Читать книгу Zeit der wilden Orchideen / Das Herz der Feuerinsel: Zwei Romane in einem Band - Nicole-C. Vosseler - Страница 18

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In großen Schritten lief Georgina durch das harte Gras. Durch eine Luft, die heiß war, ohne schwül zu sein, und betörend duftete, nach Kemboja und Jasmin, Heliotrop und den champagnerhellen Blütentrauben des Tembusubaumes.

Nach den heftigen Monsunregen der vergangenen Monate war der Garten in einem Rausch der Farben explodiert. Die Zweige von Bäumen und Sträuchern hingen schwer von üppigem Laub herab, überall spross und wucherte neues Grün hervor, sodass Ah Tong kaum mit Zurückschneiden und Unkrautjäten hinterherkam.

Georgina schob sich durch das Dickicht hindurch, in dem sie bereits wieder einen engen Pfad, eine schmale Schneise hinterlassen hatte. Jeden Tag klopfte ihr Herz erwartungsvoll, wenn sie die Stufen der Veranda hinaufhüpfte, und jeden Tag schluckte sie die Enttäuschung hinunter, wenn sie die beiden Zimmer verlassen vorfand. Ohne eine Spur davon, dass Raharjo hier gewesen war.

Zügig schwamm sie durch das flirrende grünblaue Dämmerlicht des Pavillons. Durch das Flüstern der Blätter, die der Wind außen gegen das Gartenhaus rieb und den weichen Gesang der Meereswellen.

Jäh blieb sie im Türrahmen stehen.

Eine Gestalt zeichnete sich unter dem Moskitonetz des Bettes ab. Georginas Herz setzte einen Schlag aus, bevor es in einen stolpernden Takt verfiel und zu jubeln begann, und auf Zehenspitzen schlich sie näher.

Alle viere von sich gestreckt, lag Raharjo in einem tiefen Schlaf, der seinen Brustkorb ruhig hob und senkte.

Dünner war er als Georgina ihn in Erinnerung hatte, nurmehr Muskeln und Sehnen unter dem angeschmutzten Hemd, den ausgefransten Hosen, sein Gesicht unter dem zerrauften Haar kantiger. Wohl auch durch den Bartschatten um seinen Mund und die letzten Spuren von Erschöpfung auf den schlafentspannten Zügen; als hätte er einen Ozean durchschwommen, um zu ihr zu gelangen, so sah er aus.

Vorsichtig, damit sie ihn nicht weckte, ließ sie sich auf der Bettkante nieder und zog die Füße zu sich herauf. Mit einem Ruck, einem tiefen Einatmen hob er den Kopf und blinzelte unter zusammengezogenen Brauen umher, bis sein Blick sie erfasste.

»Nilam«, murmelte er mit seiner Stimme wie starker schwarzer Kaffee mit viel Zucker und richtete sich auf. »Endlich.«

Seine Hände schlossen sich um ihr Gesicht, sein Mund drückte sich auf ihren, und er schmeckte nach dem Salz des Meeres.

Wie ein Schiffbrüchiger an ein Stück Treibgut presste er sich an sie. Sie hatte nichts dagegen, dass seine rauen Hände unter den Saum ihrer Kebaya glitten, ungeduldig an den feinen Stoffen von Bluse, Hemdchen und Sarong zerrten, dass die Nähte knirschten, er sich selbst entkleidete; sie hatte lange genug darauf gewartet.

Es schien das Natürlichste der Welt zu sein, nackt beieinanderzuliegen, den anderen zu fühlen, zu schmecken. Und über die Narben der alten Wunden zu streichen, die sie als kleines Mädchen unter ihren Händen gehabt hatte, mit den Lippen darüberzufahren, war wie die Erfüllung eines lange zurückliegenden Schicksalswunsches.

Georgina staunte über den so vertrauten, so fremden Körper Raharjos, der ihren Leib zu rieselndem Sand machte, überspült von einer Meereswoge nach der anderen. Über die Laute, die aus ihrem Mund kamen, als seine Hand das dunkle Delta zwischen ihren Beinen hinabglitt, heiser und lockend wie ein Seevogel.

Sie ertrank in einem Fieber und wurde zu einer stürmischen See, in die sich Raharjo hineinstürzte, ein Schwimmer, der ebenso kraftvoll wie behutsam die Wellen teilte, und Raharjo entdeckte, dass eine Frau Erde und Meer zugleich sein konnte und wie nah zwei Menschen sich der Sonne und den Sternen bringen konnten.


Die glühende Wange an Raharjos Brust geschmiegt, blinzelte Georgina in das Halbdunkel der Koje und lauschte dem Glucksen der Wellen, die an den Rumpf des Schiffs schlugen, es hin- und herschaukelten.

Schwül und stickig war es hier unten durch den Schweiß, den sie beide vergossen hatten, und der schwersüße, scharfwürzige Geruch von Körperhitze und erfüllter Begierde mischte sich mit dem des Ozeans.

Sie hob den Blick zu seinem Gesicht. Mit den geschlossenen Lidern sah er aus, als schlafe er, mit diesem träumerischen Ausdruck eines satten, stillen Glücks, der die selige Trägheit in ihren Gliedern widerspiegelte. Nur seine Hand, die unaufhörlich ihren Oberschenkel entlangstrich, verriet, dass er wach war.

Georgina streckte ihr Bein aus, stemmte sich auf dem Ellbogen hoch und legte sich bäuchlings auf Raharjo. Für einen langen Kuss, der sie beide atemlos zurückließ, und sie zerging beinahe vor Seligkeit, als er sie unter schweren Lidern ansah, als bedeutete sie die Welt für ihn.

»Hast du auch Hunger?«, murmelte er und spielte mit Strähnen ihres Haares.

Keck hob Georgina eine Augenbraue und drückte ihren Schenkel gegen sein eben noch ermattetes und weiches Glied, das sich wieder zu regen begann.

Raharjo lachte; dieses tiefe, leise Lachen, das sie so liebte, wie das Grollen eines noch fernen Donners.

»Ich meine den anderen Hunger.«

Sanft zog er sie an einer Handvoll ihres Haares und streichelte dann ihre Wange, während seine andere Hand die Kurve ihrer Pobacke nachfuhr.

Georgina nickte. Diese rauschhaften Stunden mit Raharjo im Pavillon oder hier auf seinem Schiff ließen sie jedes Mal wie ausgezehrt zurück, sobald das andere, drängendere Begehren gestillt war.

»Dann geh ich uns einen Fisch fangen.«

Sanft schob er sie von sich herunter, auf die Flechtmatten, die den schwankenden Boden bedeckten, und griff zu seinen Hosen.

Die Mittagssonne blendete Georgina, als sie auf das Deck hinaufstieg, und sie kniff die Augen zusammen. Der Wind der offenen See spielte mit ihren Haaren, ihrem Sarong und ließ ihre Kebaya flattern wie die Segel, die sie bis hier hinausgetragen hatten. In der Ferne zogen Schiffe vorüber und kleinere Perahus, und dahinter konnte sie einen Küstenstreifen erkennen, vom Dunst zu einer mit Pastellkreide gezogenen Linie verwischt.

Sie sah zu, wie Raharjo verschiedene Speere mit gefährlich aufblitzenden Metallspitzen im Beiboot verstaute, das er dann hinabließ, und über die Strickleiter hinunterkletterte.

In ein paar schnellen Schritten trat sie an die Reling.

»Kann ich mitkommen?«

Raharjo lachte.

»Weißt du, was es bei uns Orang Laut bedeutet, wenn eine Frau und ein Mann zusammen fischen gehen?«

Er legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zu ihr hinauf.

»So schließen wir den Bund fürs Leben. Mit dem Meer und allem, was darin lebt, als Zeugen.«

Leichthin hatte er es sagen wollen, vielleicht mit einem kleinen Grinsen; ungewollt ernst war es ihm über die Lippen gekommen. Begleitet von einer unausgesprochenen Frage, die in ihm nachhallte.

Er sah ihr an, dass sie ihm nur halb glaubte, und zum ersten Mal durchzog ihn so etwas wie Bedauern, dass sie keine Orang Laut war. Dabei war es gerade dieses Andere, Fremde an ihr, das ihn bezauberte. Ihr zur Hälfte schottisches Blut, das für die Klarheit ihrer Züge verantwortlich war. Für ihre hellgoldene Haut und für diese saphirblauen Augen, die ihn stets aufs Neue gefangen nahmen.

Die Brauen nachdenklich zusammengezogen, wickelte er eine der Angelleinen für kleinere Fische auf.

Hätte sein Leben nicht einen anderen Kurs eingeschlagen, wäre er heute längst verheiratet und wohl auch Vater mehrerer Kinder. Nach den Bräuchen seines Stammes war er damals, als er sich verwundet in den Garten flüchtete, schon ein Mann, nicht lange davor das erste Mal körperlich mit einem Mädchen zusammen gewesen. Nie hatte er einen Gedanken daran verschwendet, sich zu binden; sein ganzes Sein war nur darauf ausgerichtet gewesen, aus seinem Wissen um die Reichtümer Nusantaras Geld zu machen. Erst mit Nilam …

Wann war aus dem kleinen Mädchen, das sich um ihn gekümmert und ihm das Lesen beigebracht hatte, die Frau geworden, mit der er sein Leben teilen wollte? Sicher schon an dem Tag, an dem er beschloss, das Land am Sungai Seranggong zu kaufen, um dort ein Haus zu bauen. Vielleicht auch schon davor, er erinnerte sich nicht mehr.

Als hätte ihm jemand unbemerkt einen Liebestrank aus den Tränen der Seekuh eingeflößt, wie in den alten Legenden der Orang Laut.

»Kann ich trotzdem mitkommen?«

Er konnte ihre Furcht heraushören, womöglich einen Fehler zu begehen, ein Tabu zu brechen, und unwillkürlich zuckte es um seinen Mund. Ausgerechnet Nilam fürchtete sich davor, die ihn doch so leicht um den Finger hätte wickeln können, wie er die Angelleine um seine Hand schlang, wenn sie nur wollte. Für die er bis ans Ende aller Meere segeln und bis auf den Grund des tiefsten Ozeans tauchen würde.

Raharjo warf die aufgewickelte Angelleine ins Boot und bereute es sogleich, weil er ohne sie nicht wusste, wohin mit seinen Händen. Denn jetzt war er derjenige, der von Furcht ergriffen wurde, er könnte der Tochter des schottischen Tuans nicht gut genug sein. Ein schmutziger Orang Laut, geboren und aufgewachsen auf einem kleinen Schiff auf dem Ozean. Der seine Jugend mit Raubzügen zu Wasser verbracht und zum ersten Mal einen Mann getötet hatte, als er ungefähr in demselben Alter gewesen war wie Nilam damals. Er hatte ihr nie erzählt, wie viel Geld er mit Perlmuttmuscheln und Schildkrötenpanzern gemacht hatte und mit den Perlen, die die Männer der Inseln vom Meeresboden für ihn heraufholten. Wie viel mehr Geld er wahrscheinlich durch die Quellen machen würde, die er auf seiner letzten Fahrt aufgetan hatte, und nun war es zu spät dafür.

Er schluckte.

»Willst du denn meine Frau werden, Nilam?« Zerrissen zwischen Hoffen und Bangen sah er zu ihr hinauf. »Hier und heute?«

Das ungläubige Lächeln, das ihr Gesicht erhellte und zum Leuchten brachte, das fassungslose Glück hinter den Tränen in ihren Augen, holte ihn beinahe von den Füßen.

»Ja!«, rief sie aus. »Ja, Raharjo!«

Mit weichen Knien trat er an den Rand des Bootes und streckte ihr die Hand entgegen. »Dann komm.«

Schwungvoll zog er sie zu sich ins Boot und in seine Arme.

»Es gehört aber eine Mutprobe dazu«, raunte er zwischen zwei Küssen.

Wie sie ihn aus großen Augen ansah, fragend und ein bisschen furchtsam, aber mit unbezwingbarem Mut und vertrauensvoll, erinnerte ihn so sehr an die kleine Nilam von damals, dass er fast versucht war, doch an etwas wie Schicksal zu glauben.

In Georginas Magengegend flatterte es, und das Herz schlug ihr bis zum Hals, vor Glück wie vor Aufregung, während sie zuschaute, wie Raharjo das Boot auslaufen ließ und das Segel reffte.

Sie konnte sich nicht vorstellen, was für eine Mutprobe er gemeint haben könnte, mochte sich nicht ausmalen, was sein würde, wenn sie dabei versagte.

Raharjo nahm sie bei den Händen und zog sie in die Höhe, balancierte sie beide im schaukelnden Boot aus.

»Bist du bereit?«

Nein. Sie nickte.

Er drehte sie zum Wasser hin und schloss die Arme um sie.

»Du springst einfach ins Wasser und tauchst unter dem Boot hindurch«, sagte er. »Ist nicht schwer, und hier ist ein guter Platz dafür. Nicht zu flach und nicht zu tief.«

Vorsichtig spähte Georgina ins Wasser, das zwar lichtgrün und türkisen schimmerte, ihr aber erschreckend abgründig vorkam; sie war noch nie alleine getaucht, ohne Raharjo. Sie konnte jetzt schon fühlen, wie sie falsch absprang und das Boot zum Kentern brachte, das sie dann erbarmungslos unter Wasser drückte. Wie sie hilflos in der Tiefe umherruderte, sich ihre Lunge mit Wasser füllte, und sie ertrank.

»Die Ehe ist wie das Meer, das uns Orang Laut ernährt«, murmelte er in ihr Haar. »Manchmal heiter und ruhig, manchmal stürmisch, mit Untiefen und tückischen Strömungen. Eine lebenslange Fahrt durch vertraute Gewässer und an neue, unbekannte Küsten. Der Sprung ins Wasser bedeutet, dass man voller Vertrauen und Zuversicht in die Ehe geht. Vertraust du mir denn?«

Georgina nickte.

»Dann vertrau mir, wenn ich sage, dass du das kannst. Wenn ich dir verspreche, dass dir nichts geschehen wird.«

Er drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe, ließ sie los und trat einen Schritt zurück.

Georginas Pulsschlag hämmerte ihr in den Ohren, und just in dem Augenblick, als sich ihr Magen umkehrte, schloss sie die Augen und sprang.

Schwer sackte sie in das Nass hinab, das sie packte und weiter hinabzog; blind war sie und nahezu taub, nur das Gurgeln des Wassers füllte ihre Ohren. Sie zwang sich, die Augen zu öffnen, im flirrenden grünlichen Licht nach dem Boot Ausschau zu halten, paddelte im Kreis herum, bis sie den langgezogenen Rumpf entdeckte und darauf zuschwamm. Raharjo hatte Recht gehabt, hier war das Wasser nicht sehr tief, und doch war der sandige Grund weit genug entfernt, um mühelos unter dem Boot durchzutauchen.

Mit kräftigen Zügen schwamm Georgina darauf zu, aber sobald das Boot über ihr war, wälzte sich eine beklemmende Last auf ihre Schultern, und die Brust wurde ihr eng. Verbissen zog sie sich weiter voran, bis das Wasser vor ihr aufwirbelte und sich trübte.

Ein Schatten glitt aus dem Nebel auf sie zu, schnell und in geschmeidigen Wellenbewegungen. Größer als ein Otter, mit schlankem, braunem Leib und schwarzen Augen. Eine Robbe, die ihr zulächelte. Ein Selkie mit dem Gesicht Raharjos.

Luft sprudelte aus Georginas Lunge, und Wasser strömte in ihren Mund. Sie schlug und trat um sich, fühlte sich um die Taille gepackt und mitgerissen, und zusammen mit Raharjo stieß sie an die Oberfläche.

Georgina hustete und spuckte Wasser, keuchte und sog gierig Luft ein.

»Tapfere Nilam«, murmelte Raharjo, der sie mit einem Arm an sich gedrückt und über Wasser hielt, während er ihr mit der anderen Hand das triefende Haar aus dem Gesicht strich und sie küsste.

»Weißt du«, murmelte er gegen ihre nasse Wange, »wenn Mann und Frau sich auf Anhieb unter dem Boot wiederfinden, heißt das, dass sie füreinander geschaffen sind. Dass nichts sie jemals mehr trennen kann.«

Georgina wrang sich das Haar aus und drehte es zu einem Zopf über der Schulter zusammen. Die Sonne brannte auf ihrer Haut und zauberte goldene Fünkchen auf das Wasser, und Georgina musste blinzeln.

»Was kann ich tun?«, fragte sie Raharjo, der aufrecht im Boot balancierte.

Er drehte sich halb um und legte den Finger an die Lippen, und Georgina blickte schuldbewusst. Grinsend bückte er sich und reichte ihr eine aufgewickelte Schnur, an deren Ende ein Federbüschel um einen dünnen Haken befestigt war.

»Zieh den Haken durchs Wasser«, erklärte er ihr flüsternd. »Wenn es an der Leine ruckt, hol sie schnell ein.«

Georgina ließ den Köder durchs Wasser tänzeln und musste doch immer wieder Raharjo anschauen. Eins schien er zu sein mit seinem Element, als könne er jede Welle in seinem Leib spüren. Das Flüstern der Fische verstehen. Unbeweglich wie eine Statue aus Bronze stand er da, jeder seiner angespannten Muskeln wie in das polierte Metall graviert; nur der Arm, dessen Hand die Harpune hielt, wirkte locker, und Wassertropfen rannen aus seinem Haar und funkelten auf der Haut.

Sie schlug die Augen nieder und wandte sich wieder ihrem Köder zu. Unvermittelt krängte das Boot und kippte hin und her wie ein ausschlagendes Pferd. Georgina klammerte sich Halt suchend am Rand fest und schrie leise auf; ein Schrei, der in Raharjos Triumphgebrüll und dem Zischen einer Wasserfontäne unterging.

»Was für ein Fang!«, rief er lachend und stemmte mit einer Hand den mächtigen Fisch hoch, der zappelnd auf der Speerspitze steckte und Meerwasser versprühte, bevor Raharjo ihn auf dem Boden ablegte. »Halt ihn fest, Nilam!«

Hastig zog Georgina die Angelschnur aus dem Wasser und krabbelte auf allen vieren durch das wippende Boot. Mit beiden Händen versuchte sie den glitschigen Fisch zu packen, der sich wand und aufbäumte, ihn dann einfach niederzudrücken, erstaunt über die unbändige Kraft, die durch ihn hindurchzuckte.

Raharjo griff zu einem Dolch und versenkte die Spitze im weichen Fleisch; der Fisch schlug noch ein paar Mal mit der Flosse und lag dann still. Der metallische Geruch von Blut stieg Georgina in die Nase und der intensiv frische von Salzwasser, als Raharjo die Klinge hinter den Kiemen erneut ansetzte und dann geschickt die Widerhaken der Harpune aus dem Fischleib löste.

»Der verheißt uns Glück«, murmelte Raharjo über dem Fisch. »Reichtum und Gesundheit und viele Söhne und Töchter.«

»Wir sind jetzt wahrhaftig Mann und Frau?«

Eine Spur von Zweifel blieb, ob es nicht mehr brauchte als diesen Fisch unter ihrer beider Hände, um den Übergang zwischen jungem Mädchen und verheirateter Frau zu markieren.

Raharjo hob den Kopf und sah sie an, zärtlich und einen feierlichen Ernst in seinen schwarzen Augen.

»Ja, Nilam. Das sind wir. Für immer.«

»Für immer«, kam ihr Echo, halb erstaunt, halb ein Versprechen aus tiefstem Herzen.

Raharjo beugte sich zu ihr herüber und küsste sie, seine Hand nass und warm auf ihrer Wange.

Es machte ihr nichts aus, dass seine Hände blutig waren, genau wie ihre, und verschmiert von der schlüpfrigen Nässe der Fischhaut.

Gesegnet fühlte sie sich, in einem archaischen Ritus, so alt wie die Menschheit selbst. Wie das Blut, das ihr Leib jeden Monat vergoss, wie Raharjos Samen ein Teil des ewigen Mysteriums von Leben und Tod. Ein Teil dieser Welt, in der sie beide zu Hause waren.

Wenn auch jeder in einer anderen Sphäre, die hier, auf diesem Boot, endgültig ineinandergeflossen waren.


Murmelnd umspülten die Wellen den Rumpf des Schiffs, in dieser öligen Schwere, die das Meer nur dann bekam, wenn es von derselben tintigen Schwärze war wie der Himmel in der Nacht.

Im Schein der Lampe saß Georgina auf den Flechtmatten, die Raharjo an Deck ausgebreitet hatte, und ließ sich den letzten Bissen butterzarten Fischs auf der Zunge zergehen.

Ihre Finger zeichneten das erhabene Wellenmuster am Rand der glasierten Tonschale nach, und einmal mehr wanderten ihre Augen über die blassen Lichter, die sich am Ufer entlangzogen und sich dort verdichteten, wo sich der Singapore River ins Meer ergoss.

Myriaden von Lichtflecken tanzten vor der Küste auf dem Wasser: die Lichter der Schiffe und Boote, die über Nacht hier vor Anker lagen. Ein Teppich schwimmender Kerzenflammen, wie eigens für Georgina angezündet unter dem silberbestickten Himmelstuch. In der Luft aus fließender Seide verlor sich der Horizont, ließ Himmel und Meer ineinander übergehen, das Schiff ein Inselchen in der schwarzglänzenden, lichterübersäten Weite dieses Himmelsmeeres.

»Es ist wunderschön«, hauchte sie, und Raharjo gab einen zustimmenden Laut von sich.

»Hat es dir geschmeckt?«, fragte er und streckte die Hand nach der Schale aus.

»Sehr!«

Die Fische, Krabben, Langusten und Garnelen schmeckten nach Meeresbrise und nach dem Salzwasser, in denen Raharjo sie fing; Reis, Früchte und Gemüse, von denen er immer einen Vorrat auf dem Schiff hatte, waren anders gewürzt, als Georgina es von Anishs indischer Küche gewohnt war, aber so scharf, wie sie es mochte, und sie liebte es, ihm dabei zuzusehen, wie er an den offenen Flammen der Kochstelle an Deck mit eisernen Töpfen und den graubraunen Tonschalen hantierte.

Sie wischte sich die Hände an ihrem Sarong ab.

»Ich bin die wohl schlechteste aller Ehefrauen«, murmelte sie schuldbewusst, die Augen auf ihre im Schoß verschränkten Finger geheftet. »Ich kann nicht einmal kochen.«

Raharjo stellte die Tonschalen beiseite und lachte. »Das war nicht der Grund, warum ich dich geheiratet habe!«

Er rutschte näher, legte die Arme um sie und zog sie zu sich heran, zwischen seine Knie.

»Du wirst nie für mich kochen müssen«, flüsterte er, strich ihr Haar zurück und küsste sie auf die Wange. »Du wirst genug Dienstboten haben, die dir jeden Wunsch von den Augen ablesen. Was immer du dir wünschst – du sollst es bekommen.«

Lächelnd kuschelte sich Georgina an ihn, in die Wärme seiner bloßen Brust hinein, die durch die Kebaya auf ihre Haut drang.

»Was sagt deine Familie dazu, dass du geheiratet hast?«

Raharjo schwieg, und sie wandte sich um.

»Sie wissen es noch nicht?«, riet sie.

Sein Blick ging an ihr vorbei, auf die Lichter der Schiffe hinaus, und ihre Kehle wurde eng.

»Ist es, weil … weil ich keine von euch bin?«

»Nein.« Er drückte sie fester an sich. »Nein, das ist es nicht. Es ist …«, er atmete tief durch. »Wir stehen uns nicht sehr nahe. Nicht mehr. Vieles hat sich für uns Orang Laut verändert. Vieles ist aber auch gleich geblieben, wie zu Zeiten unserer Ahnen. Meine Familie versteht nicht, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe und nicht die des Stammesoberhauptes befolge. Dass ich meinen eigenen Weg gehe, macht mich zu einem Orang Lain. Einem Sonderling.«

Nachdenklich streichelte er ihren Arm.

»Mir kam es immer vor, als hätte mir mein Vater nie verziehen, dass ich nicht bis zum Letzten gekämpft habe und dabei getötet wurde wie mein Bruder. Ich weiß bis heute selbst nicht, ob ich einfach ins Wasser gefallen oder doch gesprungen bin, um meine Haut zu retten.«

Während er sprach, hatte Georgina sich ihm zugewandt; zart fuhr sie jetzt mit den Fingerspitzen über die Narbe auf seinem Oberarm. »Damals?«

Er nickte. »Piratenjäger. Als wir ein reich beladenes Schiff der Bugis überfielen. Gegen Bugis und Orang Putih zusammen konnten wir nichts ausrichten.«

Weil Georgina nicht wusste, was sie darauf sagen, wie sie ihn trösten konnte, schmiegte sie sich an ihn und drückte ihr Gesicht in seine Halsbeuge.

»Sobald ich zurück bin«, flüsterte er und strich durch ihr Haar, »suche ich deinen Vater auf. Und sollte er darauf bestehen, heirate ich dich noch einmal. Gleich nach welchem Ritual.«

Georgina wurde flau in der Magengegend, als sie sich vorstellte, Hand in Hand mit Raharjo vor ihrem Vater zu stehen. Ihm zu beichten, dass sie mit einem Orang Laut heimlich und nach heidnischem Brauch den Bund fürs Leben geschlossen hatte.

Gordon Findlay, der indisches Essen schätzte, gute Kontakte zu den Towkays pflegte und sein Personal wie entfernte Verwandte behandelte, aber auch nach all den Jahren noch Schottland als seine Heimat betrachtete. Ein Königreich des Geistes, das er nach Indien mitgenommen hatte und in dem er auch in Singapur weiterhin lebte, stolz darauf, Tugenden wie Nüchternheit und Gottesfurcht, Fleiß, Aufrichtigkeit und Sparsamkeit im Blut zu haben. Ewig würde sich es nicht verheimlichen lassen, das wusste sie, und doch spielte sie auf Zeit, bis es so weit sein würde, aus den beiden Leben, zwischen denen sie hin- und herflirrte, eines zu machen.

Sobald Raharjo zurück war.

Die Hand gegen seine Brust gedrückt, stemmte sie sich von ihm weg. »Du gehst schon wieder fort?«

»Erst in ein paar Tagen. Ich warte nur noch auf den richtigen Wind.«

Er hielt das Gesicht in die Meeresbrise, und seine Brust vibrierte, als ob er mit schnellen, flachen Atemzügen Witterung aufnahm.

»Ich muss einfach. Mit dem, was ich von der nächsten Reise mitbringe, kann ich anfangen, unser Haus zu bauen.« Er sah sie an und vergrub seine Finger in ihrem Haar. »Einen Palast werde ich für dich bauen, Nilam.«

»Ich will mitkommen!« Sie wollte tapfer sein, fühlte sich aber den Tränen nahe.

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht so. Nicht heimlich. Und du verstehst sicher, dass ich erst vor deinen Vater treten will, wenn ich etwas vorweisen kann.«

Ja, das verstand sie, und trotzdem war ihr schwer zumute. Und erst jetzt begriff sie, was es wirklich bedeutete, als Kind des Landes mit einem Meeresmenschen das Leben zu teilen.

»Wirst du wieder so lange fortbleiben?«

Raharjo lächelte. »Nein. Noch bevor der Wind von Westen kommt, bin ich wieder bei dir.«

Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und presste seinen Mund auf ihren.

»Darauf gebe ich dir mein Wort.«

Er beugte sich zur Lampe herüber und löschte das Licht.

»Meine Frau«, raunte er und schälte sie aus den Baumwollstoffen. Kleidete sie in Wind und Tropennacht und Sternenglanz und hüllte sie in die Hitze seiner Haut.

»Meine Frau.«

Finster erstreckte sich der Garten vor dem schwach beleuchteten Haus.

Ein sanftes Rauschen brandete in Wellen heran, ununterscheidbar, ob es der Wind war, der durch die Blätter der Bäume und Sträucher strich oder das Meer jenseits der Beach Road. Besänftigt klangen auch die Zikaden, nur mehr zirpend über dem dröhnenden Bass der Ochsenfrösche, und wie herabgefallene Sterne trieben Glühwürmchen durch die Dunkelheit.

Paul Bigelow stand auf der Veranda und blies den Rauch seiner Zigarre in die Nacht.

Gordon Findlays Brauen hatten sich missbilligend gehoben, als Paul Bigelow sich noch vor dem Dessert aus der geselligen Runde von Geschäftsmännern verabschiedet hatte; sein Vorwand, an diesem Abend noch eine weitere Verabredung zu haben, war nicht einmal gänzlich gelogen gewesen. Ein Paar veilchenblaue Augen hatten ihn hierher zurückgezogen.

Sehnsucht hatte in diesen Augen gestanden, nachdem Mister Findlay beim Frühstück Boy Two darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass die beiden Männer nach Feierabend ihr Dinner auswärts einnahmen, es gewiss sehr spät würde, bis sie nach Hause kamen. Ein Blick wie ein Lockruf, dem Paul Bigelow einfach Folge leisten musste, in der Hoffnung, ein paar Stunden mit Georgina Findlay allein zu sein.

Doch von Miss Findlay war keine Spur zu sehen, weder im Salon noch auf der Veranda, und Paul Bigelow spülte den schalen Geschmack von Enttäuschung mit einem Schluck Whiskey hinunter.

Schwärzer als der Rest des Gartens zeichnete sich die Silhouette des verwilderten Wäldchens gegen den sternenübersäten Nachthimmel ab. Als zögen die unbeschnittenen Bäume, die ungepflegten Sträucher die Finsternis an, sammelten und verdichteten sie zwischen ihren Zweigen.

Er hatte Wort gehalten und Miss Findlays geheimen Platz ungestört gelassen, so schwer es ihm auch fiel. Dank Ah Tong wusste er immerhin, dass dieser Winkel des Gartens schon verwildert gewesen war, als dieser seinerzeit die Arbeit aufgenommen hatte. Erst auf Wunsch der Mem, dann zu ihrem Gedenken; etwas, das seiner chinesischen Gärtnerseele sichtlich wehtat.

Eines von vielen Geheimnissen, die L’Espoir zu bergen schien. Wie Knochen, die unter dem Fundament des Hauses vergraben lagen, von denen jeder hier etwas ahnte, aber nie darüber sprach. Noch nicht einmal Cempaka, deren Augen sich verdunkelten, wenn er mehr über die Findlays wissen wollte, während sie mit spröder Stimme darauf auswich, ihm etwas zu trinken anzubieten oder sich danach erkundigte, ob er noch Hemden für den dhobiwallah hatte.

L’Espoir. Hoffnung.

So hatte Gordon Findlay das Haus getauft. In der Hoffnung, seine immer schon zarte Frau, die in der brütenden Hitze Calcuttas beinahe gestorben wäre, würde sich im Klima Singapurs wieder erholen. Mit der Hoffnung, dass in diesem Haus seine Ehe vielleicht doch noch mit einem Kind gesegnet würde.

Wie bewundernd, wie ehrerbietig Ah Tong von seiner verstorbenen Mem erzählte, mit der ihn die Liebe zu allem, was grünte und blühte, verbunden hatte, nahm Paul Bigelow noch mehr für den Gärtner ein. Noch mehr für die vage Vorstellung, die er sich von der früheren Hausherrin gemacht hatte.

Und für ihr einziges Kind.

Ein kleines Mädchen hatte er erwartet, als Gordon Findlay ihn zum Landungsplatz schickte, seine Tochter abzuholen, allenfalls noch einen linkischen Backfisch. Nicht ein junges Mädchen an der Schwelle zur Frau, biegsam wie eine Weide und in ihren verwirrend kräftigen Farben von großer Anziehungskraft. Mit betörend schönen Augen und einer Stimme wie Samt. Schwer zu fassen war sie wie Wasser, das einem durch die Hände rann, und doch sprühte manchmal ein Feuer aus diesen ihren Augen, an dem man sich die Finger verbrennen konnte.

Die Schicklichkeit hätte längst verlangt, dass er seine Siebensachen packte und auszog, das wusste er auch ohne die Bemerkung, die Gordon Findlay vor geraumer Zeit hatte fallen lassen. Ohne die tadelnden Blicke Cempakas, wenn sie zu einem ihrer morgendlichen Ausritte aufbrachen.

Indes, er konnte nicht.

Die Zigarre zwischen den Fingern, strich er über die Balustrade. L’Espoir war zu seinem Zuhause geworden, und obwohl die feuchten Mauern des Hauses von Kummer und Leid getränkt waren, Geister der Vergangenheit in den Räumen umgingen, war auch immer noch die Liebe zu spüren, mit der es damals erbaut worden war. Eine schwache Spur der Hoffnung, die diesem Haus seinen Namen gegeben hatte, und die ihm wie ein Versprechen war.

Ein Rascheln unten im Garten riss ihn aus seinen Gedanken. Ein heller Fleck löste sich aus der Finsternis und bewegte sich durch das knisternde Gras aufs Haus zu. Schärfte sich zu einer schlanken Frauengestalt mit dunklem Haar, und Paul Bigelows Herz zuckte auf.

Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück, in die Schatten zwischen den Säulen hinein. Und erst, nachdem Georgina Findlay leichtfüßig die Treppen hinaufgesprungen und im Haus verschwunden war, wusste er, warum.

Nur ein kurzer Augenblick war es gewesen, in dem das schummrige Licht auf ihr Gesicht gefallen war, aus dem das Glück strahlte, das selige Nachglühen von Sinnlichkeit noch in den Augen.

Ein Augenblick, in dem er begriff, was für ein Narr er gewesen war.

Heiß schoss eine Stichflamme in ihm empor, und er leerte sein Glas in einem Zug.

Zeit der wilden Orchideen / Das Herz der Feuerinsel: Zwei Romane in einem Band

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