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Die Polizei

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Dr. Orlowski


Seine Hamburger Kollegen hatten Jansen freundlicherweise gleich einen Termin bei Frau Dr. Dr. Marie Henrike Orlowski besorgt, die jetzt schon seit fünf Minuten in ihrem Büro in der Uni auf ihn wartete. Sein Gespräch mit Witzleben hatte länger gedauert, als er gedacht hatte.

Die Professorin würde noch eine weitere Viertelstunde warten müssen, so lange brauchte er von Barmbek zum Von-Melle-Park, wo ihr Institut lag. Er rief sie an und sagte ihr das. Sie säße sowieso über ein paar Examensarbeiten, kein Problem, ließ sie ihn wissen.

Kühle, rauchige Stimme. Jansens Puls beschleunigte sich weiter.

Als er in ihr Büro trat, war er über die Wandlungsfähigkeit dieser Frau erstaunt. Sie hatte mit der sexy Frau vom Video so gut wie nichts mehr gemein. Sogar die Augenfarbe war anders; auf dem Foto hatte sie dunkle Augen gehabt, vermutlich braune Kontaktlinsen, jetzt hatte sie hellblaue.

Sehr kurze, schwarze Haare mit leichtem Grau-Ansatz, wie auf der Uni-Seite, nur noch wesentlich kürzer geschnitten. Man sah die Kopfhaut gräulich durchschimmern.

Eine hässliche, schwarze Brille verbarg einen großen Teil ihres Gesichtes. Die Frau war ungeschminkt. Sie steckte in einem hochgeschlossenen leichten Pullover unter einer weiten Jacke, die ihre auf dem Foto so prächtige Figur komplett verbarg. Als sie hinter ihrem Tisch aufstand, um Jansen zu begrüßen, sah er dann auch noch die letzten Abtörner; einen grauen Faltenrock, der bis auf die Mitte der Waden reichte, über grauen Strumpfhosen und flachen, ausgetretenen Mokassins. Eine ältere Uni-Angestellte, Professorin, vielleicht furchterregend für ihre studentischen Besucher, aber sexuell unattraktiv. Eher eine drakonische Hexe, nur die Warze auf der Nase fehlte.

»Sie sind der Herr von der Polizei.« Das klang mehr wie eine Feststellung. Jansen trug schließlich Uniform.

»Ja. Jansen, Lukas Jansen. Eigentlich von der Kripo in Kiel, aber ich helfe der Hamburger Polizei bei der Suche nach einem prominenten Vermissten.«

Frau Dr. Dr. Orlowski bot ihm einen Platz vor ihrem großen Schreibtisch an, der mit etlichen Mappen bedeckt war. Jansen kam sich vor wie ein Student.

»Ich arbeite immer noch gern mit Papier«, dozierte sie. »Da kann ich reinschreiben und malen und blättern und schön mit dem Kuli ganze Seiten durchstreichen, anstatt auf einem öden Bildschirm immer erst nach der Funktion suchen zu müssen, mit der man Wörter durchstreicht. Das macht mir einfach keinen Spaß.«

»Ist Spaß denn wichtig beim Korrigieren?«, fragte er. Ein wenig Konversation vor der Befragung entspannte die Atmosphäre, so viel Psychologie hatte er auch drauf.

»Spaß ist bei allem wichtig, was Menschen tun«, belehrte sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. »Sie als junger Mensch müssen das doch wissen, Herr Jansen.«

»Das bringt mich zu einem vielleicht etwas heiklen Thema, Frau Doktor«, sagte er, dankbar für die Überleitung.

»Wir suchen nach einer Person, einem bekannten Chef-Lektor aus Reinbek, und wir haben ihn auf einem kürzlich gemachten Video gefunden, auf dem auch Sie zu sehen sind.«

Er zog sein Handy aus der Tasche, rief die App auf und hielt ihr das Video vors Gesicht.

»Zusammen mit einem Herrn von Witzleben. Und der behauptet, sie hätten diese Disco in Kampen, das Rote Kliff, gemeinsam mit dem Vermissten verlassen, gegen Mitternacht. Vielleicht hatten Sie ja auch Spaß mit ihm.«

Er nahm wahr, wie sie beim Ansehen des Fotos, auf dem sie ganz anders aussah, und seinen Worten leicht errötete.

Sie stand auf und sah aus dem Fenster, während sie antwortete.

»Sehen Sie, Herr Jansen, mein Beruf macht mir Spaß. Ich erforsche die Grenzwerte der menschlichen Psyche, vor allem der männlichen Psyche. Was darin vor sich geht, hat auch oft mit Gewalt zu tun. Gewalt, die man erleidet, Gewalt, die man im Gegenzug oder als Reflexion selbst ausübt.«

Jansen hatte eine geistige Notiz davon gemacht, dass sie in ihrem Satz den Beruf betont hatte, nicht den Spaß.

»Mit Gewalt wird man unterdrückt. Im Gegenzug möchte man sich mit Gewalt befreien, wenn es nicht mehr anders geht. Bei grenzwertigen Experimenten, wenn alle Regler ganz nach oben geschoben sind, lernt man deshalb am meisten. Sowohl sexuelle Begegnungen als auch Gewalt sind sehr urtümlich, sie sind mit dem Überlebenstrieb gekoppelt, und gehen häufig an die Grenzen. Und das insbesondere, wenn sie gemeinsam auftreten.«

Das Fenster hatte genug gehört, die Frau setzte sich wieder an ihren Platz und sah ihrem jungen Besucher direkt in die Augen.

»Was ich Ihnen jetzt erzählen werde, fällt jetzt unter die ärztliche Schweigepflicht. Aus dem, was ich Ihnen sagen werde, dürfen Sie zwar ihre Schlüsse ziehen, Herr Jansen, aber Sie dürfen nichts veröffentlichen oder weitergeben. Sie dürfen es auch nicht vor Gericht verwenden. Stimmen Sie dem zu?«

Er nickte. Gott, konnte diese Frau unnachgiebig und bestimmend auftreten! Er musste trocken schlucken. »Gewiss.« Er hatte keine Ahnung, woher dieses Wort in sein Vokabular gekommen war. Eine unterwürfige Bestätigung. Er schluckte erneut.

»Gut. Dann verstehen wir uns. Kaffee?«

Er musste ein drittes Mal schlucken und nickte wieder. »Gern.«

Frau Doktor ging zu einem anderen Tisch in der Ecke und drückte auf einen Knopf an der Kaffeemaschine, die dort stand. Unter dem Auslass standen schon zwei Tassen bereit. Sie stellte sich mit dem Rücken zum Fenster und sah Jansen direkt an.

»Als Psychologin muss ich experimentieren. In Realsituationen. Dafür gibt es keine Labors, und mit Videos und EEG und anderen indirekten Mitteln sind die Schlüsse zu ungenau oder fraglich. Und ich kann mich schlecht als Beobachterin zu anderen Leuten gesellen, die gerade gewaltsamen Sex haben. Das kennen Sie vielleicht aus der Physik, die Heisenbergsche Unschärferelation. Der Beobachter verändert das, was er beobachtet. Dasselbe gilt auch in der Psychologie.«

Sie ging zurück zur Kaffeemaschine, nahm die beiden Tassen, stellte eine vor ihm ab und behielt die andere in der Hand. »Milch und Zucker stehen vor Ihnen.« Sie ging zurück zu ihrem Fensterplatz, vor dem er ihr Gesicht im Gegenlicht nicht erkennen konnte. Schlaue Frau.

»Ich habe mich deshalb der Form halber bei einem Escort-Service als Domina angeboten. Ich biete meine Dienste meist ein paarmal im Monat an. Sie würden staunen, was ich da alles erfahre. Über was die Männer und auch einige Frauen reden wollen. Was sie tun oder erleiden wollen, was aus ihnen herauswill. Was ich dort dann tun soll.«

»Sie könnten doch mal zu uns zum Abwaschen kommen«, versuchte Jansen zu scherzen.

Sie ging darauf nicht ein.

»Die meisten Männer trauen sich nicht«, fuhr sie fort. »Viele fordern mich für Freunde an, die sich nicht selbst trauen. Sie fragen eher einen Vertrauten, der ihnen dann meine Adresse oder die einer Kollegin gibt. Nur die erfahrenen Personen melden sich selbst.«

Jansen sah den nur mit einer Küchenschürze bekleideten Dr. Golz vor seinem geistigen Auge, wie er dieser Frau die Küche wischte. Oder wie er von ihr getreten oder anderweitig herabgewürdigt wurde.

Diese Professorin hat den vermissten Dr. Golz in ihrer Mangel gehabt, dachte er. Am Tag darauf war er als anderer Mann aufgetreten, hatte sich geprügelt und war ruppig und gefühllos gewesen. War im Krankenhaus gelandet, nach Haus gefahren und hatte gekündigt. War verschwunden.

War diese Frau schuld an seinem Verschwinden? Hatte sie etwas in ihm ausgelöst? Hatte sie ihn vielleicht tödlich verwundet, psychisch? Hatte sie dafür gesorgt, dass alte Wunden wieder aufgebrochen waren?

»Erzählen Sie bitte weiter«, forderte Jansen sie auf.

»So auch in diesem Fall. Sein Bekannter hatte mich angefordert und mit mir im Roten Kliff auf Manfred gewartet. Und mit einer Legende. Viele wollen es vor sich selbst nicht zugeben, dass sie Frauen für sexuelle Dienstleistungen bezahlen. Lieber glauben sie an irgendeine unwahrscheinliche Geschichte. Ich war in diesem Spiel eine erfolgreiche Künstlerin, die gerade im Guggenheim in New York eine Ausstellung beendet hatte.«

Sie grinste, als sie sich das selbst vorstellte. »Und bezahlt hatte sein Freund vorher schon für ihn. Er durfte diese Legende damit glauben.«

Jansen fragte sich, ob sie diese Einkünfte auch versteuerte. »Wie viel, wenn ich fragen darf?«

»Viereinhalb. Mein Satz für eine Nacht.«

»Tausend?«, fragte Jansen ungläubig.

»Ja. Leider. Mehr gibt der Markt nicht mehr her«, klagte die Professorin.

»Das ist enorm viel Geld«, schluckte Jansen. »Da wird sich das Finanzamt freuen.«

»Deshalb sind Sie nicht hier.«

Fr. Dr. Dr. Orlowski ließ keinen Widerspruch zu. »Und wenn Sie sich jetzt fragen, was ich Ihren Blicken entnehmen kann, ob ich ihn so gequält oder ihm so zugesetzt habe, dass er sich umgebracht hat oder unter meinen kundigen Händen geistig verendet ist, muss ich Sie enttäuschen. Manfred hat sich für ein Softie-Programm entschieden, und nach zwei Stunden hat er geschlafen wie ein Baby. Komplett zufrieden und eins mit sich und der Welt. Ein Baby. Neugeboren.«

»Und was ist das für ein Programm?«, wollte er wissen.

»Sorry. Das geht Sie nichts an, außer Sie können sich das leisten, mein Herr. Für Ihren Fall ist das in keiner Weise relevant. Manfred hat mich glücklich und entspannt am Vormittag wieder verlassen. War es das jetzt?«

Eine Frage hatte Jansen noch. Denn die Aussagen von Witzlebens und der Professorin widersprachen sich.

»Wer war dieser Bekannte, der Ihnen das Geld gegeben hat? Das könnte wichtig sein. Er leugnet nämlich ab, dass er ihn kennt. Sie kennt er übrigens auch nicht, wenn ich seinen Worten Glauben schenken darf.«

Die Professorin sah auf ihre Uhr. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, und zwar, weil ich es nicht weiß und auch nicht wissen will. Diskretion wird bei uns großgeschrieben, mein Herr.« Sie trommelte mit Zeige- und Mittelfinger auf dem Schreibtisch herum.

»Na gut.« Jansen trank seinen Kaffee aus und sah sie fragend an. Ihm fiel nichts mehr ein. Hatte die ihn irgendwie beeinflusst? Jedenfalls stand er wie ein Automat auf und salutierte fast.

»Ja. Ich respektiere das, natürlich. Vielen Dank, Frau Dr. Orlowski. Wenn noch etwas ist, werden wir Sie anrufen, wenn das recht ist.«

Sie hatte sich schon wieder ihren Arbeiten zugewandt und sah nicht mehr auf. »Gern. Auf Wiedersehen.«

Jansen schloss die Tür hinter sich. Es war später Nachmittag geworden. Er hatte hier vorerst nichts mehr zu tun, und er wollte raus aus Hamburg.

Eine Frage war bei ihm hängen geblieben. Warum hatte von Witzleben ihn belogen? Oder log die Professorin?




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