Читать книгу Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben - Muriel Baumeister - Страница 15

Learning by doing

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In der Serie Ein Haus in der Toscana habe ich hauptsächlich mich selbst gespielt. Ein junges Mädchen, das sich verliebt, Konflikte mit den Eltern hat und so weiter. Es gab nur eine Spielsituation, die weiter von meiner Alltagsrealität entfernt war. Meine Figur wurde entführt. Ich hatte ja keine Schauspielausbildung und wusste überhaupt nicht, wie man sich in eine Situation versetzt, in der man selbst nie gewesen ist. Also schrie und strampelte ich und spielte das nach, was ich in anderen Filmen gesehen hatte. Mit echtem Schauspiel hatte das noch wenig zu tun.

Nach der Goldenen Kamera kamen dann immer mehr Figuren, von denen ich nicht wusste, wie ich sie spielen sollte. Von da an hat mich die ganze Technik hinter dem Schauspielern wahrhaft interessiert. Ich hatte Blut geleckt. So ein richtiger Zusammenbruch mit Tränen oder auch Wut und Ohrfeigen, das ist ja erst mal peinlich. Als »normale« Menschen – was auch immer das ist – haben wir gelernt, unsere negativen Gefühle möglichst für uns zu behalten und eben keine Szene zu machen. Einer Schauspielerin sollte dagegen möglichst wenig peinlich sein. Ich arbeite permanent gegen gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten an, um Charaktere in Extremsituationen darstellen zu können. Das erfordert Mut. Am Anfang hatte ich Angst, mich lächerlich zu machen, nicht gut genug zu sein oder der Rolle nicht gerecht zu werden. Aber von Rainer habe ich dann gelernt: Die Angst ist nicht mein Feind, sondern mein größter Antrieb. Sich verletzlich zu zeigen, das macht eine Figur auf der Leinwand interessant. Und eben diese Ehrlichkeit ist es auch, die einen Menschen im wahren Leben faszinierend und liebenswert macht. Wer will schon mit einer perfekten Fassade zusammen sein? Angst und Scham anzunehmen, ist eine der wichtigsten Kraftquellen in jeder Krisensituation. Wenn man hingefallen ist, braucht man sich nicht dafür schämen. Einfach wieder hoch und dazu stehen.

In den Neunzigerjahren habe ich wahnsinnig viel gedreht. Ich war richtiger »Hot Shit«. Eine Journalistin fragte mich mal: »Am Anfang Ihrer Karriere haben Sie ja hauptsächlich Töchter gespielt. Woran liegt das?« Ja, mein Gott, ich war 15! Was hätte ich denn sonst spielen sollen? Massenmörderinnen? Damals sah die deutsche Unterhaltungsindustrie noch ganz anders aus. Es gab zwar nur etwa zehn weitere Filmschauspielerinnen in meinem Alter und der Hype um uns war entsprechend groß, aber dennoch wurden wir für unsere Arbeit anerkannt und nicht fürs »Berühmtsein«. Die Fragen der Journalistinnen und Journalisten drehten sich immer um unsere Projekte und eventuell die Karriere im Allgemeinen, aber nicht um private Lebensumstände. Ebenso wie das Schauspiel musste ich auch den Umgang mit den Medien Schritt für Schritt lernen. Quasi »learning by doing« – oder auch »learning by failing«.

Unter den vielen Töchtern, die ich vor der Kamera spielte, gab es dann eine, die mich richtig herausforderte. In dem Film Vaters Tochter spielte ich eine junge Frau, die in Amerika lebt, nach Deutschland zurückkehrt und ihre Tochter wiedertrifft. Im Laufe des Films stellt sich heraus, dass der Vater meine Figur missbraucht hat und auch der Vater ihres Kindes ist. Die Darstellung dieses Traumas hat mir einiges abverlangt. Es war ein großartiges Drehbuch, trotzdem hatte ich immer noch keinen Plan, was ich da genau spielen und wie ich es herstellen sollte. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich ja immer noch dem Regisseur George Tabori, der mir als Kind gesagt hatte: »Nur im Gefühl liegt Wahrheit!« Also versuchte ich, mich so gut wie möglich in die Situationen einzufühlen. Was ich heute für keine besonders gesunde Vorgehensweise mehr halte. Auch wenn Schauspieler und Schauspielerinnen sagen: »Ich bin in der Rolle!«, finde ich das mittlerweile bescheuert. Das hat nichts mit Technik oder Handwerk zu tun, sondern ist oft nur eine Ausrede dafür, sich schlecht zu benehmen. Auch wenn ich bei diesem Film alles gegeben habe, entstanden die besten Momente und Reaktionen eher nach dem Zufallsprinzip. Mal passte es und mal nicht. Es hatte mehr etwas von Suchen und Finden als von Spielen. Heute weiß ich, es heißt aus einem guten Grund Schauspieler und nicht »Schauseier«.

Der Film schlug damals große Wellen und kam richtig gut an. Die Presse stürzte sich auf dieses wichtige Thema. Missbrauch in der Familie wurde damals noch nicht oft in Filmen behandelt. So trugen wir mit unserem Projekt dazu bei, eine öffentliche Debatte darüber anzustoßen. Nach diesem Film schrieb mir mein Vater ein Telegramm. Ich drehte gerade in Lissabon für das nächste Projekt, als mich seine Zeilen erreichten. Er beglückwünschte mich zu meiner Leistung. Endlich sah er, wozu ich im Stande war, und konnte mich als Schauspielerin akzeptieren. Das war mir sehr wichtig. Auf den Presserummel konnte ich immer schon verzichten, aber auf diese persönliche Anerkennung hatte ich jahrelang gewartet.

Manchmal denke ich dennoch, ich hätte den Hype, als ich noch jung war, mehr genießen sollen, anstatt ihn immer nur als Bürde zu betrachten. Die Aufmerksamkeit hätte ja auch Spaß machen können! Ich hatte mich jedoch von Anfang an so darauf eingegroovt, das alles nicht zu ernst zu nehmen, dass PR-Auftritte für mich nie etwas Positives hatten und auch immer noch nicht haben. Der rote Teppich war immer schon knallharte Arbeit. Heute denke ich, ein wenig Leichtigkeit wäre manchmal ganz gut gewesen. Ein wenig mehr Spielfreude abseits der Kamera. Vielleicht war es falsche Bescheidenheit, vielleicht Misstrauen der Szene gegenüber. Vielleicht konnte ich die Lorbeeren auch nicht annehmen, weil ich meinem Vater unbedingt beweisen wollte, dass ich eine seriöse Schauspielerin war und kein mediengeiles Starlet! Deshalb habe ich mich neben kommerziellen Produktionen auch stets um tiefgründige Rollen bemüht. Ich dachte immer, das wäre wertvoller, weil das Leichte nicht so viel gilt wie das Schwere. Erst heute habe ich begriffen: Es darf auch leicht sein! Man muss es sich nicht unnötig schwer machen. Das Leben ist schon schwer genug.

Vielleicht um der jahrelangen Kritik meines Vaters an meiner Schauspielkunst entgegenzuwirken, aber auch weil ich das Handwerk lernen wollte, habe ich es zweimal mit Schauspielunterricht versucht. Einmal war ich bei einer Lehrerin in Berlin, die mir zwei Stunden lang das Gretchen vorlas. Ich glaube, keine Schauspielerin kommt am Gretchen vorbei, aber das war so gar nicht meins. Fausts Tragödie hatte nichts mit dem gemeinsam, was ich spielte und lernen wollte. Das zweite Mal ging ich in Hamburg zu einem Seminar des bekannten Schauspieldozenten Dominique De Fazio vom Lee Strasberg Theatre and Film Institute in New York. Er unterrichtete »Method Acting« – die Schauspielmethode, die viele Hollywoodstars anwenden. In dem sauteuren Seminar saßen ungefähr zweihundert Schauspieler und Schauspielerinnen und himmelten Herrn De Fazio an. Er hatte eine tolle Ausstrahlung, das muss ich zugeben, aber ich habe generell ein Problem mit Autoritäten. Wenn jemand so zum Guru erhoben wird, bin ich von Anfang an misstrauisch. Er sagte dann einen Satz, der meine Skepsis noch erhöhte: »Zwei Dinge braucht ein Schauspieler nicht: Fantasie und Einfühlungsvermögen. Alright?« Das machte mich wirklich stutzig. Er schaute auf die seelig nickende Menge herab und deutete mit dem Zeigefinger direkt auf mich: »You don’t trust me – du vertraust mir nicht!«

»Nö!«, sagte ich – und ging. Das war meine Schauspielausbildung.

Richtig gelernt habe ich es dann bei der Arbeit. Es gab einen sehr guten Produzenten bei der Monaco Film GmbH in München, Georg Althammer. Er hat mir eine große Chance geschenkt. Und zwar fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, eine Polizeiserie zu drehen. Sie hieß Einsatz Hamburg Süd. Darin verkörpere ich gemeinsam mit Meral Perin das erste weibliche deutsch-türkische Ermittlerduo im deutschen Fernsehen. Als sie mich für die Rolle besetzten, hatte ich lange blonde Haaren, zur ersten Leseprobe kam ich jedoch mit einem Pixi-Schnitt, ohne das mit der Produktion abgesprochen zu haben. In meinen Augen passte diese Frisur einfach besser zu einer Kommissarin. Georg Althammer sah mich und klatschte in die Hände. »Ich hätt’s wissen müssen!«, rief er. Dem Regisseur gefiel es, und so drehten wir über einen Zeitraum von zwei Jahren 26 Folgen. Das war ideal für mich, denn ich wohnte ja in Hamburg und konnte so jeden Abend zu meinem kleinen Sohn nach Hause. Vor allem hatte ich die Möglichkeit, mich auszuprobieren und dazuzulernen, weil ich ständig vor der Kamera stand. So wie andere Leute ins Büro gehen, ging ich zum Drehen. Diese Serie war meine wahre Schauspielschule.

Als ich dann den Film Bis dass der Tod uns scheidet, ein Ehedrama mit meinem Kollegen Bernhard Schir, drehte, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, zu wissen, was ich tue. Ich kannte meine schauspielerischen Mittel und hatte meinen persönlichen Trick gefunden. Und zwar fange ich jeden Take mit geschlossenen Augen an. So entscheide ich, wann ich bereit bin für eine Szene. Ich gebe mir das »Bitte« selbst. Das kann fünf Sekunden nach dem »Bitte« des Regisseurs sein, vielleicht auch nur eine, aber ich schaffe mir auf diese Weise die optimalen Startbedingungen.

Eine Frage, die jeder Schauspieler und jede Schauspielerin bestimmt schon mal gehört hat, ist: »Kannst du auf Knopfdruck weinen?«

Wozu? Das ist überhaupt kein Qualitätsmerkmal! Ich frage den Regisseur oder die Regisseurin immer: »Willst du Tränen sehen, oder soll ich richtig weinen? Denn wenn ich richtig weine, dann sehe ich zwei Stunden lang so aus.« Tränen kann man herstellen. Da gibt es Mittel und Wege. Man kann in die Augen pusten oder eine Salbe verwenden, die die Augen feucht werden lässt. Ganz easy – ohne Seelenstriptease oder an die tote Urgroßmutter zu denken. Natürlich können solche Tricks auch – Achtung, Wortspiel! – mächtig ins Auge gehen. Bei Dreharbeiten auf der Insel Rügen bekam ich einmal Pfefferminzöl unter die Augen geschmiert, damit die Tränen während der Szene langsam fließen konnten. Doch eine unerwartete Windböe machte uns einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Meine Augen tränten so stark und schwollen dermaßen an, dass ich aussah wie eine professionelle Boxerin.

Besonders schwierige Szenen – gerade die mit Tränen – spiele ich übrigens ohne Kontaktlinsen. Da ich extrem kurzsichtig bin, hat das einige Nachteile. Ich muss meine Marken immer rückwärts laufen. Das bedeutet, ich zähle vor dem Drehen die Schritte bis zu der mit buntem Gaffertape markierten Stelle, um später auch genau dort zu landen. Die kleinen Sandsäcke, die Schauspielern manchmal als Markierung hingelegt werden, verbiete ich mir. Eine schlimme Stolperfalle für jemanden mit minus siebeneinhalb Dioptrien! Ebenso erwarte ich, dass die Sichtlinie hinter der Kamera freigehalten wird. Wenn ich gerade eine Frau spiele, die vom Tod ihrer Mutter erfährt, möchte ich keinen Set-Assistenten hinter der Kamera rumlaufen sehen, der gemütlich eine pafft.

Diese Art von Professionalität erwarte ich vom gesamten Team. Set-Fahrer ist für mich beispielsweise ein Beruf und kein Job. Ich verlange, dass auch der Fahrer seine Tätigkeit ernst nimmt, pünktlich kommt oder mir bei einer eventuellen Verspätung eine Nachricht schreibt. Ich warte ja auch zur vereinbarten Zeit vor der Tür. Ebenso brauche ich einen Rückzugsort am Set, um mich auf die emotionalen Herausforderungen beim Drehen vorzubereiten. Gerade bei Schauspielerinnen wird so etwas gern mal als Allüren bezeichnet. Ich nenne es Höflichkeit. Es kamen schon einige Aufnahmeleiter zu mir und sagten: »Du bist ja gar nicht so schlimm!« Na klar bin ich das nicht, ich weiß nur, was ich will, und eine Frau, die so selbstbewusst kommuniziert, gilt dann schnell als Zicke.

Selbstverständlich halte auch ich mich an meine eigene Professionalitätsregel. Als Protagonistin eines Films sehe ich mich verantwortlich dafür, wie der Dreh läuft. Ich bereite mich doppelt vor und kümmere mich darum, dass es allen Teammitgliedern möglichst gut geht. Ich lerne vorher die Stabliste auswendig und stelle mich bei Drehbeginn allen persönlich vor. Das ist Respekt der alten Schule. Den gebe ich, und den wünsche ich mir. Ich muss nicht mit allen befreundet sein. Das wäre auch kontraproduktiv. Am Set herrscht eine ganz klare Hierarchie, ohne diese würde ein Filmdreh überhaupt nicht funktionieren. Dennoch bemühe ich mich um menschliche Augenhöhe, egal, ob ich mit einer Praktikantin oder einem Star spreche. All das sind die kleinen, unausgesprochenen Gesetze, die ich mir nach und nach erarbeitet und für mich festgelegt habe. Schauspielerin zu sein, ist nun mal ein sehr intensiver Beruf mit viel Verantwortung. Und diese trage ich mit Stolz.

Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben

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