Читать книгу Lieber Tod, wir müssen reden - Muriel Marondel - Страница 11

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Attacke!

Mein Oberkörper fährt nach oben. Die Brust zugeschnürt.

»Atmen! Atmen!!!«, schreit es in mir, aber nicht aus mir heraus. Ich versuche, irgendwie Sauerstoff in meinen Körper zu bekommen, und schnappe mit meinem Mund nach Luft. Reflexhaft und fast animalisch hört sich das an.

Tief nach innen saugen. Nicht ersticken. Ich hole Luft. Ich zittere.

Einmal.

Zweimal.

Dreimal.

Ich glaube, ich atme. Atmen. Ruhig. Nicht aufhören zu atmen.

Es ist dunkel in diesem Raum, und ich weiß nicht, wo ich bin. Ich weiß auch nicht, wer ich bin. Wer bin ich? Ist das echt? Panik überkommt mich in Form von Hitzewallungen und kribbelnden Händen, und ich höre, wie ein unkontrolliertes, fast hysterisches Wimmern meinen Mund verlässt, während sich mein Körper erstarrt und paralysiert anfühlt.

»Hey. Hey, Muriel! Alles ist okay«, sagt eine Männerstimme sanft, aber energisch neben mir und tätschelt meine Hand. »Ich bin da. Alles ist gut. Versuch wieder zu schlafen, mein Schatz«, murmelt die Stimme mit dem französischen Akzent neben mir in das dunkle Zimmer hinein. Langsam zu mir kommend, blicke ich in Zeitlupe in Richtung der sanften Männerstimme.

»Okay, okay Muriel, das bin ich«, schießt es mir durch den Kopf. Ich weiß wieder, wer ich bin.

Ich bin Muriel, und ich befinde mich in Berlin.

Die Männerstimme neben mir, das ist mein Freund Mathis. Ich bin in seiner Wohnung, in seinem Bett. Ich schlafe hier seit Wochen. Weil das, was gerade passiert ist, jede Nacht passiert, seitdem Papa gestorben ist. Oder mich überkommt. Und ich mich nicht mehr traue, allein zu schlafen. Am Anfang hat Mathis mich jedes Mal erschrocken in den Arm genommen. Aber jetzt, jetzt kennt er das schon.

Für einige Momente blicke ich in die Dunkelheit. Niemals zuvor hatte ich solche Zustände erlebt. Ich hatte Ängste erlebt, ja. Vor dem Fliegen oder vor Prüfungen oder einem wichtigen beruflichen Treffen. Ängste, die ich eindämmen konnte, über die ich zumindest eine gewisse Kontrolle hatte. Aber das?

Diese Angst ist etwas anderes. Sie ist eine unkontrollierte Kraft, ein Beben, ein düsterer Schrecken, der mir wie aus dem Nichts durch Mark und Bein fährt – und das, während ich schlafe. Und diese Angst, sie ist mit etwas anderem gemischt: Schmerz. Diese Angst muss aus Tiefen kommen, in die ich zuvor noch nie geblickt habe. Sie ist Ohnmacht. Pure Ohnmacht.

Ich lege meine Arme um mich, ganz fest, während ich mich langsam vor- und zurückwiege. Da sitze ich nun, minutenlang, im Schutz meiner eigenen Umarmung und spüre eine tiefe Leere.

»Was ist das nur?«, frage ich kaum hörbar und fast apathisch in den Raum und lasse mich irgendwann erschöpft zurück auf mein Kissen gleiten. Neben mir höre ich ein gleichmäßiges Schnaufen. Mathis ist bereits wieder eingeschlafen. Während ich die Augen schließe und langsam selbst wieder schläfrig werde, zieht es in meinem Herzen. Ich bin einsam. Ich bin so schrecklich einsam.

Jede Nacht, da geht die Welt unter.

Und du, du kommst nie mehr wieder, Papa.

Lieber Tod, wir müssen reden

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