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Die Mörderin

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Schattenseiten?


Wenn wir hier den Anschein erweckt haben sollten, dass Viola ohne Makel war, müssen wir das schnellstens korrigieren. Natürlich hatte auch sie ihre Macken.

Ihre Schulklasse wartete immer darauf, sie lachen zu hören. Viola riss die Augen auf, wenn sie lachen musste, dann den makellosen Mund, atmete aus, und gab dann beim Einatmen ein langes, hohes und quiekendes Geräusch von sich, ein i oder eher ein iiiiiiiiiiiiii!, das sich wie das Quietschen einer alten Schwengelpumpe auf dem Friedhof anhörte.

Das Iiii! hielt meist einige Sekunden an, bevor es in ein hackendes, meckerndes, ersticktes äh, äh, äh überging, das klang wie eine Kombination aus Schluckauf und oralem Darmverschluss.

Ein Lachen, das ansteckend war, weil es so ungewöhnlich, so hilflos und so unkontrollierbar komisch war. Nur lachten die anderen jetzt über Viola, über ihr Ziegenquietschen und Meckern.

Viola war in allem stark, ihr Lachen aber war eine Schwäche, eine Wunde, in die die anderen genauso erbarmungslos ihr Salz streuten, wie Viola sonst ihnen mitspielte.

Hinter ihrem Rücken wurde diese Schwäche gnadenlos erhöht und verstärkt, ihr Lachen wurde imitiert, die Schüler lachten sich halb tot über sie und konnten gar nicht wieder aufhören. Es gab Zeiten, in denen sich Gruppen bildeten, deren einziges Ziel es war, Viola zum Lachen zu bringen, um sich dann gnadenlos über sie lustig zu machen.

Anfangs machte das unserer kleinen Viola nichts aus. Sie hatte ja Grund zum Lachen, sie fand die Witze lustig, sonst hätte sie ja nicht gelacht. Das anschließende Lachen der anderen nahm sie anfangs mit mildem Erstaunen und sogar einer gewissen Sympathie hin. Sie hatten ja gemeinsam gelacht.

Später empfand sie das Lachen der anderen als unpassend und lästig. Sie lachte nun mal, wie sie lachte, das konnte sie nicht ändern. Es entging ihr nicht, dass sie sich damit zum Gespött machte.

Zwar tat das ihrer Macht über die Klasse nur geringen Abbruch; trotzdem war es ein Makel. Also hörte Viola irgendwann auf zu lachen, wie es ihr angeboren war, sie schnaubte nur noch und hielt den Mund geschlossen.

Sie hörte auf zu lachen.

Die Komik der Witze lösten in ihr nur noch ein kühleres Gefühl der Heiterkeit aus, ein mildes Grinsen. Sie baute Distanz zu den Erzählern auf.

Ein wenig Lebensfreude war ihr so genommen worden. Sie war zurechtgeschnitten worden, gemaßregelt, hatte ein anderes Maß und andere Regeln angenommen. Ihr Feuer war gedämpft worden, das Wasser ihrer Freude war getrübt worden.

Es gab andere Bereiche, in denen sie nicht so gut war wie andere. Sie konnte nicht so schnell laufen wie andere; sie versagte am Stufenbarren komplett und fiel auf die Matten. Sie hörte im Unterricht, in Gedanken versunken, oft nicht zu und bekam einen Tadel.

Dafür konnte sie reiten und fechten, sie spielte Klavier, wenn die anderen sangen. Wenn sie geistig anwesend war, konnte ihr niemand in der Klasse das Wasser reichen. Statt in der Klasse sang sie in einem angesehenen Chor.

Körperliche Makel hatte sie kaum. Als Kind war sie sehr besorgt über ein Muttermal auf der Wange, das sie für entstellend hielt. Später sah sie Filme mit Julia Roberts und Eva Mendes und Bilder von Cindy Crawford, bei denen es als Schönheitsmerkmal galt. Sie hakte diesen Makel ab.

Violas rechtes Bein war etwas kürzer als das linke, wodurch ihr rechter Fuß immer etwas nach innen zeigte. Das lernte sie später durch einen eleganten Gang zu kompensieren; sie schwebte wie ein Model über den Catwalk.

Als sie ihre Pubertät hinter sich hatte, war sie mit ihrem Busen sehr unzufrieden; ihre rechte Brust war etwas kleiner, stand weiter nach außen ab und hing etwas mehr durch als die linke, der die Schwerkraft noch nichts ausmachte und die perfekt nach Nordnordwest ausgerichtet war, wenn sie die Mittagssonne im Rücken hatte. Warum war die rechte nicht auch so, ärgerte sie sich.

Auch gefiel ihr die dunkle Farbe ihrer Vorhöfe nicht und die daumengliedgroßen Warzen, die trotz BH ihre Blusen wölbten. Ein Makel, der keiner war, wie sie sehr schnell herausfand, denn andere Mädchen hatten weitaus mehr Grund, unzufrieden zu sein mit dem, was die Natur ihnen als Dauerwerbesendung mit auf den Weg gegeben hatte.

Viola hatte allen Grund, mit sich zufrieden zu sein.

Alles in allem konnte ihr keiner was. Ihre Schwächen waren zu klein dafür, und irgendwann verging den anderen das Lachen über sie. Kleine Versager wurden achselzuckend akzeptiert, man sah darüber hinweg. Viola hatte sich als Macht etabliert.

Die anderen Kinder erlitten ein Hundertfaches an Demütigungen. Dennoch – kann für eine, die sonst immer die Beste ist, eine einzige Demütigung, eine winzige Schande mehr bedeuten als für diejenigen, denen Versagen und zweite Plätze zur Gewohnheit geworden sind?


Atelier des Todes

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