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Puschelkullover

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Wie kein anderes Besitztum sind Kleidung und auch Schmuck mit Gefühlen und der eigenen Geschichte verbunden. Ein schönes Möbelstück benutzt man vielleicht zwei Stunden am Tag, als Couchpotato vielleicht auch mehr – aber Kleidung trägt man rund um die Uhr. Man lädt sie mit der eigenen Energie auf und verbindet sich automatisch mit der Energie der Vorbesitzer. Deshalb würde ich Schmuck niemals secondhand kaufen. Man weiß ja nie, wer ihn vorher getragen hat und welche Geschichte damit verbunden ist. Wer gibt schon einen Tiffany-Verlobungsring ins Pfandleihhaus? Dieser Ring kann kein gutes Karma haben.

Durch Familienerbstücke allerdings verbinde ich mich sehr gern mit den Generationen, die mir vorangegangen sind. In meiner Familie gibt es ein Halswehtuch aus blauer Seide mit einem feinen Paisleymuster, das ursprünglich meiner Urgroßmutter gehörte. Jeder, der krank ist, bekommt es um den Hals gewickelt. Und das wirkt! Mindestens so gut wie Hühnersuppe.

Umso geschockter war ich deshalb, als mich beim Dreh zur Serie Einsatz Hamburg Süd, in der ich eine Kommissarin spielte, die echte Polizei anrief. In unsere Wohnung in Hamburg war eingebrochen worden. Ich sollte so schnell wie möglich kommen. In der Mittagspause fuhr ich rüber. Aus dem Wohnzimmer waren ein paar technische Geräte entwendet worden – das war halb so wild. Aber als ich ins Schlafzimmer kam, blieb mir fast das Herz stehen. Mein Schmuckkästchen war komplett ausgeräumt worden. Darin befand sich der gesamte Familienschmuck, den ich von meiner Oma Anna geerbt hatte. Ihre Ketten, Ohrringe, ihr Verlobungsring, diese unbezahlbaren Schätze – alles weg. Nur eine einzelne traurige Perle von einer Kette meiner Urgroßmutter lag noch auf dem dunkelroten Samt. Ich heulte Rotz und Wasser. Das war ein wirklich schlimmer Verlust. Nicht aus materiellen Gründen – das war meine Familiengeschichte, die mir da geklaut wurde!

Wenn ich im Sommer in der Heimat bin, trage ich auch immer ein langes Leinenhemd meines Großvaters. Ich habe ihn niemals kennengelernt, aber immer, wenn ich an ihn denke und ihn mir vorstelle, trägt er dieses Hemd. Genauso besitze ich auch ein Hemd meines Vaters, das ich zu den Geburten meiner beiden Töchter getragen habe. Da lebte mein Vater schon nicht mehr. Aber dieses Hemd hat mir ein Stück seiner Kraft gegeben. Ich fühlte mich umarmt von ihm. Irgendwie war er durch dieses Hemd bei mir – wenn auch nur in meiner Fantasie.

Eines meiner liebsten Kleidungsstücke, die ich jemals besessen habe, war ein schwarzer Rollkragenpullover aus Kaschmir mit schmalen Ärmeln und einem riesigen Kragen, der fast noch mal die gleiche Länge hatte wie der Pullover selbst. Dieser Pulli war mein Haus. Er wärmte mich, wenn ich fröstelte, und tröstete mich, wenn ich Liebeskummer hatte. War der Tag einmal richtig schlecht, trug ich den Pulli sogar nachts im Bett. Er war die stylischere und erwachsenere Version einer Schnuffeldecke, ein Kuschelpullover, oder wie meine kleine Tochter sagt: Puschelkullover.

Doch dann, eines Tages, habe ich ihn in einem Hotel liegen lassen. Ich wurde sehr früh zum Drehen abgeholt, hatte hektisch meinen Koffer gepackt und mein Seelenpflaster in Pullover-Form dabei einfach übersehen. Ich saß schon in der Maske, als es mir plötzlich dämmerte. Wie konnte ich nur? Panisch rief ich im Hotel an und bekniete die Rezeptionistin, nachzuschauen. Aber der Pullover tauchte nicht wieder auf. Vielleicht hat ihn eines der Zimmermädchen entführt, vielleicht war er aber auch böse auf mich, weil ich ihn verlassen hatte, und suchte sich eine neue Besitzerin. Jahrelang kam ich nicht darüber hinweg. Ich versuchte es mit anderen Pullovern, ging auch mit ihnen ins Bett, mit einem nach dem anderen, aber es war nicht dasselbe. Mein Puschelkullover war einzigartig. Wir hatten einfach viel zu viel gemeinsam erlebt. So etwas vergisst man nicht.

Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben

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