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10 Der Tatort

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Die Mangle Street war eine kurze, gerade Straße, die zwei belebte Hauptverkehrsachsen verband, und der Laden schnell gefunden. Er lag zwischen zwei Häusern, von denen eines zugenagelt war und das andere als Stallung für Zugtiere diente. Zwei Esel glotzten trübselig heraus, als wir vorbeigingen.

»Sie haben nicht mal genug Platz, um sich umzudrehen«, sagte ich. Sidney Grice ging wortlos in die Hocke, um eine tote Ratte auf dem Gehsteig zu mustern.

»Vergiftet«, bemerkte er. »Wie Cochrans Pfarrer.«

Gegenüber befand sich ein Geschäft für Kuriositäten.

»Kurios ist an diesen Läden einzig, dass sie existieren.« Mein Vormund richtete sich auf. »Sind doch nichts weiter als Durchgangslager zwischen Abfalltonne und Müllhalde.«

Unter einem blechernen Vordach an der Eingangstür saß ein Konstabler mit erschlafftem, strohgelbem Schnurrbart auf einer leeren Bierkiste und rauchte eine Bruyèrepfeife. Er erhob sich müde, als Sidney Grice sich vorstellte.

»Inspektor Pound hat mir gesagt, Sie hätten telegrafiert.« Der Konstabler klopfte seine Pfeife an der Mauer aus. »Hat aber nichts von einem Mädchen gesagt.«

Die Asche wehte auf mein Kleid, und ich schüttelte sie ab.

»Ich helfe Mr Grice«, sagte ich.

»Ansichtssache«, murmelte Sidney Grice.

Das Schaufenster war vergittert und hatte weder Vorhänge noch Rollläden. Darüber war ein weißes Brett angebracht. Ashbys Eisenwaren stand darauf, mit schwarzer Farbe gemalt.

»Ich wollte schon vor einer Stunde frühstücken«, sagte der Konstabler und winkte uns durch wie Verkehr.

»Geregelte Essenszeiten sind für gute Verdauung unerlässlich«, ließ Sidney Grice ihn wissen. »Ich würde Ihnen ein Buch zu diesem Thema leihen, hielte ich Sie für lesekundig.«

»Wie mir zumute ist, würd ich’s wahrscheinlich aufessen.« Der Konstabler ließ sich wieder auf die Bierkiste plumpsen.

»Warum sind Sie so grob zu Ihren Mitmenschen?«, fragte ich.

»Das ist kein Mitmensch. Das ist ein Polizist.« Sidney Grice drückte die Türklinke. »Und er kann sich Gefühle so wenig leisten wie ich. Achten Sie auf die Schelle.«

Es schepperte zweimal, als ich die Tür öffnete, und wieder zweimal beim Schließen.

Ich schaute hoch. »Angelenkt, wie Mrs Dillinger gesagt hat.«

Wir fanden uns in einem kleinen, schmalen Ladenlokal wieder, vor uns eine Theke mit Holzplatte und aufgestellter Klappe.

»Sehen Sie sich den Boden an.« Sidney Grice zeigte darauf.

»Ziemlich viele matschige Fußspuren«, sagte ich.

»Kein Matsch.« Er kratzte mit der Schuhspitze an einem Umriss. »Blut – und der Boden ist kürzlich gut gefegt und gewischt worden.« Er pochte mit seinem Gehstock darauf.

Ich schaute mich um. In den Wandregalen zu beiden Seiten stapelten sich Schachteln mit Nägeln und Schrauben und allerlei Zimmermannswerkzeug, manches mehr fand sich in Körben am Boden, Hämmer und Äxte hingen an Haken hinter der Theke, wo auch eine Vitrine voller Messer ihren Platz hatte.

»Kein Mangel an Waffen«, sagte Sidney Grice, als wir an der Theke vorbei durch eine offene Tür in den rückwärtigen Raum traten.

Der Tatort. Die Wohnstube war klein und fensterlos. Linkerhand befand sich ein Bett, rechts ein klobiger Sessel, und geradeaus – vor einem kalten Kamin – standen zwei Holzstühle um einen quadratischen Tisch.

»Du lieber Gott«, flüsterte ich.

»Von ihm werden Sie hier wenig Anzeichen finden«, sagte mein Vormund.

Nun wusste ich, was Mrs Dillinger mit »so viel Blut« gemeint hatte. Die Wände und Möbel starrten von schwarz angelaufenen, getrockneten Spritzern, und rund um eine geronnene Lache waren Dutzende Stiefelabdrücke auf dem Teppich und den nackten Dielen zu sehen. Der Gestank war unverkennbar. Ich dachte an das Lazarett meines Vaters am Tag nach der Schlacht. Im eisigen Schweigen stank es nach den Schreien der Hingemetzelten.

»Wenig Bewegungsraum hier drin.« Sidney Grice schwenkte seinen Gehstock im Bogen. »Aber keinerlei Anzeichen für einen Tumult. Nichts umgeworfen, nichts zerbrochen. Wie passt das zu Ihrer Vorstellung von einem Mordrausch? Hallo …« Er trat einen Schritt vor, um die Wand links vom Kamin in Augenschein zu nehmen. »Was ist das hier?«

Was ich für einen weiteren Spritzer gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein Wort, mit Blut geschrieben, etwa auf Augenhöhe unter einem schadhaften Glühstrumpf. Die ungefähr dreißig Zentimeter großen Buchstaben waren verschmiert und verblassten zum Wortende hin, doch ihre Bedeutung war unmissverständlich.

»Rivincita«, las ich laut. »Das italienische Wort für Rache.«

»Ach, wie enttäuschend«, sagte Sidney Grice. »Ich hatte gehofft, da würde etwas Vernünftiges stehen. Ein Name wäre hilfreich gewesen.«

»Stand das nicht auch an den Tatorten in der Slurry Street?«

»Möglich.« Er drehte sich um. »Da ist viel Blut auf diesem Tisch.« Er wies auf eine verkrustete Lache und hockte sich hin. »Aber keins darunter, bis auf das Blut, das durch die Ritzen gesickert ist.« Er pochte mit seinem Gehstock auf die Dielen. »Diese Stelle ist die einzige, an der sie hat hinfallen können – hier zwischen dem Tisch und der Tür, durch die wir eben hineingekommen sind. Der Teppich war vollgesogen, und ein Dutzend Hornochsen hat das Blut überallhin getrampelt. Vielleicht ist sie im Fallen mit dem Kopf an diese alte Nähmaschine geschlagen. Das würde den Schädelbruch erklären. Sehen Sie, am Rad klebt Blut und da sind auch ein paar Haare, die ganz nach ihren aussehen.« Er zog einen Umschlag aus seinem Ranzen, beschriftete ihn und legte die Haare hinein. Dann richtete er sich wieder auf und sah sich um. »Was ist im Kamin?«

»Nicht viel«, sagte ich. »Bloß Asche.«

»Bloß Asche gibt’s schon mal gar nicht.« Er stocherte mit dem Schürhaken in der Feuerstelle herum. »Jeder brennbare Stoff auf diesem unnötig großen und unsinnig vielgestaltigen Planeten hinterlässt seine ganz eigenen Reste. Das hier war Papier. Nun denn, March, warum verbrennt jemand Papier?« Er klopfte an die Wand.

»Um ein Feuer zu entzünden.«

»Dieses Papier war das Feuer.« Er hockte sich daneben. »Und wozu ein Papierfeuer machen, das wenig Wärme spendet und das auch nur für kurze Zeit, wenn noch eine Schütte Kohlen am Kaminboden liegt? Ohnehin ist es ziemlich warm hier drin. Wir wissen beide, dass Papier nicht billig ist und immer von Nutzen, selbst wenn es schon beschrieben wurde – als Anzünder, wie Sie sagen, aber auch zum Einwickeln, vor allem in einem Geschäft, wo der Verkauf von, sagen wir, ein paar Nägeln keinen nennenswerten Gewinn erbringt. Nein, dieses Papier ist nur aus einem Grund verbrannt worden: um zu vernichten, was immer darauf geschrieben stand. Schauen Sie, es wurde regelrecht pulverisiert.« Er stocherte unter dem Rost herum. »Kein einziger lesbarer Schnipsel übrig. Was ist das alles für Zeug?« Er harkte Asche und ein paar Brocken Schlacke hervor. »Sieht aus wie Knochen.« Er hob ein verkohltes Stück von der Größe eines Zeigefingers hoch. »Schenkelknochen eines Kaninchens, möchte ich meinen. Ja, und da ist ein Kaninchenzahn, und – was haben wir hier? Dieser geschwärzte Reif«, er zog ein Taschentuch aus seiner Hose und rieb ihn ab, »ist ein Trauring. Wem, vermuten Sie, könnte er gehören?«

»Sarah Ashby«, sagte ich.

»Wäre ich Glücksspieler, würde ich ein beträchtliches Vermögen darauf setzen.« Er runzelte die Stirn. »Aber warum liegt er hier?«

»Vielleicht hat ihr Mörder ihn hineingeworfen.«

»Aber warum? Es gab keine Aussicht, ihn in diesem kümmerlichen Feuer zu vernichten, und wozu auch? Warum ihn nicht an sich nehmen und verpfänden? Er ist ungraviert – also lässt sich sein Eigentümer nicht eruieren – und brächte wahrscheinlich rund ein Pfund ein.« Er gab den Ring in einen Umschlag, kam wieder auf die Beine und wischte sich die Finger ab. »Welchen Schluss sollen wir aus alledem ziehen? Ein irrsinniger Verbrecher hackt Mrs Ashby zu Tode, ohne ihren Ehemann zu wecken oder auch nur ein Stuhlbein zu verrücken, entzündet mit einem Manuskript ein Feuer, zieht Mrs Ashby den Ring ab und wirft ihn hier hinein, pulverisiert dann das Papier und hält nur inne, um mit dem Blut der Toten eine rätselhafte fremdsprachliche Botschaft an die Wand zu schreiben?«

»Was ist Ihrer Meinung nach geschehen?«

»Ich weiß es nicht«, Sidney Grice ließ den Blick schweifen, »aber ich werde es herausfinden. Sehen wir uns mal hier drin um.«

Mord in der Mangle Street

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