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1. Rügen, Deutschland

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Die Tür, die eben noch freundlich und einladend weit offen gestanden hat, fliegt mit einem lauten Knall ins Schloss. Die kleinen Fenster, die in der blauen Tür eingelassen sind, zerbersten, fast so, als wollten sie sich mit dem Mann, der nun hinter der Tür verschwunden ist, solidarisch zeigen. Dieser Mann steht nun, da sich die erste Aufregung und Wut gelegt hat, allein in dem kleinen Raum, der sich jetzt hinter der Tür verbirgt. Er steht nur da, die breiten Schultern heben und senken sich schnell und seine Fingernägel bohren sich, in den geballten Fäusten versteckt, in die Haut. Seine Füße stehen fest am Boden, jedoch bereit sich sofort und blitzschnell vom Boden abzustoßen und ohne Vorwarnung loszurennen und niemals stehen zu bleiben. Seine Augen wandern immer noch zu Schlitzen geformt durch den kleinen Raum. Das Erste, was sie sehen, ist der kleine Tisch, der nach dem Betreten gleich links neben der Tür steht. Voll mit Unterlagen, Bauzeichnungen, Rechnungen und Reklamationen, alle kreuz und quer über ihn verteilt, still darauf wartend, einer nach dem anderen bearbeitet und abgeheftet zu werden. Zwischen ihnen der alte Computerbildschirm, den seine Tochter immer als so wahnsinnig altmodisch beschreibt, und daneben die winzige Schreibtischlampe, die mit ihrem Kopf aus den Papieren hervorschaut, deren Hals und Sockel aber nur höchst selten mal zu sehen sind. Der alte verzierte Bilderrahmen, der sonst immer vor dem Bildschirm und neben dem kleinen gläsernen Okapi gestanden hat, ist durch die Erschütterung der Tür umgekippt und verbirgt nun die einst so glückliche Familie unter sich. Die Frau, die den kleinen Jungen auf dem Arm trägt, und das Mädchen, das mit rollenden Augen zu ihrem Bruder hochblickt und ihn davon abzuhalten versucht, ihre Haare in seinem Mund verschwinden zu lassen. Der kleine Junge lächelt dabei so sehr, dass man ihm kaum böse sein kann, und auch die Frau, die ihn trägt, mit den glatten langen Haaren, lacht bis zu ihren Augen herzhaft darüber. Hinter ihnen steht ein Mann, der sich wegen seiner Größe leicht herunterbeugen muss, um auch noch auf dem Foto Platz zu finden; er umgreift seine kleine Familie so fest mit seinen starken, langen Armen, als könnten sie sonst vom Wind fortgetragen werden. Auch er lächelt zufrieden.

Links neben dem Schreibtisch stand der lange Garderobenständer, der unter der Last des Mantels, den er trug, bei jedem Windzug hin- und hergetragen wurde, jetzt liegt er, gerade so, als wollte er die Tür ab heute für immer verschließen, gegen den Türknauf gelehnt. Der schwere Mantel hat sich von ihm gelöst und säumt den Boden. Außer der Palme, die kaum noch ein grünes Blatt trägt, ist da nicht mehr viel, wobei nicht mehr viel nicht der richtige Begriff ist, denn mehr als diese einsamen Möbelstücke hätten in das kleine Büro auch kaum hineingepasst.

Es ist gerade genug Platz für diese paar Dinge gewesen, als er vor zwei Jahren in diesen kleinen Raum gezogen war. Damals war er so stolz, dass er ihm so groß wie ein Apartment vorgekommen war, da wusste er, dass hier seine ganze Welt hineinpassen würde, und er vergaß schnell, dass er für diese Beförderung seine Seele verkauft hatte. Dass er die Zeit zu seiner Familie beschnitten hatte, so stark sie es eben von ihm gefordert hatten und fordern würden. Jetzt kommt es ihm so vor, als würden die grauen Wände des kleinen Raums immer näherkommen, so als wollten sie ihn ersticken und seine schöne Welt, wie den Eiter eines Pickels, einfach aus ihm herausdrücken. Er sieht durch das winzige Fenster, seine Augen wandern über die trockenen Wiesen an den großen Felsen vorbei aufs Meer hinaus und über die großen tosenden Wellen, bis zum Horizont. Sonst ist er immer zum Greifen nah gewesen, an manchen Tagen hatte der Horizont ihn sogar zu sich gerufen, doch heute liegt er so weit weg und ist so still, als wolle auch er zeigen, wie angewidert er von dem heutigen Tag ist.

Langsam und kaum merklich entspannen sich seine breiten Schultern, seine zuvor noch schwere Atmung wird flacher und seine Fäuste lösen sich langsam aus ihrer Erstarrung und formen sich wieder zu großen Händen. Händen, die aussehen, als hätten sie niemals harte Arbeit gescheut. Die dicke Hornhaut schützt sie noch immer vor Schrauben, Bohrern und Metallen, die sich viele Jahre in sie hineingruben, und obwohl sie das schon eine Weile nicht mehr tun, würden die Schwielen, die durch jahrelange Arbeit entstanden sind, niemals mehr verschwinden. Nachdem sich auch die zweite Faust gelöst hat, fällt ein kleiner Papierball zu Boden, der sich zuvor in ihr versteckt hat, so, als fürchte er entdeckt zu werden. Der Mann, der immer noch groß, aber deutlich zusammengesunkener an der gleichen Stelle wie zuvor steht, beugt sich langsam und schwerfällig zu dem Ball hinunter, so, als wollten sich seine Knie weigern ihre Position zu verlassen. Während er sich nach unten beugt, immer darauf bedacht, weder mit seinem Kopf noch mit seinem Hinterteil eines der wenigen Möbelstücke umzustoßen, fällt sein Blick, vorbei an dem zerbrochenen Fenster, auf einen langen Mann, der auf der anderen Seite der nun geschlossenen Tür steht. Mit einer Augenbraue in die Höhe gezogen und den Mund leicht geöffnet, als wolle er gerade einen stummen Schrei herauslassen, schaut er ihm so verwirrt entgegen, als frage er sich, ob das ein sehr wütender Windzug oder doch nur ein Mensch mit der Wut eines Sturms gewesen ist. In einer Hand hält er eine Kaffeetasse, die jetzt, da ihr nicht mehr die volle Aufmerksamkeit geschenkt wird, langsam mit der Öffnung nach unten wandert und ihren Inhalt, nur noch wenige Millimeter vor dem Rand, bereit zum Überschwappen ist. Auf seiner Brust prangt ein Namensschild mit der Aufschrift: F. Mending, zweitbester Mitarbeiter des Monats.

Der Hüne, der endlich den Papierball zu fassen bekommen hat, bahnt sich seinen Weg durch das kleine Büro hin zur blauen Tür, er durchquert sie und bleibt schließlich vor dem, neben ihm, sehr klein wirkenden Mann namens F. Mending stehen. Der Hüne weiß, dass nun die Zeit gekommen ist, in der er die Rolle des Ahnungslosen spielen muss. F. Mending öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch bevor die Worte seinen Mund verlassen können, kommt ihm der Hüne, der sich vor ihm aufgebaut hat, zuvor. „Sie haben uns allen gekündigt“, seinen Kopf lässt er dabei so tief hängen, dass er fast mit dem von F. Mending auf einer Höhe ist, „uns allen, uns wurde allen fristlos gekündigt, es tut mir leid Felix.“ Er drückt ihm den Papierball gegen die Brust und streift dann an ihm vorbei die Treppe hinunter. Es folgt ein Platschen und der Kaffee verteilt sich auf dem Fußboden.


§4253

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