Читать книгу Atelier des Todes - Nick Stein - Страница 10
Die Mörderin
ОглавлениеGutes Aussehen hilft
Viola sah schon im Kindergarten umwerfend aus. Die anderen Mädchen sahen gut aus, niedliche Kinder eben. Viola war elfengleich. Langes, weißblondes Gold umrahmte das Antlitz einer gerade einem Quellteich entstiegenen Nymphe. Sie brauchte keine Zahnspangen und keine Brille. Schon mit vier verstand sie es, den richtigen Schmuck anzulegen, billigen Tinnef, Kinderkram, aber schön.
Sie überredete ihre Mutter, ihr Sterntaler-Hemdchen statt langweiliger roter Anoraks und Gummistiefeln anzuziehen. Sie funkelte. Sie glänzte. Ihre hellblauen Augen überstrahlten ihre ganze Gruppe wie der Mond in einer kristallkalten Nacht die Sterne.
Wer schön sein will, muss leiden, besagt ein Sprichwort. Das gilt für Leute, die sich aufdonnern wollen, die es nötig haben, sich zurechtzumachen. Für Viola galt, wer schön ist, muss leiten.
Sie lernte schnell, dass andere Mädchen und Jungs genau das taten, was sie von ihnen verlangte. Die Jungs, weil sie gern mit ihr befreundet sein wollten. Die Mädchen, damit ihr Glanz auf sie abfärbte, damit sie auch wahrgenommen wurden. Damit die Jungs auch von ihnen etwas wollten.
Im Kindergarten war das noch einfach. Schieb mich mal an, wenn sie auf der Schaukel saß. Ein Jahr später hieß es schon, gib mir deine Buntstifte, ich habe meine nicht eingepackt. Der Junge hatte nichts Besseres zu tun, als ihr sofort seine Stifte zu schenken. Es war ihm eine Ehre, der Schimpfe zu Hause zum Trotz.
In der Schule gewann sie durch ihre Schönheit noch mehr an Macht. Ich kann die Luise nicht leiden, die ist doof, und schon verachtete die ganze fünfte Klasse Luise für den Rest ihrer Schulzeit.
Schreib mir mal die Lösungen auf, und schon hatte sie ihre Eins in Mathe, denn Maximilian hatte sie ja nicht zum Spaß den Platz neben sich gegönnt.
Wir sollten jetzt nicht denken, dass Viola es zu leicht hatte, dass sie selbst nicht lernte. Im Gegenteil. Die Gewissheit, dass andere für sie die Drecksarbeit machen würden, ihr die Botengänge und sozialen Aufgaben erledigten, wie Viola sie gerade brauchte, erlaubte es ihr, zuzuhören und zu verstehen, was es zu lernen gab.
Sie hätte die Eins in Mathe auch selbst bekommen, aber warum sollte sie sich die Arbeit machen, wenn jemand anders sie so gern für sie erledigte?
Selbst die Lehrer erkannten ihre Herrschaft über ihre jeweilige Klasse stillschweigend an. Sie war manipulativ, schon richtig, doch sie war auch intelligent, witzig und bezaubernd. Sie nahm alle Lehrer sofort für sich ein.
Eine Lehrerin, die es gewagt hatte, sich über sie und ihre Dominanz zu beschweren, geriet schnell bei den anderen Lehrern in die Kritik. Zwei Monate später unterrichtete sie eine andere Klasse.
Viola war nicht etwa intrigant. Das stand vielleicht einer entfernten Nummer Zwei in der Klasse zu, über Intrigen Einfluss gewinnen zu wollen.
In diesem Fall Pamela. Violas Hofstaat hatte Pamela schneller desavouiert, als sie sorry sagen konnte. Wer treue Gefährten hat, braucht keine Mätzchen.
Die Vorteile ihres hervorragenden Aussehens gingen Viola in Fleisch und Blut über. Sie brauchte sich kaum mehr ins Zeug zu legen, um etwas zu erreichen.
Sie hatte das Glück, dass ihr auch ein schöner, attraktiver Körper zuwuchs, ein geschmeidiger, sportlicher Leib, gesegnet mit Weiblichkeit, prall gefüllt mit Pheromonen, Hormonen und anderen griechischen Lockmitteln, die Männer und Frauen gleichermaßen verwirrten und anspornten, bei Viola aufzufallen und sich mit ihr gut zu stellen.
Wo andere schöne Menschen es zu leicht hatten und sich deshalb wenig Mühe gaben, auch andere Talente zu entwickeln, wo diese zur glitzernden Larve wurden, die innen hohl war und aus der sich später eine weniger schöne Puppe quälte, gab sich Viola mit der Leichtigkeit der Schönheit nicht zufrieden.
Sie hatte andere Qualitäten. Intelligenz und Wissensdrang waren zwei davon. Viola wusste, dass Schönheit vergänglich ist. Mit vierzig musste sie auf andere Qualitäten zählen können. Auch wenn sie dann für ihr Alter noch schön sein würde; trotzdem, eine Zwanzigjährige würde den Hengsten einfach anders in die Nase stechen.
Wer weniger schön ist, muss nehmen, was er bekommen kann, wenn es um Freundschaft, Liebe und Gruppenzugehörigkeit geht. Eine begehrte Frau kann sich alles aussuchen und es sich leisten, Bewerber um ihre Gunst am langen Arm verhungern zu lassen und sie doch alle ihre Wünsche erfüllen zu lassen.
Sehen wir uns um. Finden sich unter den Mördern und Totschläger schöne Frauen? Man erwartet doch eher tätowierte Männer, eiskalte Auftragskiller, brutale Schläger, Männer, die mit Faust, Schusswaffe und Messer umgehen können.
Männer töten vorwiegend Männer, sechzig Prozent, nur vier von zehn Opfern sind Frauen. Frauen, wer hätte das gedacht, töten ebenfalls vorwiegend Männer.
Natürlich haben Männer es leichter, eine Frau zu töten. Sie sind stärker, impulsiver und gemeiner. Frauen morden geschickter, mit Gift und durch Ersticken, weniger durch rohe Gewalt.
In Deutschland sind etwa ein Sechstel aller Mörder Frauen. Und diese Frauen sind geschickter und viel schwerer zu fassen als die impulsiveren Männer.
Sie planen. Sie durchdenken. Sie wägen ab. Sie sind auch fast nie vorbestraft.
Männer sind aufgeblasene Mandrills. Wir sehen ihnen die Gewalt schon am weithin leuchtenden blauen Hodensack an. Ersetzen Sie das bei Männern durch einen aufgemotzten Dreier BMW oder eine goldene Rolex.
Frauen handeln erst, wenn sie sich ihrer Sache sicher sein können. Jeder Fehler könnte zu ihrem eigenen Tod führen.
Der Prozentsatz von schönen Frauen unter den Mörderinnen ist erstaunlich hoch. Die hässlichen haben sich oft mit ihrem Schicksal abgefunden und brauchen keinen Befreiungsschlag. Nur die Schönen und Intelligenten meinen, dass sie ungerecht behandelt würden. Ein Ergebnis der Statistik, das man so nicht erwarten würde.
Viola Kroll passt trotzdem nicht in dieses Schema. Sie war keine unterdrückte Frau, sie brauchte keinen Befreiungsschlag. Ihr stand kein Mann im Wege. Sie wollte nur Erfolg. Warum konnte sie trotzdem zu einer vielfachen Mörderin werden?
Violas Schönheit hatte sie weniger emphatisch gemacht als andere Menschen. Sie konnte alles mit einem Fingerzeig bekommen; warum sollte sie sich auf andere Menschen einlassen, wenn die so leicht zu gewinnen waren? Sich einzulassen, Mitgefühl zu entwickeln oder zu zeigen hätte zu Bindungen geführt, zu dicken, klebrigen Stricken, die sie an andere gefesselt hätten.
Sie hätte sich gemeinmachen müssen. Sie hätte liefern müssen statt zu empfangen. Wir lernen, dass Schönheit nicht nur hohl machen kann. Sie kann auch gefühllos machen. Eine ideale Voraussetzung für eine zukünftige Mörderin.
An dieser Stelle fragen wir uns, ob die Männchen der Latrodectus tredecimguttatus ihre Weibchen eigentlich schön finden.
Haben Sie’s nachgesehen? Der Schwarzen Witwe. Diese dreizehn wunderschönen roten Flecken auf ihrem schwarzen Rücken! Geil, oder?