Читать книгу Mord in der Mangle Street - M.R.C. Kasasian - Страница 7

3 Von Schweinen und Menschen

Оглавление

Mühelos fand ich den Weg hinaus, zu dem gewaltigen Bogen, den man das »Tor zum Norden« nennt.

Ringsum tobten Lärm und Durcheinander, doch waren es die Gerüche, die mich sogleich überwältigten. Die Mischung aus Qualm, Pferdekot und ungewaschenen Körpern brachte einen erdrückenden, widerlichen Gestank hervor. Hunderte von Kutschen, von stattlichen Broughams bis zu kleinen Landauern und Hansoms, wetteiferten mit Omnibussen und Lieferkarren ums Vorankommen auf der überfüllten Euston Road. Dazwischen drängten sich zahllose Fußgänger und versuchten, das Gebrüll der Straßenhändler zu übertönen.

Ein schmuddeliges Mädchen in einem knittrigen schwarzen Kleid stand an einer der Säulen und schaute sich erwartungsvoll um.

»Bist du Molly?«, fragte ich.

»Verzieh dich«, sagte sie und stolperte davon.

»Dann vermute ich, dass du es nicht bist«, rief ich ihr hinterher.

Ich wartete noch ein paar Minuten und sah mich um. Da stand ein Schwein, das man an ein Steigrohr gebunden hatte. Ein Junge in einem Matrosenanzug versuchte, darauf zu reiten. Die Gebäude waren heruntergekommen und in grauen Dunst gehüllt, denn die Luft selbst starrte vor Dreck, der sich wie grober Sand auf meine Haut zu legen schien.

Eine plumpe junge Frau in schwarzer Dienstmädchentracht und mit gestärkter weißer Schürze eilte herbei und wandte sich, nachdem sie erst zwei andere junge Damen angesprochen hatte, nun mir zu.

»Miss Middleton?«

»Ja.«

Ihr dichter roter Schopf quoll unter einer gestärkten weißen Haube hervor. Sie hatte eine Knollennase und ein rosiges, sommersprossiges Gesicht.

»Ich bin Molly, Mr Grice’ Hausmädchen. Ich habe Sie nur ungern warten lassen, aber wir mussten uns noch um eine tote Herzogin kümmern, und die hat uns tot viel mehr Ärger gemacht als lebendig. Darf ich Ihre Tasche nehmen? Bitte folgen Sie mir.«

Wir traten gerade aus dem Torbogen, da ertönte ein lautes Quieken, gefolgt von einem Schrei. Im Umdrehen sah ich, dass der Junge heruntergepurzelt war und das Schwein nun auf ihm stand.

»Keine Bange«, sagte Molly. »Ist nur ein Schwein.«

Verfolgt von etwa einem Dutzend Gassenjungen überquerten wir die Straße. »Haut ab«, herrschte Molly sie an, doch dann umringten sie mich und erbettelten sich einen Penny nach dem anderen, bis ich keinen mehr übrig hatte.

»Passen Sie auf, wo Sie hintreten«, warnte Molly. »Kaum zu glauben, dass Pferde etwas so Abscheuliches aus Heu machen. Gibt es bei Ihnen auf dem Land auch Pferde?«

»Aber gewiss doch.«

»In London gibt es jede Menge. Und sie beißen.«

Wir wechselten erneut die Straßenseite, und Molly bahnte sich ihren Weg durch eine Gruppe von Männern mit Schirmmützen, die vor einem Wirtshaus herumlungerten.

»Nehmen Sie sich bloß vor Taschendieben in Acht«, raunte sie mir über die Schulter hinweg zu, »und vor Beutelschneidern, Seeleuten und Ausländern. Die …«

Plötzlich ertönte ein schrilles Klagen. Als ich mich umwandte, sah ich einen Mann in einem Seehundfellmantel, der über einer geduckten Frau aufragte und mit einem langen Stock auf ihre emporgereckten Arme einprügelte.

»Hören Sie augenblicklich auf damit«, rief ich, worauf der Mann herumfuhr und mich anstierte.

»Sagt wer?«, blaffte er und spuckte mir dabei ins Gesicht.

»Wir.«

»Ich nicht«, murmelte Molly und wich einen Schritt zurück.

»Sie nicht«, sagte ich. »Nur Monsieur Parquet und ich.«

Suchend blickte er sich um.

»Ich seh hier aber keinen verdammten Ausländer«, bellte er und hielt mir seinen Knüppel unter die Nase.

»Monsieur Parquet ist der Erfinder eines synthetischen Parfüms namens Fougère, was so viel wie ›Farn‹ bedeutet«, erklärte ich. »Sie sind womöglich nicht damit vertraut«, setzte ich hinzu und wischte mir mit dem Taschentuch über die Wange. »Aber wo immer ich hingehe, habe ich stets etwas davon bei mir. Wenn Sie mich nun kurz entschuldigen würden …« Ich kramte in meiner Reisetasche. »Na, da haben wir’s doch.«

Der Mann besah sich die Flasche und lachte spöttisch.

»Was zum Teufel …«

»Hören Sie bitte auf zu fluchen«, mahnte ich und sprühte ihm zwei große Spitzer in die Augen.

»Was zum …« Der Mann ließ seinen Stock fallen und schlug die Hände vors Gesicht.

Nun ließ auch die Frau ihre Arme sinken und grinste gehässig. »Hihi, jetzt riecht er besser.« Dann rappelte sie sich hoch und humpelte davon.

»Dich krieg ich später noch«, brüllte er ihr hinterher und rieb sich heftig die Augen. »Und euch auch«, fügte er an uns gewandt hinzu, während wir uns rasch davonmachten.

»Dürfte ich Ihnen einen guten Rat geben?«, sagte Molly. »Es ziemt sich nicht, sich in die Angelegenheiten zwischen Mann und Frau einzumischen.«

»Wäre es dir lieber gewesen, er hätte sie weiter geschlagen?«

Molly zog die Nase kraus. »Wer weiß, ob sie’s nicht verdient hat? Die Männer sind doch viel vernünftiger als wir. Vielleicht hat sie ihn ja komisch angeguckt oder so.«

Wir bogen links in die Gower Street ein, und der Trubel, wenngleich noch immer beträchtlich, ebbte stetig ab, je weiter wir die Straße entlang gingen. »Eine Sache noch«, sagte Molly. »Sie sollten Mr Grice nichts davon sagen, wenn Sie ihn kennenlernen. Er mag keine Damen nicht, die so ein Gewese machen.«

Ein Wasserkarren zuckelte vorüber.

»Wieso ist das Pflaster hier aus Holz?«, fragte ich.

»Das ist, um das Hufgetrappel der Pferde zu dämpfen«, sagte sie, »damit die Kranken etwas Ruhe bekommen und die Sterbenden besser ihren Seelenfrieden finden. Da drüben ist das Krankenhaus der Universität. Mr Grice hat mir das alles erklärt. Er ist ein sehr kluger Mann und sehr freundlich, und er hat mir noch nicht einmal befohlen, Ihnen das zu sagen.«

Nummer 125 war ein hoch aufragendes Reihenhaus im georgianischen Stil, mit weiß getünchter Fassade im Parterre und rotem Backstein darüber, einem gusseisernen Balkon im ersten Stock und einem Kellergraben, der das Haus vom Gehsteig trennte. Wir gingen die vier Stufen hinauf zur schwarz gestrichenen Eingangstür. Mit einem Schlüssel, den sie an einer Schnur um ihren Hals trug, öffnete Molly die Tür und ließ mich ein in die lange schmale Diele.

»Einen Moment bitte«, sagte sie und ging rechter Hand zur ersten Tür, um mich anzukündigen.

»Und keinen Augenblick zu früh«, sagte eine Männerstimme. »Ich habe seit zweiundvierzigeinhalb Minuten keinen Tee mehr getrunken.« Und damit trat der Besitzer dieser Stimme aus der Tür, um mir die Hand zu reichen.

Mord in der Mangle Street

Подняться наверх