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Alien

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Während mein Vater auf den Bauernhöfen Geschäfte machte, durfte ich mit den Bauernkindern spielen. Eltern machen sich das manchmal ganz schön leicht, wenn sie sagen: »Guck mal, da ist ein anderes Kind, geh doch mal spielen!« Dabei vergessen sie leider, dass diese anderen Kinder auch nur Menschen sind und man nun mal nicht automatisch mit jemandem klarkommt, nur weil derjenige ebenfalls noch nicht ausgewachsen ist. Das wäre so, wie wenn man einem Steuerberater sagen würde: »Guck mal, da ist ein anderer Steuerberater, geh doch mal rechnen!«

Die anderen Kinder fanden mich nämlich erst mal ziemlich merkwürdig. Dieses Künstlerkind mit der dicken Brille und den beiden Zöpfen, die quasi mein Signature-Look waren. Mode spielte in meiner Kindheit noch gar keine Rolle. Meinen Eltern war es relativ egal, wie ich rumlief. Ich trug oft braune Nicki-Pullis und dazu Schlaghosen. Volle Kanne Siebzigerjahre! Ich fand es chic, für die Kinder vom Land wirkte ich jedoch wie ein Alien. Ich sprach auch keinen richtigen Dialekt, da wir zuvor in Salzburg gelebt hatten, wo eine völlig andere Mentalität herrschte als auf dem Land. Hier hingegen waren die Menschen erdverbunden und im wahrsten Sinne im Landleben verwurzelt. Die Bauernkinder fütterten die Hühner und kannten sich mit Schweinemast aus, ich konnte den Erlkönig auswendig. Auf den Höfen lebten meist mehrere Geschwister zusammen, sodass die Bauernkinder immer in der Überzahl waren, während ich als Einzelkind allein dastand. Noch dazu waren wir protestantisch – und das in einer Katholikenhochburg.

Meine Andersartigkeit bekam ich direkt am ersten Schultag zu spüren. Ich kam ein ganz klein wenig zu spät in den Klassenraum, sodass nur noch ein Platz frei war, neben einem Jungen namens Andreas. Er war ein beleibtes Kind mit fettigen, schwarzen Haaren, roten Wangen und einem karierten Hemd. Die anderen Kinder kannten sich fast alle schon aus der Nachbarschaft oder dem Kindergarten. Ich war die Neue. Unsere Lehrerin Fräulein Schubert wies mir den Platz neben Andreas zu, der mich aus zwei kleinen Schweinsäuglein heimtückisch angrinste. Unter den neugierigen Blicken meiner Mitschüler ging ich aufgeregt zu ihm in die dritte Reihe, hängte meine Schultasche seitlich an die Schulbank und setze mich. Gerade als mein Hintern den Holzstuhl berührt hatte, gab mir Andreas mit voller Wucht eine Ohrfeige. »Damits’d glei mal weisst, wer da Mann im Haus is!« Ich war völlig geschockt und meine Lehrerin auch. Sie stotterte nur irgendwas von »G’schlogen wird net!«, aber setzte sich nicht wirklich für mich ein. Meine Wange glühte, und ich traute mich die ganze Stunde nicht, irgendetwas zu sagen. Am nächsten Tag durfte ich mich umsetzen. Andreas und ich wurden nie Freunde. Keine Ahnung, was aus dem »Mann im Haus« geworden ist.

Mit meinen direkten Nachbarskindern freundete ich mich später aber an. Sie brauchten eine Weile, um mich zu akzeptieren und in ihren Club aufzunehmen, aber dann waren wir unzertrennlich. Wir spielten Verstecken im Wald oder fuhren mit dem Fahrrad ins Strandbad Mattsee zum Baden. Wenn ich bei ihnen zu Besuch war, sahen wir oft fern. Das war für mich völlig faszinierend, weil ich das zu Hause so selten durfte. Meine Mutter sah das mit dem Medienkonsum damals schon relativ eng. Zum Beispiel blieb die Flimmerkiste konsequent aus, wenn wir am selben Tag ins Kino gingen. Deshalb schaute ich oft heimlich bei den Nachbarn. Ich liebte eine Serie namens Drei sind einer zuviel mit Jutta Speidel und Thomas Fritsch. Darin geht es um zwei Männer, die um die gleiche Frau buhlen. Ich habe Jahre später mit den beiden gedreht und fand es so lustig, die Idole meiner Kindheit zu treffen.

Mittwochnachmittags schauten wir sehr gern die Sendung Kasperltheater im ORF 1. Verschiedene Puppenspielbühnen führten da ihre Programme auf, und man konnte bei einem Gewinnspiel, der Kasperlpost, mitmachen. Einmal schrieb ich dorthin und gewann ein Buch: ein Kinderlexikon der Biologie. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen bildet nicht.

Wenn wir nicht gerade bei Fernsehgewinnspielen mitmachten, spielten wir mit Barbies. Meine Nachbarsmädchen hatten viele verschiedene davon, und sogar Barbiepferde! Ein Traum in Pink – und die rochen immer so gut. Ich liebte es, mit diesen kleinen rosa Plastikbürsten die Mähnen zu kämmen und dann Frisuren zu flechten, meistens die gleichen Zöpfe, die ich selbst trug. Ich hatte mir immer eine Barbie gewünscht, aber lange keine eigene bekommen. Meine Mutter fand das blöd. Wenn schon Bio, dann auch Feminismus! Doch da sie mich sehr liebte, erhörte sie eines Tages mein Flehen und brachte mir aus der Schweiz, wo sie viel arbeitete, nicht nur die Lindt-Schokolade mit den von mir heiß geliebten Schiebetafeln mit, sondern auch eine – wie sie sagte – Barbiepuppe. Sie hatte das am Telefon schon angekündigt, bevor sie zurückkam. Mein Herz hüpfte im Quadrat, so sehr habe ich mich gefreut. Ich stand aufgeregt am Fenster, starrte auf den Pflastersteinweg, der durch unsere wilde Wiese führte, und wartete sehnsüchtig auf meine Mutter. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die in Wahrheit vermutlich etwa dreißig Minuten dauerte, war es endlich so weit! Schon von Weitem sah ich die orangefarbene Ente meiner Mutter die steilen Serpentinen zu unserem Berg hinaufbrausen. Als sie geparkt hatte, rannte ich ihr sofort entgegen, direkt in ihre weit ausgebreiteten Arme. Ich freute mich ja immer sehr, sie wiederzusehen, aber diesmal war es etwas ganz Besonderes. Sie ließ mich auch nicht lange zappeln und holte aus dem Kofferraum ein hübsch verpacktes Päckchen für mich. Ich konnte es nicht glauben! Schnell rannte ich ins Haus und riss voller Vorfreude das Geschenkpapier auf. Doch schon als ich den ersten Fetzen Papier in der Hand hatte, wurde ich stutzig: Rosa war die Verpackung zwar, die mir da entgegenleuchtete, aber die Schrift sah irgendwie anders aus, und die Puppe hatte … dunkle Haare?! Mit Grauen musste ich feststellen: Das war keine Barbie, sondern eine Sindy – flachbusig und brünett! Ein billiger Barbie-Abklatsch und der totale Reinfall. Viel schlimmer, als ein Spielzeug nicht zu haben, ist es doch, das falsche Spielzeug zu haben! Ich fühlte mich beschissen und verraten. Meine Mutter kannte vermutlich nicht mal den Unterschied. Hätte ich sie aufgeklärt, wäre wahrscheinlich ihre Standardreaktion gekommen: »Aber wieso denn?« Außerdem freute sie sich so sehr, mir diese »Freude« zu machen, dass ich meine Enttäuschung einfach runterschluckte, dankbar lächelte und sie fest umarmte. Ich dachte, dass ich die Puppe vielleicht doch irgendwie als Barbie verkaufen könnte, und ging direkt zu meiner Freundin nach nebenan. Als ich ihr mit gespielter Begeisterung meine neue Errungenschaft unter die Nase hielt, durchschaute sie als erfahrene Barbiebesitzerin den Puppenschwindel sofort. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, hob eine Augenbraue und sagte: »Wüst mi pflanz’n? Des is koa echte Barbie!« Und lachte mich aus. Doofe Sindy!

Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben

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