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Die Mörderin

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Atelier des Todes

Teil zwei der Serie

Blutbücher

Nick Stein

Wenn Frauen zu viel morden…


Die Wiege der Mörderin

Als die kleine Viola wohlriechend und hübsch in ihrer Wiege lag, sah ihr niemand an, dass eine Karriere als erfolgreiche Mörderin vor diesem niedlichen Kind lag. Eine böse Fee war nicht anwesend, als Violas Eltern in bester Gesellschaft die Geburt ihres Kindes feierten.

Kein Fluch lastete auf ihr.

Ihr Vater nannte sie zärtlich Vi, ihre Mutter liebevoll Ola. Unterschiedliche Namen: War dies der erste Riss in der Persönlichkeit dieser jungen und wohlbehüteten Dame?

Wie entwickelte sich die junge Viola?

Es muss Gründe geben, wenn ein behütetes und sorgenfreies Mädchen später reihenweise Menschen ums Leben bringt. Welcher Mensch möchte das schon, dass jemand aus den eigenen Kreisen reihenweise Mitmenschen ermordet. Wie leicht könnte man selbst zum Opfer werden!

Passen Sie auf, wenn Sie jemand schief ansieht oder sich in aller Freundlichkeit erbietet, Ihnen Zucker in den Tee zu geben. Es könnte Ihr letzter sein.

Die Rede ist von einer wohlerzogenen, gesitteten und angenehmen Gesprächspartnerin, die man sich gut als Schwiegertochter vorstellen könnte. Einer Frau, der man die Psychopathin nicht anmerkt; die Massenmörderin, die mit dem kalten Kalkül der Notwendigkeit und aus Bequemlichkeit tötet, nicht aus den niederen Instinkten Wut und Hass oder aus Hilflosigkeit. Auf jenen Typus von Mördern wird die Rede noch kommen.

Im Nachhinein weiß jedermann genau, warum es so und nicht anders ausgehen musste. Alle hatten schon immer so einen Verdacht und haben es lange vorher geahnt.

Die Gene sind schuld, werden einige sagen. Ein Fingerzeig, der heutzutage für das steht, was in früheren Zeiten Vorsehung und Schicksal hieß.

Viola hatte ausgezeichnete Gene mitbekommen.

Ach was, einzig und allein Erziehung und Umwelt haben sie geformt, wenden andere ein.

Viola hatte die bestmöglichste Erziehung genossen, die man in Berlin bekommen konnte. Das kann es nicht gewesen sein.

Die Vorsichtigen wiegen mahnend den grauen Schädel und weisen uns darauf hin, dass beides eine Rolle spiele.

Man könne das nicht einfach auf das eine oder andere reduzieren. Das wäre doch alles verwickelt und verzwickt. Kaum jemand wäre in der Lage, das in seiner ganzen Komplexität richtig zu verstehen.

Es hätte doch alles auch ganz anders kommen können, wenn da nicht zufällig dies und jenes passiert wäre. Man weiß es nicht, man weiß es nicht!

Die erwachsene Viola hätte aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht und berichtet, dass es sich so ergeben hat. Dass es zielführend war. Dass es sogar Spaß gemacht hat. Lust. Die ihr immer noch Herz und Schoß wärmt.

Wenn Viola denn darüber ein Wort verloren hätte. Denn vom redseligen Typ war sie nicht. Sie hätte sich nie herabgelassen, ihre geistigen, künstlerischen und mörderischen Höhenflüge von Zuhörern verwässern und beschmutzen zu lassen.

Worüber man nicht reden kann, darüber kann man sich zumindest ordentlich freuen.

Ihre Mutter, Genoveva Kroll, geborene Heinemann, war mit den berühmten Wittgensteins verwandt, über drei Ecken, wie Genoveva gern ungefragt erzählte. Sie hatte deren aristokratisches Aussehen geerbt. Hochgewachsen, blond, strahlend helle blaue Augen, schlank.

Selbst die letzten Kriegsjahre, in denen sie aufgewachsen war, hatten es nicht vermocht, ihren aufrechten Gang und ihren Sinn für das Gute, Schöne und Bare zu brechen.

Natürlich trug die Mutter keine Mördergene in sich. Ihre Erziehung war makellos gewesen, und so wollte sie ihr Erbe weitergeben. Viola, spätgeborenes Einzelkind, sollte ihr spiegelblank geputztes tafelsilbernes Ebenbild werden, um eine Stufe erhöht.

Ola sollte gebildet sein, Tennis und Golf spielen, Dressur reiten, Musik und Literatur beherrschen. Und halte auf dich, Kind, sonst wird nichts aus dir!

Materiell reich beschenkt, sah die kleine Viola auch noch hervorragend aus. Was für ein edles Profil sie hat, meinte die arme Verwandtschaft, ohne schmeicheln zu wollen. Denn das brachte nichts ein; im Hause Kroll gab man nichts auf Schönrederei, weder gute Worte noch Brot und Schinken.

An ihrem Aussehen waren tatsächlich die Gene schuld. Das schafft die Umwelt nicht, aus einem hässlichen Entlein einen Schwan zu machen. Auch ihr Vater, Julius Kroll, geborener Kroll, sah erstklassig aus, weshalb sich Genoveva Heinemann schlussendlich für ihn entschieden hatte.

Der andere Grund für das verarmte Fräulein Heinemann hatte darin gelegen, dass Krolls Vater sich als Produzent strategisch wichtiger Waren gut über den Krieg gerettet hatte.

Gustav Kroll hatte keine Waffen hergestellt, was ihm die Alliierten schlecht angekreidet hätten, sondern die Werkzeugmaschinen dafür, mit denen bei Bedarf auch andere Güter hergestellt werden konnten. Kroll war nicht einmal Parteimitglied gewesen, nur Förderer der lokalen freiwilligen Feuerwehr.

Er hatte gelöscht, nicht gezündelt.

Auch dies war kein Wesenszug, der seinem Sohn und später seiner Enkelin eine Veranlagung zum Morden mitgegeben haben könnte. Zumal er mit seiner Firma im Wiederaufbau so viel Geld erwirtschaftet hatte, dass er nicht einmal die Steuer betrügen musste.

Kein Kristallisationskern von Kriminalität hatte sich so in Julius bilden können, der als einziger Sohn vom Krieg übrig geblieben war und alles geerbt hatte.

Und das hatte Genoveva noch mehr überzeugt als Julius’ gutes Aussehen. Denn die Kunst, den Krieg zu überleben und während aller Wirren seine Schäfchen im Trockenen zu halten, zeugte von Tatkraft und Intelligenz. Das Geld war lediglich die logische Dreingabe, wie Genoveva Heinemann sich selbst gegenüber überzeugend argumentierte.

Mitte der Sechziger heirateten Julius Kroll und Genoveva, und ihr Geschäft gedieh so gut wie ihr Einfluss in der Gesellschaft. Das Paar zog vom Osten nach West-Berlin, in die Enklave der Freiheit.

Dann muss es eben andere Einflüsse gegeben haben, die aus Viola das machten, was sie heute ist, hören wir. Ohne Grund wird so eine doch nicht zur Mörderin! Die hat es doch nicht nötig!

Mord aus Notwendigkeit?

Wir denken an die gequälte Ehefrau, die vor Gericht aussagt, es wäre nicht mehr anders gegangen, sie hätte sich nicht mehr zu helfen gewusst.

An einen gemobbten Lehrer, der zum Überleben keinen anderen Ausweg mehr sieht, als den Quälgeist von Schüler mit seinem Auto zu überfahren.

Das verstehen wir. Wir heißen es nicht gut, aber wir verstehen es. Nur wären diese Fälle kein Mord gewesen. Zwar war ein Vorsatz vorhanden, es fehlten aber die kaltblütige Planung und die niederen Motive, wie Habgier oder Sadismus. Der echte Mörder weiß und billigt, dass er eine rote Linie überschreitet.

Zurück zu unserer Viola.

Wenn sie in den frühen Achtzigerjahren geboren worden war, als einziges Kind eines reichen und angesehenen Paares, waren die Eltern schon jenseits der Vierzig. Klar, für den Mann vielleicht kein großes Problem, aber eine Mutter? Mit über Vierzig?

Da sind die Gene doch schon mutiert, hören wir. Rauchende Schornsteine und saurer Regen, Strahlung aus den neuen Kernkraftwerken, das macht doch die beste DNA kaputt.

Die Umwelt auch, gerade in Berlin, Mensch, das zerstört die wohlerzogenste Psyche, wenden andere ein. Die Insellage, diese Leute in Kreuzberg, ein korrupter Senat, die Mauer.

Und die Gewissheit, von außen versorgt zu werden, es soll dir nicht mangeln, da meint man schnell, man könne sich alles erlauben.

Sehen Sie sich doch nur die Kinder der Gutsituierten in den Siebzigern und Achtzigern an! Alle in der APO, in K-Gruppen und deren Nachfolgeorganisationen! Berlin ist doch voller Langhaariger und linker Spinner!

Ein behütetes Kind wie Viola, ein zartes, blondes Mädchen, das schon beinahe eine Etüde von Mozart auf dem Klavier konnte, soll plötzlich in eine Kita mit all den Kindern dieser linken Besserwisser? Womöglich den Nachmittag zusammen mit den anderen Kindern in irgendwelchen Wohngemeinschaften verbringen, wo die Leute Hasch rauchen und vor aller Augen rumvögeln? Vor den Kindern! Das soll sie nicht verdreht haben?

Lassen wir die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche besser am Breitscheidplatz. So schlimm wird das nicht gewesen sein. Viola lebte in Dahlem, nicht in Kreuzberg. Violas Freundinnen im Kita-Alter waren alle wie sie, verrückt nach rosa Ponys für Barbie, die sie kämmen konnten, und nach schönen Sachen zum Anziehen.

Und selbst die Radikalinskis aus den Siebzigern waren zehn Jahre später von den Spießbürgern, die sie so vehement kritisiert hatten, kaum noch zu unterscheiden.

Das alles tropfte von Viola ab wie Morgentau von einer Rose.

Was bleibt an Zündschnüren übrig, die in Viola glommen?

Sehen wir uns die minderen Charakterzüge der Eltern an.

Die kleine Genoveva hatte schon früh gelernt, dass ihre Familie mütterlicherseits mit dem arischen Zweig der Familie Wittgenstein verwandt war, nicht etwa mit dem jüdischen. Das hatte sie schon mit vier vor jedem, der es nicht wissen wollte, herausgeplärrt.

Es war nicht einmal gelogen, aber doch kokett und sehr unkameradschaftlich dem Rest der Verwandtschaft gegenüber, Ludwig Wittgenstein eingeschlossen. Ein kleiner, schwarzer Fleck auf dem Tafelsilber ihres Charakters, der sich partout nicht wegputzen ließ.

Ein winziger Verrat. Ein Im-Stich-Lassen von anderen zum eigenen Nutzen. Ein Schuss Selbstgerechtigkeit. War es das, dieses Manko im Charakter? Aber tun wir das nicht alle, unseren Vorteil wahren und dafür kleine Unebenheiten in Kauf nehmen? Macht uns das zu potenziellen Mördern? Ich bitte Sie! Uns doch nicht! Mich nicht, und Sie, liebe Leser, schon gar nicht. Lesern reicht Gruseln und Entsetzen aus zweiter Hand, wirklich bei einem Mord dabei sein möchten niemand.

Die bange Frage an uns alle lautet nun:

Wenn eine so gestandene, integre und gut situierte Person zur mehrfachen Mörderin wird, steckt dieses Potenzial womöglich auch in jedem von uns? Wie dünn ist unsere Glasur über der Gewalt? Sehen Sie – ja, Sie da! Leser! Sehen Sie sich mal um, wen würden Sie am liebsten umbringen?

Haben schon mal daran gedacht? Na? Vielleicht nicht gerade jetzt, aber von der Person, an die Sie da gerade denken, hatten Sie schon mal so was von die Nase gestrichen voll, dass es Ihnen schon in den Fingern gejuckt hat, geben Sie’s zu. Damit gedroht haben Sie jedenfalls schon mal, im Zorn, wir haben’s alle gehört.

Wir lesen viel davon, dass es die Gequälten und Benachteiligten sind, die Opfer, die selbst zu Tätern werden. Die misshandelten und vergewaltigten Kinder, die grausam Rache üben, die verdrehten Psychopathen, die der Welt ihr ganzes Elend zurückgeben.

Die mag es geben, und viele gönnen sich diesen kleinen Grusel – davon zu lesen und dem doch entgangen zu sein.

Viola gehörte nicht zu den Unholden, den Triebgestörten und sozial verdrehten Monstern. Im Gegenteil. Sie gehörte zum Goldrand der Gesellschaft. Sie gehört sogar immer noch dazu. Aber wir wollen nicht vorgreifen.

Die meisten echten Morde funktionieren anders. Meist finden sie in Beziehungen statt oder aus Habgier. Aus lange unterdrücktem Missfallen wird Wut, aus Zorn erwächst die impulsive Tat. Oder sie sind situationsbedingt. Etwas kocht hoch, und Rumms!

Ein Einbrecher wird vom Hausherrn erwischt, der eine Schrotflinte in der Hand hält. Die ist nicht geladen, doch das weiß der Einbrecher nicht. Er schießt, der Hausherr ist tot. Bleich erscheint die Ehefrau im Türrahmen. Sie hat alles gesehen und gehört, die Hand vor dem Mund. Die erschießt er zur Sicherheit gleicht mit. Ein Totschlag, gefolgt von einem Mord. Passiert.

Ein bis zur Weißglut verärgerter und sich völlig zu unrecht bedrängt fühlender Ausländerfeind stößt einen indischen Mathe-Studenten, der im Begriff stand, die Fields-Medaille zu gewinnen und der Humboldt-Universität zu neuem Ruhm zu verhelfen, vor die U-Bahn. Auch schon passiert. Oder es wird noch passieren. Warten Sie’s ab.

Bei einer Kneipenschlägerei zieht einer ein Messer, der andere haut ihm eine Flasche auf den Schädel. Das gibt hässliche Schnittwunden, die genäht werden müssen, oder eine weitere Beerdigung.

Bitte ergänzen Sie selbst diese Liste um Ihnen bekannte Fälle. Oder schreiben Sie’s dem Autor, dann kommt das in einen der nächsten Krimis. Versprochen.

Die meisten Morde entstehen aus häuslicher Gewalt. Bei Viola Kroll, die nur einmal und mit einem unscheinbaren Männlein verheiratet war, fällt auch dieser Grund aus. Wir kommen darauf später noch zurück.

Alle bisher genannten Motive treffen also auf Viola Kroll nicht zu.

Leider können wir es uns nicht so einfach machen und sagen, na ja, das lag eben an ihrer Kindheit, oder an Onkel Gerd, der sie mal da unten angefasst hat, oder an der aufgeheizten Atmosphäre beim Mauerfall, wo ihr ein Vopo seine Maschinenpistole in die Hand gedrückt hat, bevor er jubelnd in den Westen entwichen ist.

Leider nicht.

Wir werden Viola also eine Weile begleiten müssen und sehen, wie sie geworden ist, was sie ist. Angesehen und berühmt und eine mindestens zehnfache Mörderin. Wird man ja nicht so ohne Weiteres. Wie viele Leute haben Sie auf dem Gewissen? Keinen? Das haben wir uns schon gedacht. Sonst würden Sie nicht nach solchen Titeln greifen, sondern selbst zur Tat schreiten. Oder lesen Sie dieses Buch etwa gerade in der Gefängnisbibliothek?

Gleichzeitig lassen wir auch die Polizei zu Wort kommen. Einer muss so einer Täterin schließlich das Handwerk legen. Eine mehrfache Mörderin, berühmt und reich? Bitte? Wo kommen wir denn da hin, wenn so was frei rumläuft?

Wobei die Geschichte mit der Polizei etwas handwerklicher daherkommt als die Geschichte des einfallsreichen Mordens. Das Böse zieht uns magisch an, das Gute ist langweilig.

Hand aufs Herz: Wie ist das bei Ihnen selbst? Sie wollen hier doch etwas über Blut und Tod und Gewalt und Grusel lesen, oder? Sonst hätten Sie ein Buch über Gandhi gekauft.

Trotzdem natürlich vielen Dank, dass Sie dieses Buch gekauft haben.

Ein Buch über Gandhi oder eines vom Dalai Lama erwerben Sie bitte auch noch. Seien Sie auch dafür bedankt.


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