Читать книгу Lieber Tod, wir müssen reden - Muriel Marondel - Страница 9

Оглавление

Kein Geplätscher

Papa und ich sitzen gerade bei einem späten Frühstück zusammen. Wir sehen uns gemeinsam eine Dokumentation über einen Schweizer Schriftsteller an, dessen originelle und wohlbedachte Worte uns beide erheitern. Als der alte Mann eine Anekdote aus seinem Leben erzählt, wendet sich Papa mir zu und sagt: »Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, dann würde ich sagen, dass ich die intensivste Zeit zwischen meinem 15. und 30. Lebensjahr erlebt hatte. Wohl auch, weil man in dieser Zeit die meisten neuen Erfahrungen macht.« Später, als vierfacher Vater und Ehemann, habe er überwiegend für seine Arbeit gelebt, fürs Geldverdienen. Er dachte immer, »… dass sich das später ausbezahlt.« Und irgendwie sei dieser Arbeitsalltag – immerhin die letzten 25 Jahre –, im Nachhinein betrachtet, oft kaum mehr als ein »Geplätscher« gewesen. Er wolle, dass ich mein Leben anders lebe, betont er dann, und sein Blick geht ins Leere.

Er sieht mich an. Dann sagt er: »Du solltest dir immer neue und intensive Erfahrungen suchen oder selbst erschaffen. Und du solltest sie auskosten. Lass dich nicht vom Hamsterrad dieser Gesellschaft gefangen nehmen. Mach nicht immer nur das Gleiche. Aber lass die Dinge auch manchmal langweilig sein, und genieße es, wenn etwas langsam vorangeht. Wenn du etwas Intensives erlebst, wenn es etwas mit dir macht, dich berührt, dann halte es irgendwie (für dich) fest, schreib es auf.«

Ich sehe ihn an. Und bleibe still. Die Worte meines Vaters machen etwas mit mir. Sie tun verdammt weh. Aber ich spüre auch ein Gefühl der Verbundenheit mit ihm, eine tiefe Dankbarkeit, dass ich ihn noch bei mir habe. Dass er mir das, was er mir sagen möchte, noch sagen kann.

Am nächsten Tag nehmen wir den gleichen Zug. Ich zum Flughafen, um wieder in meinen Alltag nach Berlin zu fliegen. Er wird zur Untersuchung in die Klinik fahren.

Papa wird sterben.

Lieber Tod, wir müssen reden

Подняться наверх