allgemeines Interesse an innerseelischen Prozessen und an Formen subjektiver Selbstmitteilung. An Bedeutung gewinnen Textformen, welche die Darstellung von persönlichem Erleben und Empfinden ermöglichen – wie Briefe und Tagebücher, Bekenntnisschriften und Autobiographien. Vor allem in der Idee der Introspektion, der Rückwendung auf sich selbst, liegt eine wichtige Erbschaft für die Romantik.

Von 1783 bis 1793 gibt Karl Philipp Moritz eine Zeitschrift heraus, welche die Interessen seiner Zeit am menschlichen Inneren widerspiegelt und zu den Gründungsdokumenten der empirischen Psychologie gehört: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Damit leistet er einen maßgeblichen Beitrag zur Begründung der Psychologie als autonomer Disziplin. Thematisch umfasst das Spektrum an Beiträgen Studien über Spielformen des Wahnsinns, fixe Ideen sowie pathologische und kriminelle Verhaltensweisen, aber auch über moderatere Abweichungen von normalem Verhalten.

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