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Die Polizei
ОглавлениеDer Auftrag
An einem Montag hatte die Einsatzleitung in Kiel etwas für den jungen Lukas Jansen. Er sollte sich doch bitte um eine Vermissten-Anzeige kümmern. Die Kieler Polizei hatte alle Hände voll zu tun, die erfahrenen Kollegen wurden anderswo gebraucht.
Zu allem Überfluss stammte der Vermisste aus Hamburg, nicht aus Schleswig-Holstein. Allerdings lag der Verlag, in dem er arbeitete, in Reinbek, also in Schleswig-Holstein, wenn auch gleich hinter der Grenze zu Hamburg.
Jansen wurde seitens der Landespolizei Hamburg kooptiert, hatte ihm der Einsatzleiter erklärt. Was hieß, dass die Hamburger keinen anderen Dummen für den Job gefunden hatten, wie ihm sein Kumpel Onno auseinandersetzte.
Jansen musste sofort los. Es gab einen Zeugen. Dieser Mann war der letzte, der den Vermissten gesehen hatte. Der eigentlich dafür zuständige Beamte war allerdings seit zwei Tagen in Urlaub. Zur Seite würde Jansen eine erfahrene Polizeimeisterin stehen, Frau Mertens, eine etwas korpulente und unattraktive Mittvierzigerin.
Der Hamburger Vermisste war ein bekannter Lektor von einem ebenso berühmten Verlag aus Reinbek. Nachdem er sich ein paar Tage im Dienst auffällig verhalten hatte, schroff, desinteressiert und lustlos, hatte ihm sein Chef ein paar Tage Urlaub verordnet. Den hatte er überzogen, was bis dahin nie vorgekommen war.
Wohin er gefahren war, wussten weder seine langjährige Freundin noch Kollegen oder Chef.
Zu guter Letzt war er in die Firma zurückgekehrt, mit einem schweren Kopfverband, und mit einer Anzeige gegen ihn wegen schwerer Körperverletzung, die er auf Sylt begangen haben sollte.
Dr. Golz, so der Name des Cheflektors, hatte sich noch unzugänglicher und schroffer als vorher gezeigt. Er war uneinsichtig, grob und gemein und hatte sofort gekündigt, als sein Chef ihn freundlich und nachsichtig an seine Arbeit erinnert hatte. Und an seine Freundin Renate, die Golz komplett links liegen gelassen hatte.
Dann verschwand der auch außerhalb des Verlagswesens sehr bekannte Lektor und tauchte nicht wieder auf.
Normalerweise hatte er täglich Kontakt zu wichtigen Persönlichkeiten gehabt. Er sprach mit anderen Verlagen, saß in Talkshows, trat bei gehobenen literarischen Zirkeln auf.
Dr. Golz fand man bei nahezu allen wichtigen Kulturveranstaltungen der Stadt Hamburg, zusammen mit vielen Freunden aus den besseren Kreisen der Stadt. So jemand wie er verschwand nicht einfach so.
Unter seinen Bekannten befand sich ein Kriminaloberrat der Stadt Hamburg, und den hatte nach einigen Tagen Golzens Freundin angesprochen, Renate Schiller, die Nachfahrin eines in der Stadt sehr beliebten Politikers, die den Oberrat und seine Frau sehr gut kannte.
Viel hatte der junge Polizist nicht. Er wusste, dass Golz sich auf Sylt in einem Szene-Lokal danebenbenommen hatte. Er hatte trotz Verbotes geraucht – als Nichtraucher, wie seine Freundin erstaunt kommentiert hatte – und einem Mann, der ihn auf die Verbotsregelung hingewiesen hatte, mit einem brutalen Faustschlag die Nase gebrochen.
Golz war kein Schwächling. Er hatte in seiner Jugend als Hobby-Sportler geboxt, in derselben Halle, wo Max Schmeling früher trainiert hatte. Der Freund des Opfers hatte ihm aus Notwehr von hinten eine teure Weinflasche übergezogen, Golz war schwer verletzt im Krankenhaus gelandet. Von wo er bald wieder abgehauen war.
Jansen erstaunte der Bericht des Arztes, der Dr. Golz untersucht hatte. Der Patient hatte Schwermetalle, Amphetamine und einen sehr hohen Nikotinspiegel im Blut gehabt, die der Arzt sich nicht erklären konnte. Dr. Golz hatte, kaum dass er halbwegs wiederhergestellt gewesen war, das Weite gesucht und stand für Rückfragen nicht mehr zur Verfügung.
Als Erstes nahm Jansen sich den Wohnort von Golz vor, in Barmbek-Süd, einem schönen Teil Hamburgs unweit der Alster.
Von dort war Dr. Golz an seinem letzten Arbeitstag wie jeden Tag zu seinem Verlag in Reinbek gefahren. Golz fuhr meistens mit der S-Bahn, der schnellsten Verbindung. Es war hoffnungslos, dort nach Spuren zu suchen. Nur fuhr diese S-Bahn nicht immer. Es gab eine andere passable Verbindung, bei der er einen Bus nehmen musste. Und die passte zeitlich gut zu seinen Arbeitszeiten.
War Golz mit diesem Bus nach Haus gefahren, nachdem er gekündigt hatte? Konnte man ihn darüber finden? Sein Verschwinden lag schon gut zehn Tage zurück. Jansen versuchte es trotzdem bei dem Busfahrer, der vormittags diese Strecke fuhr.
Er hatte das Glück des Tüchtigen.
Der Busfahrer kannte den Mann mit dem markanten Aussehen, er hatte ihn auch schon mal im Fernsehen gesehen. An den Tag, an dem Dr. Golz verschwunden war, konnte er sich zwar nicht mehr erinnern; er zeigte jedoch auf einen unscheinbaren kleinen Mann mit Hut, der gerade aussteigen wollte.
»Fragen Sie den mal. Der sieht und hört alles. Wenn der es nicht weiß, kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.«
Der Mann wusste. Oh ja, die Person auf dem Foto würde er kennen, gewiss doch, der saß immer in der dritten Reihe rechts am Fenster, wenn er den Bus um 8.45 h Uhr nahm.
Und er wusste auch, wann dieser Herr das letzte Mal mit dem Bus gefahren war. Und wer neben ihm gesessen hatte. Ein Mann, der im gleichen Haus wie er selbst wohnte, sogar auf demselben Flur, in den Mundsburger Hochhäusern bei der Hamburger Meile.
Der hätte ihn zwar noch nie wahrgenommen, der Herr wohnte da auch noch nicht lange, aber er, der Herr Mahndorf, hätte ihn sehr wohl gesehen. Und höflich gegrüßt, doch der hätte ihn gar nicht wahrgenommen.
Den Namen des Mannes wusste er nicht, der Herr wäre sehr unzugänglich.
Der Unbekannte hätte dem Mann auf dem Foto etwas zugesteckt. Jansen ließ sich erklären, wo der Mann wohnte, der den Zeugen zum Nachbarn hatte. Nicht viel, aber immerhin eine Spur.
Was den Polizeischüler mehr irritierte, war der Umstand, dass Golz eine knappe Woche allein auf Sylt gewesen war. Er hatte sonst nie Urlaub genommen. Die Arbeit war sein Ein und Alles gewesen. Warum war er plötzlich allein nach Sylt gereist?
Wenn er nach diesem Urlaub kurzfristig und kurz angebunden gekündigt hatte und verschwunden war, hatte er seine Entscheidung zu diesem Schritt vermutlich schon während des Urlaubs getroffen. Dort hatte er Zeit zum Nachdenken gehabt. Er war allein gewesen; allein denkt man mehr über alles nach als auf einem gemeinsamen Trip.
Dr. Golz konnte dort jemanden kennengelernt haben, der ihn auf andere Gedanken gebracht hatte. Oder die.
Diese Hypothese erschien Jansen am wahrscheinlichsten. Und das Wahrscheinlichste war meist auch das Richtige.
Das hatte der junge Lukas in einem der Kurse gelernt; man nannte dieses Vorgehen Occams Rasiermesser. Und sein rasiermesserscharfer Schluss war, dass der Lektor eine Frau kennengelernt haben musste. Eine andere als seine alte Freundin Renate.
Dr. Golz sah gut aus und war im besten Alter. Er war hetero, wenn man seiner Freundin Glauben schenken wollte. Er war allein in den Urlaub an einen Ort gefahren, an dem man leicht und schnell Leute kennenlernen konnte. Das sah nach Absicht und einer sexuellen Notlage aus.
Jansen wurde immer klarer, dass Dr. Golz dort eine Frau kennengelernt haben musste. Mit der hatte er nach seiner Kündigung das Weite gesucht und gefunden. Vermutlich war er schlicht und einfach mit einer neuen Frau durchgebrannt.
Jansen hatte den Job zugewiesen bekommen, ihn zu finden, und wollte die Aufgabe auch ordentlich beenden. Vielleicht hatte er Glück und Dr. Golz tauchte von selbst wieder auf, sobald er von dem neuen Abenteuer genug hatte.
Oder er schrieb eine Karte von den Malediven, liebe Renate, es ist aus, ich bin jetzt mit Beate zusammen, mache eine Auszeit, habe ein neues Leben angefangen. Dann wäre Jansens Job erledigt gewesen.
Was zu diesen Lesarten nicht passte, war der Umstand, dass Dr. Golz so schroff und grantig in den Verlag gekommen war und auf die Kritik des Verlegers hin sofort den Job geschmissen hatte. Dass er angefangen hatte zu rauchen und eine Schlägerei vom Zaun gebrochen hatte. Das passte so gar nicht zu einer neuen Liebesgeschichte.
Oder lag es gerade an dieser neuen Liebesgeschichte?
Vielleicht hatte ihm jemand das Leben so radikal umgekrempelt, dass er den Halt verloren hatte. Ihn heißgemacht und wie eine heiße Kartoffel fallengelassen. Dann wäre Golz suizidgefährdet gewesen. Vielleicht hatte er sich tatsächlich umgebracht. Doch auch dann musste er irgendwo stecken.
So sehr Jansen diese Ablenkung von seiner eigentlichen Arbeit störte, so sehr reizte ihn der Gedanke, auf Sylt selbst Nachforschungen anzustellen. Dr. Golz musste dort irgendwo gewohnt und gegessen und sich aufgehalten haben. Er hatte sein Handy dabeigehabt, er hatte garantiert mit seiner Kreditkarte oder EC-Karte bezahlt.
Es war wichtig, dass Jansen die Frau fand, die Golz dort kennengelernt hatte. Das war sein bester Ansatz. Er musste nach Sylt. Am besten in dasselbe Hotel, in dem Golz gewohnt hatte.
Der junge Polizist war stolzer Besitzer eines Jack-Russell-Terriers. Und wie ein Terrier verbiss er sich in den Fall des verschwundenen Lektors.
Dieser Fall würde ihn bald zu Dr. Golz’ Nemesis führen, und von dort etwas später zu Viola Kroll. Doch wir wollen nicht vorgreifen.