Читать книгу Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann - Страница 9

Kapitel 3

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Mann, Mann, Mann.« Sky parkte hinter Thad in zweiter Reihe und stieg mit Connor aus dem Dienstwagen. »So wie achtzig Prozent in dieser Stadt Auto fahren, wundert mich die ständig steigende Zahl der Unfalltoten kein bisschen. Bei wem haben die denn bitte fahren gelernt?«

Gabriel war aus Thads Wagen gestiegen und schwang sich den Rucksack über die Schulter. »Nicht bei Granny.«

»Ja, großer Fehler. Ich sollte sie überreden, eine Fahrschule aufzumachen, jetzt, da sie Jules, Ella und Cam nicht mehr unterrichten muss. Damit würde sie der Gesellschaft einen echten Dienst erweisen.«

Sie liefen auf die kleine Menschenmenge zu, die sich trotz einsetzender Dämmerung vor dem Absperrband versammelt hatte, das von den Kollegen der Streife in sicherer Entfernung zum Tatort aufgespannt worden war.

»London Metropolitan Police! Machen Sie Platz, sonst mache ich welchen!«, bellte Thaddeus die Schaulustigen an, als diese nur widerwillig zur Seite wichen, um die vier passieren zu lassen. Viele hielten ihre Handys hoch und filmten, um nur ja nichts von dem zu verpassen, was sich hinter der Absperrung ereignete.

Angewidert verzog Gabriel das Gesicht. Er hasste Gaffer, die sensationsgeil die Arbeit von Polizei und Rettungskräften behinderten, um Videos für irgendwelche bescheuerten Social-Media-Kanäle aufzunehmen. Warum tätowierte man denen nicht Asoziales Arschloch in Leuchtbuchstaben auf die Stirn und begegnete ihnen dann mit derselben Ablehnung wie Totenbändigern? Im Gegensatz zu den meisten Totenbändigern hätten diese Arschlöcher so eine Ächtung absolut verdient.

Hinter dem Absperrband standen drei Streifenwagen, die sowohl als Straßensperre als auch als Sichtschutz dienten. Dazwischen hatten mehrere Constables Position bezogen und achteten darauf, dass keiner aus der Menge die Grenze überschritt.

Die Belleston Road war eine der vielen schmaleren Durchgangsstraßen, wie man sie in London zu Hauf fand. Es gab ein paar Schnellrestaurants und einen Corner Shop, eine Bushaltestelle und ein Maklerbüro. In den oberen Stockwerken der meist dicht an dicht stehenden Häuser lagen Wohnungen der unteren Mittelschicht. Es war keine besonders ansehnliche Wohngegend, doch sie zählte zu den sicheren, denn die Belleston Road hatte Straßenlaternen, auch wenn nur jede dritte mit Magnesiumlicht ausgestattet war.

Thaddeus zeigte einer jungen Constable seinen Dienstausweis und wurde in die Richtung einer schmalen Gasse verwiesen, an der zwei Frauen in praktischen Businessanzügen und ein Team von Forensikern standen. Vor ihnen auf dem Boden lag eine dicke Eisenkette, mit der man sichergestellt hatte, dass kein Geist aus der Gasse entkommen konnte. Die Gasse selbst schien nicht viel mehr als eine schmale, vielleicht zehn Meter lange Ausbuchtung zwischen den Häusern zu sein, die vom benachbarten Chinarestaurant und den Anwohnern als Abstellplatz für Müllcontainer genutzt wurde. Fenster gab es keine, aber am rechten Haus führte eine Wartungsleiter hinauf aufs Dach.

»Chief Inspector Pearce. Das sind meine Leute, die Sergeants Hunt und Fry«, stellte Thaddeus sich und sein Team vor.

»Chief Inspector Najafi«, antwortete eine schwarzhaarige Pakistani um die vierzig und deutete auf ihre etwa gleichaltrige Kollegin. »Das ist meine Partnerin, Chief Inspektor Dutch. Danke, dass Sie uns aus Ihrem Revier unterstützen. Unsere eigene Spuk Squad muss sich um einen Notfall an der Finsbury Park Station kümmern. Irgendwelche Vollidioten haben dort das Siegel zur U-Bahn aufgebrochen.«

»Schon wieder ein gebrochenes Siegel?« Thaddeus fluchte. »Wenn ich diese Mistkerle in die Finger bekomme …«

Der Londoner Untergrund war der größte Verlorene Ort der Stadt. Vor knapp zwanzig Jahren waren zur Rush Hour zwei Züge der Bakerloo Line in der Oxford Circus Station zusammengeprallt. Es hatte eine Explosion und ein verheerendes Feuer gegeben, bei dem Hunderte von Menschen gestorben waren. Oxford Circus sowie die umliegenden Stationen waren daraufhin abgeriegelt und versiegelt worden. Das Unglück hatte so viele Geister auf einmal hervorgerufen, dass es unmöglich war, das Gebiet zu säubern. Man hatte allerdings gehofft, den Schaden begrenzen zu können, und nach einigen Wochen den Betrieb auf anderen Strecken wieder aufgenommen.

Mit fatalen Folgen.

In dem labyrinthartigen Tunnelsystem schienen die Geister immer wieder Wege aus dem versiegelten Bereich herauszufinden. Sie lauerten Zügen auf anderen Strecken auf und töteten Passagiere und Zugführer, was zu weiteren schweren Unfällen und noch mehr Geistern geführt hatte. Innerhalb eines halben Jahres war dem Stadtrat keine andere Wahl geblieben, als das komplette U-Bahn-Netz der Stadt zu versiegeln und den Untergrund Londons offiziell zu einem Verlorenen Ort zu erklären. Niemand durfte ihn mehr betreten, was Adrenalinjunkies auf der Suche nach den ultimativen Kicks allerdings nicht davon abhielt, sich trotzdem hinunterzuwagen. Mit meist tödlichen Folgen. Oft bezahlten nicht nur sie ihren Leichtsinn mit dem Leben, sie beschädigten bei ihren Einbrüchen auch die Siegel, die die Ausgänge der U-Bahn sicherten. Nicht selten konnten so Geister ausbrechen und sich auf wehrlose Passanten stürzen.

»Sind Geister entkommen?«, fragte Sky.

»Leider ja«, seufzte Dutch. »Es gab bisher zwei Tote. Unsere Spuk Squad hat alles weiträumig abgeriegelt und sucht nach den Geistern. Die Anwohner sind informiert und wir hoffen, es bleibt nur bei den beiden Opfern. Es ist ja zum Glück noch früh. Die Dämmerung bricht gerade erst an. Es sind sicher noch nicht viele Geister entkommen.«

»Trotzdem«, grollte Thaddeus. »Wenn ich diese verdammten Irren erwische …«

»Ganz Ihrer Meinung«, pflichtete Najafi ihm bei, deutete dann jedoch in die dunkle Seitengasse. »Aber wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie und Ihre Leute uns zuerst bei diesem Tatort helfen könnten.«

Thaddeus nickte. »Sicher. Können Sie uns sagen, was passiert ist?«

»Leider wissen wir nicht viel. Eine Anwohnerin kam von der Bushaltestelle auf dem Weg zu ihrer Wohnung an der Gasse vorbei. Sie hörte ein seltsames Matschen – ihre Worte, nicht meine – und als sie ein paar Schritte hineinging, sah sie hinter den Müllcontainern eine Gestalt am Boden kauern, die sich über eine andere beugte. Daneben lagen noch zwei weitere. Es gab jede Menge Blut und sie fühlte Geisterkälte, deshalb ist sie sofort umgedreht und nebenan ins Chinarestaurant gerannt. Von dort aus hat sie die Polizei angerufen, während die Restaurantbesitzer die Gasse provisorisch mit Salz gesichert haben.«

»Super mitgedacht«, meinte Gabriel anerkennend.

Dutch nickte. »Ja, solchen gesunden Menschenverstand würden wir uns häufiger wünschen.«

»Wie lange ist es her, seit die Zeugin die Gestalt in der Gasse gesehen hat?«, fragte Connor.

Najafi blickte auf ihre Armbanduhr. »Ungefähr eine Dreiviertelstunde.«

»Okay. Und waren Sie selbst in der Gasse, als Sie hier ankamen?«

Da die Dämmerung nun immer rascher hereinbrach, hatte Sky ihre Taschenlampe vom Gürtel gezogen und leuchtete in die schmale Häuserschlucht. Die Müllcontainer versperrten jedoch die Sicht, daher war außer einer Menge Blut, das in einem Gully versickerte, nicht viel zu erkennen.

»Sicher. Aber nur kurz. Um die Anzahl der Toten zu bestätigen. Es sind drei. Zwei Frauen und ein Mann. Alle übel zugerichtet. Viel mehr kann ich leider nicht sagen. Hinter den Containern ist es eiskalt, deshalb haben wir den Tatort mit Eisenketten gesichert und Sie zur Verstärkung gerufen.«

»Na, dann sehen wir uns die Sache mal an.« Gabriel streifte den Rucksack von seiner Schulter und reichte ihn Connor. Die Geister würden vor dem Silber in seinem Inneren zurückweichen. Für Connor bot das einen zusätzlichen Schutz, Gabriel dagegen wollte die Geister zu sich locken können.

Connor schwang sich den Rucksack über und zog Taschenlampe und Auraglue von seinem Gürtel. »Ich versuche, den dritten mit M-Licht von euch fernzuhalten, während ihr die ersten beiden ausschaltet. Sind sie schon zu stark, bändige ich ihn mit Auraglue und ihr könnt dann entscheiden, ob ihr ihn eliminiert oder ob wir ihn in eine Silberbox sperren. Einverstanden?«

Sky nickte. »Klingt nach einem guten Plan.«

»Passt auf euch auf«, gab Thaddeus ihnen mit.

Gabriel grinste. »Machen wir doch immer.«

Dann traten sie gemeinsam über die Eisenkette. Bis zu den Müllcontainern waren es nur drei Meter, doch sie spürten bei jedem Schritt, wie die laue Spätsommerwärme des Abends hinter ihnen zurückblieb. Es wurde eiskalt und ihr Atem kondensierte zu feinen Nebelwolken. Frost hatte sich über Boden und Wände gezogen und Eiskristalle glitzerten in den Lichtkegeln ihrer Taschenlampen. Selbst die Pfütze aus warmem Blut hatte an den Rändern zu frieren begonnen.

Ohne sich absprechen zu müssen, schalteten die drei ihre Lampen aus.

Ein matter Schimmer hing in der Luft.

Mindestens einer der Geister hatte sich also schon vom Geisterhauch in einen Schemen verwandelt.

Sie umrundeten die Container und sahen die drei Leichen auf dem Boden. Es war bereits zu dunkel, um mehr als ihre Umrisse ausmachen zu können, dafür waren die feinen Nebelgespinste, die gräulich über den Körpern schwebten, aber umso besser zu erkennen.

Geister labten sich an der Restwärme ihrer Leichen, bis nichts mehr übrig war. Diese Energie machte aus dem eisigen Geisterhauch einen Schemen, der stark genug war, sich weitere Opfer zu suchen, denen er Lebensenergie rauben konnte. Je mehr dieser Energie er in sich aufnahm, desto mehr Substanz gewann er und desto stärker, schneller und gefährlicher wurde er.

Die feinen Gespinste spürten sofort, dass sich ihnen Lebende mit frischer Energie näherten. Doch sie fühlten auch das Silber, das Connor bei sich trug.

Gabriel stieß ihm gegen den Arm. »Bleib zurück. Ich nehme den linken, du hältst den in der Mitte in Schach, und Sky, du kümmerst dich um den rechten.«

»Alles klar.« Connor blieb stehen und schob den Regler seiner Taschenlampe auf Magnesiumlicht, schaltete sie aber noch nicht ein. Mit etwas Glück blieb der Schemen bei seiner Leiche, wenn die ihm noch genügend Restenergie lieferte. Sky oder Gabriel konnte das Biest dann ausschalten, sobald sie die anderen beiden erledigt hatten.

Neben ihm ging Sky auf die rechte Leiche zu und streckte ihre Hand nach dem Schemen aus. »Na komm. Komm zu Mama«, lockte sie. »Ich hab hier was ganz Leckeres für dich.«

Sie fühlte in sich hinein, spürte ihre Lebensenergie und bündelte ein winziges bisschen davon. Dann schickte sie sie durch ihre Hand in Richtung des Schemens. Feiner Silbernebel löste sich aus ihren Fingern und schlängelte zum Geist. Der reagierte sofort und schickte seinerseits gräuliche Nebelfäden zu Sky.

Genau darauf hatte sie gebaut.

Sie ließ die Verbindung zu und spürte, wie der Geist augenblicklich gierig nach ihrem Leben griff. Doch noch war er schwach und Sky hatte jede Menge Übung im Umgang mit hungrigen Geistern. Sie packte mit ihrer Energie nach der des Schemens und zerrte ihn zu sich. Ihr Silbernebel zog sich zurück in ihre Hand und sie spürte die eisige Kälte der Todesenergie, als die grauen Geisterfäden ihre Fingerspitzen berührten.

Sofort wollte ihr Instinkt die Verbindung abwehren, wollte, dass sie sich zurückzog. Doch Sky überwand den Impuls. Sie konzentrierte sich noch stärker auf die finstere Energie, sog sie in sich, umhüllte sie mit ihrem silbernen Leben und neutralisierte so den Geist.

Kälte blieb in ihr zurück. Übelkeit und ein widerlicher Geschmack in ihrem Mund. Bitter und faulig.

Sie atmete tief durch.

»Alles okay?«

Connor.

Sie schenkte ihm ein kurzes versicherndes Lächeln, dann wandte sie sich der Leiche zu, die er in Schach gehalten hatte.

Der Schemen waberte noch immer über dem toten Körper. Noch schien dieser ihm genügend Restwärme zu spenden, um attraktiv zu sein. Doch als Sky dem Geist einen Hauch ihrer lebendigen Energie anbot, griff er sofort raffgierig zu.

Wieder packte Sky nach der Todesenergie und auch der zweite Geist war noch zu schwach, um sich zu wehren. Sie zog ihn in sich und neutralisierte ihn.

Mehr eisige Kälte.

Mehr Übelkeit.

Und der widerliche Geschmack in ihrem Mund ließ sie ausspucken. Ihr Magen fühlte sich flau an und sie wusste einmal mehr, warum sie immer erst nach ihrer Schicht etwas aß.

Gabriel hatte seinen Geist ebenfalls eliminiert und eine Flasche Cola entgegengenommen, die Connor ihm aus ihrem Rucksack reichte.

»Geistersäuberung erledigt, würde ich sagen.« Er nahm einen großen Schluck, hielt dann seiner Schwester die Flasche hin und kramte ein Päckchen Kaugummi aus einer kleinen Tasche seines Ausrüstungsgürtels. Kaugummi gehörte zwar nicht zur offiziellen Polizeiausstattung, half aber ungemein, den ekelhaften Geschmack von Tod wieder loszuwerden.

»Schauen wir mal, was hier passiert ist.« Gabriel schaltete seine Taschenlampe an und ließ das Licht über die drei Leichen wandern. »Wow. Immer wenn ich denke, ich hab schon alles gesehen, kommt doch wieder ein Tatort mit neuem krassem Scheiß daher.«

Die Körper der drei Toten wirkten wie aufgerissen. Die Haut von Brust und Abdomen war zerfetzt, Innereien quollen hervor und es sah so aus, als hätte jemand darin herumgewühlt.

Doch das war nicht das Schlimmste.

Die Schädel waren zertrümmert.

»Shit«, fluchte Connor. »Seht ihr, was ich sehe?«

Sky und Gabriel nickten knapp.

Die Gehirne fehlten.

»Thad!«, rief Sky zum Ausgang der Gasse. »Der Tatort ist gesäubert! Die Geister sind eliminiert. Aber lass hier sofort alles abriegeln und schick die verdammten Gaffer weg! Der Angreifer war ein Wiedergänger!«

Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel

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