Читать книгу Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben - Muriel Baumeister - Страница 16

Vorbilder

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Christiane Hörbiger ist für mich ein richtiger Star! Sie ist eine der bekanntesten Schauspielerinnen meines Heimatlandes, und schon als ich klein war und bei den Nachbarn heimlich Fernsehen guckte, war ich ein Fan von ihr. Als ich viele Jahre später für den Film Der Besuch der alten Dame mit ihr in der Hauptrolle angefragt wurde, sagte ich deshalb sofort begeistert zu. Ich hätte so gut wie jeden Film mit ihr gespielt. Sie ist eine Diva im besten Sinne. Sie weiß ganz genau, was sie will, und nimmt den Text persönlich sechs Wochen vor Drehbeginn ab – und zwar nicht nur ihren, sondern das gesamte Drehbuch. She’s the boss!

Als wir uns damals zu unserer ersten Leseprobe im Hotel Imperial in Wien trafen, fragte sie: »Siezen wir uns, oder duzen wir uns?«

Ich dachte nur, okay, darauf falle ich nicht rein, und antwortete: »Frau Hörbiger, ich bin Österreicherin wie Sie. Wenn Sie möchten, dass wir uns siezen, dann tun wir das. Wenn Sie mir das Du anbieten, dann duzen wir uns.«

Sie schaute mich von der Seite an, und ein feines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen. »Nane!«

Sie war mein Idol, und ich durfte sie duzen. Jackpot!

Ein anderer großartiger Schauspieler, den ich sehr verehrt habe, ist Götz George. Wir haben insgesamt vier Filme miteinander gedreht. Zum ersten Mal trafen wir in der Öko-Krimireihe Morlock aufeinander. Da war ich erst 17. Götz spielte darin einen Unternehmensberater, und ich war seine Sekretärin. Natürlich war ich total nervös. Es gab eine Szene, in der ein Paketbote kam und ich einen kurzen Dialog mit ihm hatte. Wir mussten diese Szene ungefähr 19 Mal wiederholen, weil ich ständig etwas vergaß. Der Regisseur rastete völlig aus und brüllte mich an. Aber Götz sprang für mich in die Bresche: »Sie ist noch sehr jung, und sie macht das, so gut sie kann. Du hast sie besetzt, also hilf ihr!« Er hat mir damals den Arsch gerettet.

Ich habe viel von Götz gelernt. Seine Ernsthaftigkeit und seine Präsenz waren einzigartig, und ich habe wahnsinnig gern mit ihm gespielt. Als wir das nächste Mal aufeinander trafen, beim Dreh zu dem Film Die Entführung, spielte ich seine Tochter. Eine verwöhnte, reiche Göre mit Champagnerflasche in der Hand. Wir hatten eine große Streitszene vor uns, und ich dachte, ich könnte hier mal ein wenig mein Revier markieren. Also fragte ich vor Drehbeginn den Oberbeleuchter, ob sie mehr als nur die üblichen 180 Grad ausleuchten könnten, damit wir mehr Spielfläche hätten. »Okay, zwei Kästen Erdinger!« Wir hatten einen Deal! Dann fragte ich die Garderobiere, wie viele Hemden sie für Götz hatte und ob die alle am Set wären. Ich musste ja die volle Verantwortung für meine Idee übernehmen. Es würde rein gar nichts bringen, wenn ich mich freispielte und wir dann dreißig Minuten Pause machen müssten, um ein Ersatzhemd zu besorgen. Als alles geklärt war, spielten wir schließlich die Szene, und ich kippte Götz ohne Vorwarnung die volle Champagnerflasche über den Kopf. Das war riskant. Er hätte ja auch sagen können: »Danke, das war’s.« Stattdessen schaute er mich an und sagte: »Aha.« Und damit war’s gut.

Von Götz habe ich auch gelernt, immer anzuspielen. Das machen nicht alle Kollegen, und viele geben sich auch nicht so viel Mühe, wenn sie nicht im Bild sind. Aber Götz spielte immer alles voll aus, und ich tat es ihm gleich.

Unser letzter gemeinsamer Film war George. Darin spielte Götz seinen Vater Heinrich George, und sie suchten eine Schauspielerin für die Rolle der Berta Drews, Götz’ Mutter. Die Anfrage der Produktionsfirma lehnte ich zunächst ab, mit der Begründung: »Ich will nicht Teil dieser Familienaufstellung werden.«

Doch zehn Minuten später klingelte mein Telefon erneut, und diesmal war Götz persönlich dran.

»Wenn du det nich spielst, Kleene, denn weeß ick nich, wer det sonst spielen könnte!«

Natürlich sagte ich daraufhin Ja!

Die Arbeit an diesem Film war zutiefst bewegend. Vor allem natürlich für Götz, der permanent den Spagat zwischen seinem Vater, wie er ihn in Erinnerung hatte, und der Rolle des Heinrich George, die er hier verkörpern sollte, halten musste. Es war eine unfassbare Leistung. Mir war dieser Film unglaublich wichtig, und ich wollte Götz unbedingt zeigen, wie ernst ich die Arbeit daran nahm. In einer Szene sah der kleine Götz seinen Vater zum letzten Mal. Das war kurz bevor Heinrich George wegen seiner Kooperation mit dem NS-Regime von den Russen ins Internierungslager Sachsenhausen gesperrt wurde. Es war ein Nachtdreh. Ich betrat als Berta Drews mit dem kleinen Jungen, der Götz spielte, die Szene, und er rannte durch die Absperrung zu seinem Vater. Ich gab wirklich alles und spielte mir jeden Abend die Seele aus dem Leib, auch wenn ich »nur« die Anspielpartnerin für Götz war, damit er so gut wie möglich reagieren konnte. In einer anderen Szene schäkerten wir als Ehepaar zu Hause auf dem Sofa, und plötzlich küsste Götz mich ohne vorherige Absprache! Vielleicht war das eine verspätete Revanche für die Champagnerflasche. Ich war auf jeden Fall ein wenig verdutzt, und es war mir auch unangenehm, weil seine Frau am Set anwesend war. Aber ich war auch positiv überrascht. Götz George hatte mich geküsst!

Götz war im besten Sinne des Wortes ein Volksschauspieler. Jemand, der echte Menschen mit allen ihren Facetten und Tiefen darstellen konnte. Er war so populär, weil er etwas in den Zuschauern berührte. Das ist auch mein großes Ziel: eine echte Volksschauspielerin zu sein, die Menschen spielt und keine Abziehbilder. Privat waren wir dennoch nicht wirklich befreundet. Ich hatte den Eindruck, das ging mit Götz gar nicht. Er war sehr speziell. Kurz bevor wir George drehten, traf ich ihn zufällig auf Sardinien, wo er ein Haus hatte. Ich saß draußen mit einer Freundin in einem Café, als eine Gruppe von Motorradfahrern heranbrauste. Einer von ihnen nahm seinen Helm ab – und es war Götz! Ich dachte, es wäre ihm sicher peinlich, mich hier zu sehen, also duckte ich mich und schlich mich möglichst unauffällig ins Innere des Cafés. Doch seine Jahre als Kommissar hatten offenbar Spuren bei Götz hinterlassen. Er kam mir sofort auf die Schliche, und hinter mir dröhnte es: »Na Kleene, sachste nich mal juten Tach?« Das war ein echter Ritterschlag.

Am 19. Juni 2016 saß ich gerade in der Maske bei einem anderen Dreh und surfte auf Facebook, als ich von Götz’ Tod erfuhr. Da ging gar nichts mehr. Ich weinte hemmungslos. Wir mussten zwei Stunden warten, bevor ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte und mit dem Drehen anfangen konnte. Das war ein sehr trauriger Tag für mich. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Familienmitglied verloren. Götz George war mein Mentor, ein Vorbild und über so viele Jahre hinweg mein Begleiter. Er hat mir etwas gegeben, was ich mir von meinem Vater gewünscht hätte. Götz hat bei mir sehr tiefe Spuren hinterlassen. Ich werde ihm ewig dankbar sein und ihn niemals vergessen.

Hinfallen ist keine Schande, nur Liegenbleiben

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