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2. „Romantik“ als Programmbegriff

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Wort- und Begriffsgeschichte

Die Wortgeschichte von „Romantik“ nimmt ihren Ausgang bei dem altfranzösischen Wurzelwort „romanz“, mit dem die romanische Volkssprache im Gegensatz zur Gelehrtensprache Latein gemeint war. Als Dichtungen in der Volkssprache werden die provenzalischen Vers- und Prosaerzählungen „romance“ genannt; ihr Gegenstand sind meist Ritter- und Abenteuergeschichten. Aus „romance“ entsteht später das Wort „Roman“. Thomas Bailey gebraucht 1650 erstmals das Adjektiv „romantick“ (sic) im Sinne von romanhaft, erdichtet, abenteuerlich, phantasievoll, unrealistisch – also im kritischen Sinn. Zu den im folgenden als romantisch rezipierten Rittergeschichten kommen später auch Schauer- und Liebesromane, so dass sich das Wortfeld mit der Konnotation des Unheimlichen und Außerordentlichen auflädt. Die Vorstellung einer erhaben erscheinenden Natur ist ebenfalls mit ihm verknüpft. Schon im 17. Jahrhundert verwendet man den Ausdruck „romantisch“ zur Charakteristik von Landschaftsgemälden (insbesondere der Werke Claude Lorrains, Nicolas Poussins, Salvator Rosas), um deren Wirkung auf die Gefühle der Betrachter zu bezeichnen. Teilweise werden im folgenden das „Romantische“ und das „Malerische“ sogar zu Synonymen. In der Literatur des 18. Jahrhunderts, die dem Wortfeld zum Durchbruch verhilft, wird das Adjektiv „romantisch“ allgemein im Sinne von romanhaft bzw. erzählend verwendet. Mit ihm konnotiert sind in der Frühzeit seines Gebrauchs aber stets auch Märchenhaftes und Wunderbares, Ur- und Altertümliches, Volkstümliches und Kindliches, Seltsames und Fernes, Ritterlich-Mittelalterliches – schließlich dann auch Nächtlich-Dunkles, Gespenstisches, Grausiges, Schreckenerregendes.

Zunächst bezeichnet man mit „romantisch“ also etwas Inhaltliches oder eine spezifische Stimmung, keine formale Eigenschaft oder historische Qualität. Schiller charakterisiert in einem Brief an Goethe (28.6.1796) Wilhelm Meisters Lehrjahre als romantisch, wobei er sich auf Gestalten wie Mignon und den Harfner bezieht. Goethe steht dem diffusen Vorstellungsbereich um das „Romantische“ skeptisch gegenüber. So kritisiert er in einem Gespräch mit Johann Heinrich Voß (26.1.1804) „den Unterschied, der jetzt gang und gebe ist, zwischen Romantischem und Klassischem“; nach seiner Meinung ist „alles, was vortrefflich [ist] […], eo ipso klassisch“. Gegenüber Riemer (28.8.1808) kontrastiert Goethe das Romantische mit dem Antiken; letzteres widme sich dem „Realen“, ersteres einem Phantastisch-Scheinhaften, „täuschend wie das Bild einer Zauberlaterne“. In seiner Schrift über „Klassiker und Romantiker in Italien, sich heftig bekämpfend“ (in: Ueber Kunst und Alterthum, 1820) redet Goethe dann einer weiten Definition des Romantischen das Wort und warnt vor voreiligen Einseitigkeiten bei dessen Bewertung. Die Menge sei „gleich fertig, wenn sie alles, was dunkel, albern, verworren, unverständlich ist, romantisch nennt“ oder alles, „was vaterländisch und einheimisch ist“ zum „Romantischen“ rechne. Der alte Goethe betont am 16.12.1829, dass das Klassische und das Romantische für ihn keine radikalen Gegensätze seien, sondern eine Einheit bildeten. Autoren wie Herder schaffen die Voraussetzungen dafür, dass von der nachfolgenden Generation das „Romantische“ zur geschichtsphilosophischen Kategorie wird.

„Romantik“ als „Moderne“

In Opposition zur dominanten Orientierung an der Antike und ihren Dokumenten setzt sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Gedanke einer spezifisch modernen Kultur durch, welche durch das Christentum geprägt und von der Antike substanziell verschieden sei. Romantische Kunst wird unter diesem Vorzeichen als moderne Kunst verstanden. Die Querelle des anciens et des modernes, der Streit um den Vorbildcharakter antiker Kunst, ist im 18. Jahrhundert zentrales Thema ästhetischer Diskussionen. Modern erscheint vor allem die Gattung des Romans, der dem Romantischen nicht nur etymologisch nahe steht; er fügt sich in kein tradiertes Schema literarischer Gattungen. Als Synonym für den Romanschriftsteller gebraucht Novalis 1799 das Wort „Romantiker“, und Friedrich Schlegel versteht unter romantischer Kultur eine „Kultur des Romans“. Vor allem das Adjektiv „romantisch“ gewinnt im ausgehenden 18. sowie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Status eines regelrechten Modeworts.

Romantik als Oppositionsbegriff

Von jeher – und bis in den heutigen umgangssprachlichen Gebrauch hinein – fungiert das „Romantische“ als Oppositionsbegriff; seine Valenzen wechseln aber je nach dem ihm zugeordneten Korrelat. Berühmt und berüchtigt sind vor allem einzelne kritische Urteile Goethes, der anlässlich der „neuesten französischen Dichter“, die sich als Romantiker verstehen, gegenüber Eckermann bemerkt:

Das Classische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke, und da sind die Nibelungen classisch wie der Homer, denn beyde sind gesund und tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht classisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist (2.4.1829).

Friedrich Schlegel betrachtet sich selbst als einen romantischen Autor und verwendet den Begriff des Romantischen programmatisch, indem er ihn mit den Konzepten der Universalität und Progressivität verknüpft. Mit ersterem ist mehrerlei gemeint: eine Synthetisierung der einzelnen literarischen Gattungen, eine Einbeziehung von Philosophie und Naturspekulation in den literarischen Prozess sowie eine Öffnung der Poesie zum Leben hin.

Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen […] (FS II, 182) – Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, dass sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann (FS II, 183).

Nimmt man Schlegel beim Wort, so erscheint das „Romantische“ als letztlich undefinierbar: Eine Poesie, die „ewig nur werden“ soll, kann keinen festen und feststellbaren diskursiven Regeln folgen. Dies ist umso bedenkenswerter, als Friedrich Schlegel in der allgemein als „Romantik“ bezeichneten Zeit wohl der einflussreichste Theoretiker einer neuen romantischen Kunst ist. Wichtige Anstöße gibt auch Novalis, der das „Romantisieren“ als einen Potenzierungsprozess versteht.

„Romantik“ als Synonym für die mittelalterlichchristliche Kultur

Friedrich Schlegels Bruder August Wilhelm repräsentiert einen anderen Ansatz, indem er die historische Dimension des „Romantischen“ akzentuiert. In einer Folge öffentlicher Vorlesungen, die er zwischen 1798 und 1808 in Jena, Berlin und Wien hält, wird vieles von dem, was man den romantischen Diskurs nennen könnte, auf wegweisende Art ausformuliert. A. W. Schlegel behandelt nicht mehr nur, wie bislang üblich, Autoren der Antike, sondern auch Dante, Petrarca, Boccaccio, Ariost, Tasso, Shakespeare, Milton, Rousseau, Fielding, Klopstock, Lessing und Goethe. Er, der stets ganz Europa im Blick hat, sieht im Christentum zwar das verbindende Moment der als romantisch gedeuteten Phänomene in den einzelnen europäischen Ländern. Doch es geht ihm weniger um Glaubensinhalte als um grundlegende christliche Denkmuster, insbesondere um eine transnationale Tendenz zur Verinnerlichung und Psychologisierung in Kunst, Literatur und Religion. So kommt es zu einer folgenreichen Verknüpfung zwischen Ästhetik und Psychologie. Zugleich bahnt A. W. Schlegel den Weg dafür, dass das Romantische als Manifestation einer psychischen Befindlichkeit – einer aufs Unendliche gerichteten Sehnsucht – verstanden wird (eine Vorstellung, die noch im 20. Jahrhundert eine wichtige Rolle in Romantik-Konzepten spielt). Jean Pauls Vorschule der Ästhetik (1804/1812) setzt in den Abschnitten über die romantische Dichtung einen analogen Akzent. „Ursprung und Charakter der ganzen neuern Poesie lässet sich so leicht aus dem Christentum ableiten, dass man die romantische ebensogut die christliche nennen könnte“ (§22, § 23, JP V, 86 und 93). Die neuere Poesie ist auch für Jean Paul von der antiken deshalb grundlegend verschieden, weil sie einer veränderten Gefühls- und Bewusstseinslage entspringt. Bei seinen Versuchen, die stilistischen Merkmale des romantischen Neuen zu beschreiben, akzentuiert er vor allem die Differenz zwischen Begrenztem und Unbegrenztem, wobei Letzteres pointiert als Unendliches ausgelegt wird (JP V, 93). Das romantische Ungenügen am Begrenzten und Endlichen wird als Konsequenz der christlichen Verurteilung der endlichen Sinnenwelt interpretiert (JP V, 93). Jean Paul versteht die romantische Tendenz zur Überschreitung aller Grenzen dabei nicht allein räumlich, sondern bezieht sie auch auf die zeitliche Ferne; als Signum der romantischen Ära erscheint ihre Ausrichtung auf Zukünftiges (JP V, 89). In Hegels Vorlesungen über Ästhetik, gehalten zwischen 1818 und 1829 in Heidelberg und Berlin, wird die romantische Kunst als subjektivierte, vergeistigte Kunst charakterisiert.

Wollte man versuchen, die Fülle literarischer Texte, die als „romantisch“ gelesen werden, vereinfachend und stichwortartig auf eine Minimalzahl gemeinsamer Nenner zu bringen, so wären vor allem drei Stichworte wichtig: „Destabilisierung“, „Autonomie des Ästhetischen“ und „Grenzüberschreitung“.

„Destabilisierung“: Revolutionäre Umbrüche, gesellschaftliche, politische und ökonomische Umwälzungen, naturwissenschaftliche und philosophische Tendenzen sowie Erfahrungen von Instabilität und Kontingenz in den verschiedensten Bereichen des Lebens vertiefen das Bewusstsein von der Relativität aller Ordnungen. Im Zusammenhang damit erfolgt eine Sensibilisierung für Ordnungskonflikte und -kollisionen sowie für Ordnungsstörungen. Der „Störenfried“ ist eine typisch romantische Figur. Romantische Texte inszenieren vielfach Zusammenstöße zwischen verschiedenen Lebensordnungen und Denkmustern. Sie deuten auf Risse in begrifflichen und moralischen Ordnungen hin.

„Autonomie des Ästhetischen“: Die Kunst emanzipiert sich von allen externen Vorgaben. Sie wird ihr eigener primärer Gegenstand, ihr eigener Grund, ihr eigener Zweck. Das Postulat ästhetischer Selbstreflexion und Selbstbegründung lässt Kunst und Künstler thematisch ins Zentrum poetischer Darstellung rücken. Im Horizont der allgemeinen Kontingenz- und Destabilisierungserfahrungen betrachtet, gerät sie in eine Doppelrolle. Zum einen wird das Reich der Kunst polemisch der ‚schlechten‘, trivialen, entfremdeten und trügerischen Sphäre der ‚Normalität‘ entgegengesetzt: Sie bietet dem ästhetisch Sensiblen eine Gegenwelt der Schönheit und des Sinns. Zum anderen wird ihr gelegentlich die Rolle einer Heilsbringerin zugeschrieben, welche die Erlösung der Welt einleiten könnte. Sie übernimmt partiell die Funktion der Religion, und wo religiöse Diskurse in literarischen Texten aufgegriffen werden, da sind sie Zitate, welche auf die Rolle der Kunst selbst verweisen.

„Grenzüberschreitung“: Romantische Literatur steht inhaltlich und strukturell im Zeichen der Grenzüberschreitung. Das Denken der Zeit ist durch dualistische Strukturen, durch Oppositionsbildungen und Antagonismen geprägt (Vernunft und Phantasie, Tag und Nacht, Leben und Kunst, Rationales und Irrationales, Alltägliches und Wunderbares). Im Zeichen der romantischen Idee der Progression interessiert sich die romantische Literatur für Prozesse der Transgression von hier nach dort, von Dresden nach Atlantis (Hoffmann), in die Tiefe der Gesteinswelt, in die Tiefe der Vergangenheit, in die Gegenwelt des Schönen. Überschritten werden auch andere Grenzen, die im Zeichen des Bewusstseins von der Vielheit und Geschichtlichkeit von Ordnungen als durchlässig erscheinen. Vor allem wird die Gegenwart als Schwelle erfahren, von der aus der Sinn sich auf Vergangenheit und Zukunft richtet, und die sinnliche Erscheinungswelt gilt als zeichenhafter Verweis auf ein Reich des Übersinnlichen. Phänomene, Gestalten und Ereignisse werden als doppelbödig wahrgenommen und dargestellt. Das Alltägliche erhält einen geheimen Sinn zugeschrieben – eine ‚andere Seite‘. Novalis nennt diesen Vorgang „Poetisieren“.

Einführung in die Literatur der Romantik

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