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Fußstapfen

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Mein Vater wollte nie, dass ich in seine Fußstapfen trete und Schauspielerin werde. Er hat mich zwar mit 14 Jahren zu meinem ersten Casting geschickt, aber das eigentlich nur, um mir zu zeigen, wie schwer dieser Beruf ist. Er wollte mich beschützen, vielleicht auch vor Enttäuschungen bewahren.

»Du schaust dir das jetzt mal an, damit du nicht auf die Idee kommst, es zu versuchen!«

Lustigerweise hatte ich zuvor gar nicht den Wunsch gehegt. Er löste also eine dieser sich selbst erfüllenden Prophezeiungen aus, die voll nach hinten losgehen.

Schuld an meiner Schauspielkarriere im Speziellen ist ein bestimmtes Foto. Es zeigt mich mit meiner damals etwa einjährigen Schwester Peri auf dem Arm vor unserm Haus. Dieses Bild schickte mein Vater nach München zur Bavaria, die für einen Kinofilm ein junges Mädchen suchten. Prompt wurde ich zum Casting eingeladen. Als Schauspielerkind wusste ich, wie ein Bühneneingang riecht, deshalb war ein Vorsprechen für mich nichts Besonderes. Die anderen etwa 350 Mädels saßen da gestriegelt und gebügelt mit ihren Eislaufmüttern im Wartezimmer der Produktionsfirma und übten fleißig ihren Text. Ich kam zu den Probeaufnahmen mit zwei verschiedenen Schuhen und hielt mich für eine verdammt coole Socke. War ich auch! Ich hatte diese kindliche Mir-doch-egal-Einstellung. Selbstbewusst setzte ich mich auf den Tisch und schnodderte meinen Text runter. Ich hatte rein gar nichts zu verlieren und strahlte genau das auch aus. So wurde ich tatsächlich für die Rolle besetzt!

Der Film scheiterte schließlich an der Finanzierung, und als zwei Jahre später die Bavaria wieder anrief, um mich für eine Familienserie namens Ein Haus in der Toscana zu casten, hatte ich erst überhaupt keine Lust. Ich dachte, das klappt doch sowieso wieder nicht. Mittlerweile war ich 16 Jahre alt, Schulsprecherin und ein bisschen rechthaberisch. Ich hatte mich echt hochgearbeitet seit den Tagen in der Volksschule, als ich die Neue war. Ich ging auf das Musische Gymnasium in Salzburg, hatte viele Freundinnen und gehörigen Einfluss auf die anderen Schülerinnen. Eines Tages nahm mich die Direktorin zur Seite und sagte: »Muriel, könntest du bitte aufhören, Absatzschuhe zu tragen? Das machen dir alle nach. Und wir haben doch neues Parkett!«

Da ich manchmal ein klein wenig trotzig bin, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging doch zum Vorsprechen für Ein Haus in der Toscana.

Es wurde eine Schauspielerin für die Rolle der Bea Donner gesucht, ein junges Mädchen, das mit ihrer Familie nach Italien auswandert. Die Regisseurin war die gleiche wie bei dem Kinoprojekt, aus dem nichts geworden war. Sie hatte mich noch in guter Erinnerung und den Produzenten meine ersten Probeaufnahmen gezeigt. Ich wurde wieder nach München eingeladen, aber musste dieses Mal überhaupt keinen Text vorbereiten. Im Grunde wollten sie mich nur mal kennenlernen. Wieder war ich die Ruhe selbst. Ich hatte ja nichts zu verlieren und überhaupt keinen Zugzwang. Schauspielerin – das war nicht mein erklärter Berufswunsch. Und dennoch bekam ich den Job!

Ein Jahr lang sollte ich ohne meine Eltern in der Toskana die erste Staffel drehen. Wie meine Mutter das mitgemacht hat, weiß ich bis heute nicht! Mein Vater hat mir das aber zugetraut, außerdem war auch ein Kollege dabei, den er gut kannte, deshalb durfte ich tatsächlich mit meinen 16 Jahren für ein Jahr nach Italien auswandern. Ich hatte nicht mal einen Lehrer am Set. Trotzdem lernte ich nebenbei und schrieb irgendwie meine Schularbeiten. Die Schule unterstützte das zum Glück. Da es ein musisches Gymnasium war, wurden künstlerische Betätigungen gern gesehen.

Die Zeit in Italien stellte für mich eine doppelte Premiere dar. Zum ersten Mal arbeitete ich als Schauspielerin, und zum ersten Mal lebte ich ohne meine Eltern – und dann auch noch im Ausland! Die Filmcrew war meine Familie. Meine Maskenbildnerin und ihr Mann, der Dolly-Fahrer – das ist der Kamerawagen –, nahmen mich unter ihre Fittiche und waren wie Ersatzeltern für mich. Von dieser Maskenbildnerin habe ich den wichtigsten Schönheitstipp aller Zeiten bekommen: Immer abends abschminken! Ich habe heute noch eine Packung Abschminktücher unter dem Bett meiner kleinen Tochter liegen, sollte ich bei der Gutenachtgeschichte wegnicken.

So cool wie beim Vorsprechen war ich beim Drehen dann allerdings nicht mehr. Ich hatte ja gar keine Ahnung, wie das alles funktioniert. Das Team brachte mir die Grundlagen bei. Ganz rudimentäre Sachen wie: Was ist eine Marke und eine Kameraachse? Was verbirgt sich hinter einer Over-Shoulder- und einer amerikanischen Einstellung? Solche Fachbegriffe sagten mir Landei rein gar nichts. Da ich jedoch noch so jung war, durfte ich Fragen stellen und bekam alles erklärt. Ich durfte auch Lkw fahren, Ton angeln und Kabel putzen. Das Team nahm mich an die Hand und zeigte mir alles geduldig. Es war ein wenig wie betreutes Drehen.

An meinem ersten Drehtag legte der Dolly-Fahrer eine Schiene, auf der die Kamera fahren sollte, und ich fragte mit Blick auf das Metallschienensystem völlig naiv: »Reicht das denn überhaupt aus?«

Er schaute mich nur an und sagte: »Na gut, dann legen wir halt noch drei Meter mehr, Tweety!«

Ab diesem Moment hatte ich meinen Spitznamen weg. Zuerst einmal, weil ich so große Augen machte, aber ich war natürlich auch das Küken der Serie. Die Frage hatte ich überhaupt nicht böse gemeint, mir war ja auch nicht klar, wie viel Arbeit es macht, drei weitere Meter Schiene zu verlegen. Der Fahrer half mir dadurch aber sehr, weil ich als Schauspielerin noch viel zu unerfahren im Timing war. Durch die längere Schiene war eine längere Kamerafahrt möglich, und so hatte ich viel mehr Zeit, meinen Text unterzubringen, während ich lief. Alle waren wirklich sehr süß zu mir.

Ich sprach zwar keinen richtigen Salzburger Dialekt, aber meine Sprachfärbung war dennoch weit entfernt von Hochdeutsch. Der Tonmann Holger Gimpel hatte eine lustige Art, damit umzugehen. Er gab mir für jede richtig ausgesprochene Zeile ohne österreichischen Einschlag fünfzig Lira, was heute ein paar Cent entsprechen würde. Quasi als Taschengeld. Später bekam ich vom Team außerdem einen Tweety-Aufnäher auf meinen Setstuhl genäht.

Ich fühlte mich sehr wohl in meiner neuen Heimat, dem kleinen Ort Massa Marittima. Jeden Abend saßen wir im Restaurant Da Vanni, und ich trank eine Fanta – meine Mutter war ja weit weg. Im Restaurant hing sogar der Drehplan für den nächsten Tag aus. Da Vanni war unser Wohnzimmer. Die Zeit dort ist mir als glücklich, aufregend und voller herzenswarmer Menschen in Erinnerung geblieben. Ein bisschen wie ein einjähriges Ferienlager.

Im nächsten Jahr drehte ich die zweite Staffel und machte parallel dazu meine Matura. Keine Ahnung, wie ich das geschafft habe. Mit dem Abschluss in der Tasche schrieb ich mich für Soziologie an der Uni in Salzburg ein. Für ganze zwei Tage! Länger habe ich es zwischen all den Ökos in ihren Birkenstocks nicht ausgehalten – die ich heute lustigerweise selbst trage. Also brach ich ab und entschied mich nach meinem umfangreichen Studium für »was Richtiges«: Ich stürzte mich voll und ganz in die Schauspielerei!

Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben

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