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Eine neue Rolle

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Mutter – es gibt kaum einen Begriff, der so viel beinhaltet, so viele Assoziationen und Erwartungen hervorruft. Es ist ein Prädikat, das eine Frau bekommt, die ein Kind geboren oder adoptiert hat. Selbstverständlich sind die circa 178 Millionen Mütter auf unserem Planeten alle unterschiedlich. Und das sollte eigentlich auch alles sein, was es dazu zu sagen gibt. Doch leider ist da dieser enorme Druck von der Gesellschaft, von Wissenschaft und Wirtschaft, von Männern, anderen Frauen, finanziellen Institutionen und nicht zuletzt der Werbeindustrie, die sich alle in etwas einmischen, wo es gar keiner Einmischung bedarf!

Mütterlich zu sein, bedeutet für mich, einem kleinen Menschen Fürsorge und Empathie zu schenken und ihn so gut wie möglich auf das Leben vorzubereiten. Auch das Loslassen gehört dazu, also sich selbst und die eigene Mutterrolle nicht allzu ernst zu nehmen, sondern möglichst selbstlos zu lieben. Eine andere sehr schöne Definition, die ich mal irgendwo gelesen habe, besagt: »Eltern sein bedeutet, sehr oft aufzustehen, nachdem man sich gerade hingesetzt hat.«

Mein erstes Kind bekam ich mit 21 Jahren. Rainer hatte zum Zeitpunkt des errechneten Geburtstermins gerade ein Theaterengagement in Frankreich. Für mich war es in Ordnung, dass er wahrscheinlich bei der Geburt nicht dabei sein konnte. Ich fuhr nach Österreich zu meiner Mutter und hatte damit ja Hilfe. Als unser Sohn zehn Tage nach dem Termin immer noch keine Anstalten machte, auf die Welt zu kommen, sollte die Geburt eingeleitet werden. Meine Gynäkologin in Salzburg ist die Mutter einer Schulfreundin, welche dann Rainer anrief.

»Also, wenn du irgendwie doch kommen kannst – morgen ist es so weit!«

Das ließ Rainer sich nicht zweimal sagen. Er überredete das Theater, ihm freizugeben, und wollte sofort zu mir. Dummerweise fand in Frankreich aber gerade ein Flughafenstreik statt. An diesem Tag ging nur noch eine einzige Maschine nach Wien, und die war völlig ausgebucht. Aber mein Mann, eloquent wie er ist, überzeugte den Piloten: »Ich muss in dieses Flugzeug! Ich krieg ein Baby!« Also nahmen sie ihn tatsächlich mit, auf einem Sitz, der eigentlich für die Stewardessen bestimmt war. Sobald er in Salzburg ankam, wurde die Geburt eingeleitet, und dreieinhalb Stunden später war unser Sohn auf der Welt.

Ihn das erste Mal im Arm zu halten, war unbeschreiblich. Ich wusste, dass von nun alles anders sein würde. Ich könnte nie wieder die Gleiche sein wie zuvor. Diese neue Rolle würde ich nie wieder ablegen, solange ich lebte. Die tiefe Liebe einer Mutter zu einem Kind ist die größte Macht im Universum. In dieser Sekunde verstand ich plötzlich alles. Ich wusste, was meine Mutter für mich empfand und Oma Anna für meinen Vater. Es ist vielmehr eine Gewissheit, eine unumstößliche Wahrheit als ein Gefühl: Ich spürte ganz deutlich, dass von nun an mein Herz außerhalb meines Körpers schlagen würde.

Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben

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