Читать книгу Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben - Muriel Baumeister - Страница 12

So gut wie möglich

Оглавление

Ich glaube nicht, dass es irgendeine Mutter gibt, die alles richtig macht. Wie soll das gehen? Mütter sind auch nur Menschen und haben Sorgen, mal einen schlechten Tag oder eigene Ängste. Der Pädagoge Pestalozzi hat das ganz gut auf den Punkt gebracht: »Eltern müssen nicht perfekt sein, nur gut genug!«

Als Mutter bin ich sehr warm und aufmerksam. Ich gehe selbstverständlich mit Kindern um und nehme sie ernst. Ihre Bedürfnisse sind ebenso wichtig wie meine. Sie haben deshalb altersgerecht ein Mitspracherecht, bei allem, was sie oder unsere Familie angeht. Ich entscheide nicht über ihren Kopf hinweg. Ich bin fürsorglich, aber keine Helikoptermutter. Ich muss nicht drei volle Mahlzeiten und eine Bilderbuchbibliothek mit auf den Spielplatz schleppen. Wenn ich mal Sagrotantücher dabei habe, ist das schon viel. Ich lasse meinen Kindern Freiraum zum Ausprobieren und dafür, eigene Fehler zu machen. Sie sollen ja selbstbewusste Individuen werden. Aber wenn sie fallen, bin ich da!

Weil Rainer und ich so jung Eltern wurden, waren wir auf diese glückliche Weise unbedarft. Wir machten uns keinen Stress, sondern vertrauten uns und lernten das Elternsein gemeinsam durch Ausprobieren und Bessermachen. Das war eine liebevolle und warmherzige Zeit. In Hamburg hatte ich viele Freundinnen, die ebenfalls kleine Kinder hatten. Im Sommer saßen wir oft abends zusammen auf der Terrasse und tranken Champagner. Wir stießen leise an, denn drinnen schliefen die Kinder. Es war einfach herrlich, das Beste aus beiden Welten. Wir hatten das Gefühl, das hatten wir uns verdient, und hey – was kostet die Welt?

Ich fühlte mich aufgehoben und umsorgt und konnte ganz in Ruhe in meine Mutterrolle hineinwachsen. Und ich hatte natürlich auch Hilfe, und das nicht nur von meinem Mann. Weil wir beide sehr viel arbeiteten, haben wir eine Kinderfrau für unseren Sohn angestellt. Sie war eine waschechte Hamburgerin und eine wahre Perle. Ihren Einfluss auf meinen Kleinen merkte ich dann ganz deutlich, als er mich mit drei Jahren in astreinem Norddeutsch fragte: »Mama, wo iss’n mein Robotä?«

Direkt hinter unserem Haus im Hofweg gab es einen Spielplatz, auf dem eine ältere Frau die Kinder hütete. Sie hieß Rita. Für zwei Mark konnte man sein Kind bei ihr für eine Stunde abgeben, um mal einkaufen zu gehen oder so, und Rita hat dann aufgepasst. Beim Abholen gab’s für jedes Kind eine Tüte Gummibärchen. Ich habe meinen Sohn oft bei ihr gelassen. Der fand das super. Heute würde man vermutlich von so einer Rita erst mal ein polizeiliches Führungszeugnis, den Nachweis über einen Erste-Hilfe-Kurs und einen Aidstest verlangen. Das verstehe ich auch irgendwie. Ich würde meine kleine Tochter heute auch nicht mehr allein auf einen Spielplatz lassen. Aber ich frage mich, ob diese ganze übervorsichtige Erziehung unseren Kindern nicht auch ein wenig die Kindheit vermiest.

Denn tatsächlich: Als ich aufgewachsen bin, hat keiner nach uns geguckt. Wir haben auf den Bauernhöfen in der Nachbarschaft gespielt und waren wieder zu Hause, wenn es dunkel wurde. Da kam niemand mit einer GPS-Uhr, Lunchpaket und der ständigen Bitte: »Zieh dir mal ’ne Jacke an!«

Meine Mutter, so sehr sie mich auch liebte und immer noch liebt, hätte für mich niemals ihr eigenes Leben aufgegeben, und dafür bin ich ihr dankbar. Sie war mir ein Vorbild, als starke Frau und Künstlerin, die ihren Traum lebte und noch heute lebt. Deshalb kam es für mich auch gar nicht infrage, meinen Beruf aufzugeben, nur weil ich plötzlich ein Kind hatte. Eine fest angestellte Kinderfrau war in dieser Situation natürlich ein großer Luxus, den ich auch zu schätzen wusste. Heute, bei meiner Jüngsten, habe ich das nicht mehr. Auch deshalb, weil ich es mir finanziell nicht mehr leisten kann. Das ist schon etwas ganz anderes jetzt. Ich kann nicht mehr spontan ins Kino oder abends essen gehen, und auch wenn ich arbeite, muss ich jedes Mal eine Betreuung organisieren. Zum Glück bekomme ich viel Unterstützung aus dem Freundeskreis und auch von den Vätern meiner Kinder. Ich habe solche Hochachtung vor den Frauen, die wirklich alleinerziehend sind. Und dann vielleicht noch mit einer unzureichenden Ausbildung und drei Kindern, um die der Vater sich rein gar nicht kümmert. Hut ab, wer das hinbekommt! Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen. Allein ist eine Mutter oder ein Vater da völlig aufgeschmissen.

Deshalb finde ich dieses Mütter-Bashing, das oft online sowie offline stattfindet, dieses Lästern über andere, nur um sich selbst besser zu fühlen, auch völlig zum Kotzen! Jeder hat eine Meinung zum Muttersein und das Bedürfnis, sie mitzuteilen. Dabei gibt es doch nichts Privateres als die Beziehung zum eigenen Kind. Ich traf neulich eine Freundin mit ihrem neugeborenen Baby und sagte: »Ich stell dir mal nicht die drei üblichen Fragen.« Sie war sehr erleichtert. Dieses ständige: Schläft es durch? Stillst du noch? Oder: Warum stillst du nicht mehr? – Das geht doch niemanden etwas an! Genauso Mütter, die Schwangeren ihre eigenen Horrorgeschichten von der Geburt erzählen – das ist so taktlos!

Fürs Muttersein gibt es keinen Lehrplan. Jedes Kind, jede Frau und jede Familiensituation ist anders. Ein Kind kommt nicht als Prototyp inklusive Gebrauchsanweisung auf die Welt. Die Beziehung zu seinem Nachwuchs muss man sich erarbeiten und manchmal auch erkämpfen. Dennoch ist es Müttern gesellschaftlich untersagt zu scheitern. Ich stimme da eher Samuel Beckett zu, der sagte: »Scheitere besser!« Nur so lernt man schließlich – durch Versuch und Irrtum. Wir können alle nur versuchen, so gut wie möglich zu sein. Denn wir sind – so sehr wir uns auch bemühen – zu jedem Zeitpunkt stets die beste Version unserer selbst. Und nicht die perfekte Version. Das musste ich erst mal lernen zu akzeptieren, nachdem ich meinen Sohn bekommen hatte. Ich bin vielleicht nicht immer eine gute Mutter, aber ich bin die beste, die ich sein kann.

Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben

Подняться наверх