Читать книгу Lieber Tod, wir müssen reden - Muriel Marondel - Страница 19

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Zwei Wochen später

Ich bin nun seit zwei Wochen zurück in Deutschland. Ein wenig besser geht es mir. Die Panikattacken sind weniger geworden. Aber ich fühle mich noch immer oft müde und traurig. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Depressionen und Trauer? Mein Psychiater sagt, ich habe eine Depression. Ich weiß nicht, was ich mit diesem Begriff anfangen soll. Ich weiß nicht, ob ich krank bin oder einfach nur traurig. Ich weiß, dass ich mich in meiner eigenen kleinen Welt befinde, in der ich an meinen Vater denke und Sehnsucht nach ihm verspüre. Ich möchte diese Welt nicht aufgeben. Es ist meine einzige Verbindung zu ihm. Ist das Depression? Ich nehme einfach an, was man mir so sagt. Für alles andere habe ich eh keine Kraft. Ich will einfach nur, dass mir geholfen wird. Ich will wieder aufwachen können und keinen schweren Bleiberg mehr auf meinem Herzen spüren müssen. Eine gute Sache habe ich zu verzeichnen: Ich vermisse Mathis. Ich bin froh über dieses Gefühl. Es ist immer noch nicht wie zuvor, aber ich habe mich in den vergangenen Wochen nach ihm gesehnt. Nach einem Kuss von ihm. Heute Abend skype ich mit ihm, und ich freue mich darauf, seine Stimme zu hören. Auf den starken französischen Akzent, den er hat, wenn er mit mir auf Deutsch spricht, was er meistens nur tut, wenn ich sauer auf ihn bin. Er weiß, dass ich eine Schwäche für seinen Akzent habe.


Als ich Mathis kennenlernte, war er ein ziemlich wilder Partyboy. Vielleicht das, was man einen Filou nennen kann. Aber mit mir war er immer sehr schüchtern. Nach unserem ersten Treffen bin ich furchtbar krank geworden und konnte vor lauter Heiserkeit nur noch flüstern.

Unser erstes richtiges Date musste also einige Wochen warten. Als es so weit war, zogen wir gemeinsam durch Berlin – in einer Nacht, in der Menschen auf ihren Balkonen Performances aufgeführt haben. »Die Nacht der singenden Balkone«. Ich war es, die ihn küsste, weil er sich nicht traute. Mathis war auf einmal kein Filou mehr. Mathis war über beide Ohren verliebt. Bei unserem dritten Date kochte er ein Festmahl für mich, und wir redeten die ganze Nacht. Von da an waren wir eigentlich unzertrennlich. Es war eine große Liebe zwischen mir und ihm.

Jetzt, wo wir das erste Mal einige Wochen voneinander getrennt sind, denke ich wieder öfters an diese Zeit. Ich werde mich ihm öffnen, wenn er wieder hier ist. Er hat sich in den vergangenen Wochen nur über Nachrichten gemeldet, aber ich glaube, es geht ihm gut in Frankreich. Ich bin froh, dass er aus der Verantwortung genommen wurde, sich um mich zu kümmern. Er soll Kraft tanken, so wie ich. Alles wird gut. Alles wird wieder gut. Morgen ist Papas Geburtstag. Der erste Geburtstag seit seinem Tod. Das erste Mal kein Anruf, kein Geschenk, keine Grußkarte. Kein Papa mehr. Ich bin froh, später zumindest Mathis’ Stimme hören zu können.

»Es ist vorbei.« Er weint. »Es hat nichts mit deiner Trauer zu tun.« Er will, dass ich das weiß. Er hätte mich einfach nicht vermisst. Er weiß jetzt, dass er mich nicht mehr liebt.

»Zwei Jahre«, stottere ich. Es sei doch vor Papas Tod alles noch gut gewesen.

»Es ist aber jetzt kaputt«, sagt er.

»Morgen ist Papas Geburtstag, du bist nicht mal im Land, ich war immer für dich da, ich war doch auch immer für dich da.« Ich weine. Und kann kaum atmen.

Er könne nichts daran ändern, sagt er.

»Du könntest doch an mich glauben, du hättest doch noch warten können. Ich war doch immer loyal. Ich suche ja Hilfe, du siehst doch, wie verzweifelt ich bin«, sage ich. »Ich kann doch nichts dafür, Mathis, ich habe mir das nicht ausgesucht!«

Ich sage, ich fühle mich verraten.

»Wir waren doch eine Einheit, wir waren doch vor einigen Monaten noch eine Einheit«, will ich schreien, aber ich flüstere es nur.

»Wir können Freunde bleiben«, sagt er. »Melde dich, wenn du etwas brauchst.«

Ich sage nichts.

Dann legen wir auf.

Ich sitze auf dem Bett und frage mich, ob ich meinen Kopf gegen die Wand schlagen soll. So lange, bis er blutet oder bis ich tot bin. Er hat mich allein gelassen. In meiner Dunkelheit, jetzt, wo sie etwas heller geworden war. Das passiert nicht. Es darf gerade einfach nicht passieren.

Ich renne hinaus vor die Haustür. »Hat jemand eine Kippe?«, frage ich.

Ich rauche, mir wird schwindelig.

Ich will sterben. Ich will das nicht fühlen. Nicht auch noch das. Ich will nicht mehr atmen. Ich halte die Luft an. Ich will zu meinem Vater, dorthin, wo er ist. Ich will sterben. Alles brennt. Alles in mir brennt. Ich glaube, durchzudrehen. Ich gehe um den Block, ich zittere. Ich stelle mir vor, in das nächste Auto zu laufen und mich überfahren zu lassen. Irgendwann ende ich auf einer Parkbank. Dort sitze ich und starre stundenlang in die Nacht.

Lieber Tod, wir müssen reden

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