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Die Mörderin
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Wir sehen eine kleine Viola Kroll, die barfuß, goldgelockt und in einem kleinen Flatterhemdchen wie im Märchen vom Sterntaler glucksend durch den Garten hopst und versucht, Schmetterlinge zu haschen.
Wir sagen hier ausdrücklich nicht fangen, das täte ein Lepidopterologe. Der würde sie fangen, aufspießen und ihren Gattungsnamen auf ein Schildchen schreiben.
Nein, Viola machte das mit Freude und wie im Rausch, sie wollte die kleinen, flatternden Wunder auch nicht haben, sondern sich an ihnen erfreuen.
Viola hatte gerade Die kleine Raupe Nimmersatt gelesen, die sich durch ein Buch fraß und immer größere Löcher hinterließ und dadurch in ihrer Metamorphose fortschritt.
Der Genuss eines Buches macht aus einem erdgebundenen Wurm, sonst Speise von Vögeln und Maulwürfen, schimmernde, taumelnde Juwelen, die sich von Nektar nährten.
Welche Kraft musste ihnen das Buch gegeben haben! Welche Kraft, welche Magie musste den Büchern innewohnen, wenn so eine gewaltige Veränderung vom Wurm in ein Juwel möglich war!
Hier finden wir einen ersten kleinen Unterschied zu den anderen Kindern in ihrer Barbie-Pony-Gruppe. Violas Pony hieß übrigens Schimmer. Sie war also ganz normal, was das anging.
Die anderen Mädchen fanden die Raupe toll, die fraß und fraß und sich schließlich verwandelte, wie eine kleine GmbH & Co. KG, die später durch viele Firmenzusammenschlüsse schließlich zu einer Dax-notierten Aktiengesellschaft wird.
Tatsächlich wurden aus drei Mädchen aus Violas Krippe, als sie erwachsen waren, erfolgreiche Managerinnen.
Viola dagegen interessierte sich mehr für die Materie, welche die Metamorphose auslöste. Die Bücher. Ihr Wissen. Die Magie. Sie wollte selbst ein Schmetterling werden, eine Metamorphose erleben, aus sich, dem hübschen, blonden Kind, etwas Neues erschaffen. Oder dem zumindest sehr nahekommen.
Die anderen wollten Quantität. Sie wollte etwas Dialektisches, die Umwandlung. Eine neue Qualität. War das der Unterschied, der aus ihren Freundinnen wohlgeratene Bürgerinnen und aus ihr eine Mörderin machte? Hatte die kleine Raupe in ihr etwas Faustisches ausgelöst?
Wir sollten daraus nicht schließen, dass Viola flatterhaft und womöglich nicht tüchtig war. Im Gegenteil, sie würde auch in Sachen Quantität erfolgreich werden, eine gute Geschäftsfrau, eine geachtete Künstlerin, eine berühmte Lektorin. Und eine fleißige Mörderin.
Mengenmäßig stand sie den anderen nicht nach, sie war als Erwachsene reicher und bekannter. Die anderen waren gewöhnlich. Viola hatte etwas, das die anderen nicht hatten.
Bücher.