Читать книгу Zeit der wilden Orchideen / Das Herz der Feuerinsel: Zwei Romane in einem Band - Nicole-C. Vosseler - Страница 28
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ОглавлениеDie Lider geschlossen, atmete Georgina den Hauch von salzgetränktem und sonnendurchglühtem Holz ein. Den Duft der Laken, stellenweise steif und kühl, dann wieder durchfeuchtet und anschmiegsam auf ihrer nackten Haut, nach Meerwasser und Wind. Den schwülen Geruch ihres Leibes, den zum Teil ein anderer Leib darauf hinterlassen hatte.
Die Hand, die sacht ihren Rücken auf- und abstrich, die Biegungen ihrer Wirbelsäule nachzeichnete und sich um ihre Pobacke legte, machte sie schnurren, die weichen Partien der Fingerkuppen, der Handflächen ebenso wie die härteren, rauen der Schwielen. Dieselbe Hand, die zusammen mit ihrem Gegenstück vorhin erst so kräftig zugepackt, so fest über ihre Haut gerieben hatte, dass sich die Koje um sie drehte vor Lust und Begierde.
Träge plätscherten die Wellen außen an die Wand, versetzten die Bettstatt unter ihr in ein gleichmäßiges, sanftes Schaukeln. An Deck konnte sie Stimmen hören, ein nicht zu entschlüsselndes Murmeln und Nuscheln, das immer wieder zu Gelächter aufschäumte.
Dian, wohl im selben Alter wie Raharjo und seine rechte Hand, das von Sonne und Wind gegerbte Gesicht dunkel wie starker Tee. Seine kohlschwarzen Augen blitzten auf, wenn er mit Georgina scherzte oder über das Wetter sprach und ihr von Deck aus Delphine zeigte, die sich in einiger Entfernung in den Wellen tummelten, einmal gar einen majestätisch dahingleitenden Wal.
Mit Tirta und Yuda sprach sie kaum je etwas. Die beiden jungen Männer, die sich ihr längeres Haar mit einem verknoteten Band aus den bronzebraunen Gesichtern hielten, beschränkten sich darauf, ihr freundlich zuzugrinsen, manchmal verschwörerisch zuzuzwinkern.
Kurz schoss ein Anflug von Verlegenheit in ihr herauf, was die Männer oben wohl mitangehört hatten, ließ ihre Wangen glühen und flaute dann schnell wieder ab; erstaunlich, woran man sich gewöhnte, mit der Zeit. Erschreckend beinahe.
»Wie denken wohl deine Männer darüber, dass du deine weiße Geliebte mit an Bord bringst?«, flüsterte sie lächelnd.
Raharjos heißer Atem wanderte über ihren Nacken.
»Sie werden fürs Arbeiten bezahlt. Nicht fürs Denken.«
Ihr Lächeln vertiefte sich. »Traust du dich etwa nicht mehr, mit mir allein auf einem Schiff zu sein?«
Seine Zähne gruben sich in die Stelle zwischen Nacken und Schulter, und sie erschauerte. Wie besänftigend fuhr seine Zunge dieselbe Linie nach.
»Wie könnte ich auch einer Ehebrecherin trauen? Einer Betrügerin?«
Georgina versteifte sich und schlug die Augen auf.
»Ich kann dich beruhigen«, murmelte er gegen ihre Haut. »Sie halten dich nicht für eine weiße Nyonya. Für sie bist du wenigstens zur Hälfte von malaiischem Blut. Wie für mich damals.«
Er presste seinen glühenden Leib gegen ihren Rücken, ließ sie spüren, dass er sie noch einmal wollte.
»Und jeder von ihnen nimmt es mit der Treue zu seiner Frau nicht so ernst, wenn wir lange auf See sind.«
Georgina stieß ihn beiseite und fuhr herum.
»Das hast du geglaubt? Früher? Dass ich eine halbe Malaiin bin?«
Unter zusammengezogenen Brauen musterte er sie.
»Was hätte ich denn sonst glauben sollen?«
Er fuhr sich durchs Haar, eine Geste, die ebenso gereizt wirkte wie sein Tonfall.
Georgina starrte vor sich hin, bevor sie den Blick wieder zu ihm anhob.
»Hätte … hätte das etwas zwischen uns geändert? Damals?«
Er brauchte ihr nicht zu antworten, sie sah es ihm an, und ihr Magen ballte sich kalt zusammen.
»Ich hatte keine Ahnung«, hauchte sie.
»Ist heute auch nicht mehr von Bedeutung.«
Einen missmutigen Klang in der Stimme setzte er sich auf, suchte nach seinem Hemd, seinen Hosen.
Beklommen sah Georgina ihm zu.
So war es immer zwischen ihnen. Ein gegenseitiges Belauern und Umkreisen, abwartend und misstrauisch, fast feindselig. Das sich jäh in einem leidenschaftlichen Kampf Bahn brach, in dem sie einander mit Zähnen und Klauen zusetzen. Erst die Ermattung danach ließ so etwas wie Nähe, wie Zärtlichkeit zu. Bis einer von ihnen den ersten Seitenhieb austeilte und der andere es ihm gleichermaßen vergalt, sie wieder und wieder den brüchigen Frieden zwischen ihnen gefährdeten, der jederzeit in einen Krieg umschlagen konnte. Im Haus in der Serangoon Road und hier, an Bord dieses Schiffs. In diesen beiden Muschelschalen, geräumig und licht, und doch von nostalgischer Intimität.
An all diesen gestohlenen Tagen seit jenem Wiedersehen, unterbrochen von einem halben Jahr, in dem Raharjo auf See war und Georgina gefühlstaub und leer zurückließ.
Die Kälte in ihrem Bauch schmolz unter einer jäh aufschießenden Hitze.
»Du hast dein Versprechen nicht gehalten.«
Er hob die Brauen.
»Du hast weder die gestohlene Fracht zurückgegeben noch dafür gesorgt, dass die taukehs, mit denen die Firma früher Geschäfte gemacht hat, ihr wieder gewogen sind.«
Das Stück Land, auf dem er Pfeffer und Gambir anzubauen versucht hatte, hatte Paul verkauft. Mit etwas Gewinn sogar, aber nicht zu dem Preis, den es erzielt hätte, hätte er noch ein oder zwei Jahre gewartet, dafür lag es zu weit außerhalb der Stadt. Findlay, Boisselot & Bigelow hielt sich tapfer, kränkelte aber; eine Last, an der Paul schwer trug.
Raharjo lachte auf, ein trockenes, hässliches Lachen, während er im Liegen in seine Hosen schlüpfte und sich wieder aufsetzte.
»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass es nicht meine Schuld ist, wenn dein Mann nichts von Geschäften versteht.«
»Du hast es versprochen.«
Seine Augen bohrten sich in ihre. »So ist das mit Versprechen. Manche lassen sich eben nicht einhalten.« Um seinen Mund zuckte es, und er streifte sein Hemd über. »Wenn du willst, kann ich dir nachher ein paar Dollars in die Hand drücken. Für deine Gesellschaft heute.«
Georgina fuhr auf, holte zum Schlag aus, doch er war schneller, warf sich auf sie. Ihre Handgelenke umklammert, drückte er sie nieder, lag so schwer auf ihr, dass sie kaum noch Luft bekam.
Stumm und mit zusammengebissenen Zähnen starrten sie einander in die Augen, in einem erbitterten Messen ihrer Kräfte, ihres Willens, indem immer wieder ein Muskel aufzuckte und keiner nachgeben wollte. Bis sich Raharjos Griff lockerte und sein Gesicht sich ihrem näherte, wie zu einem Kuss.
Georgina drehte den Kopf zur Seite.
»Komm mit mir, Nilam«, raunte er in ihr Ohr. »Irgendwohin, wo uns keiner kennt. Nusantara ist groß. Wenn du willst, stechen wir noch heute in See und kehren nie wieder zurück.«
Georgina schloss die Augen. Seine Worte erfüllten die Sehnsucht, die sie in sich trug, seitdem sie ein kleines Mädchen gewesen war. Seitdem sie auf dem Felsen im Garten von L’Espoir saß, auf das Meer schaute und auf die Rückkehr ihres Selkies wartete. Der Nachhall seiner Worte walkte sie weich, ein Ja tastete sich schon auf ihrer Zunge vor.
»Ich kann nicht«, flüsterte sie schließlich und öffnete die Augen. »Ich habe doch meine beiden Jungen.«
»Dann nimm sie mit! Es wird ihnen gefallen auf dem Schiff.«
Ein schmerzliches Lächeln glitt über ihr Gesicht.
Dein Sohn könnte sich nichts Schöneres vorstellen, ja. Er liebt das Meer so sehr wie du. Aber nicht David. Nicht Pauls Sohn, der genauso erdverhaftet ist wie sein Vater. Der lieber auf Bäume klettert, als schwimmen zu gehen und mit ganzem Herzen an seinem Pony hängt.
»Ich kann nicht«, wiederholte sie, halb erstickt von Traurigkeit.
Raharjo atmete aus und ließ sie los, stand in langsamen Bewegungen auf. Müde wirkte er, so zermürbt, wie Georgina sich fühlte. Vielleicht waren sie beide nicht mehr jung genug für diese Art der Leidenschaft, wo sich die Meere von Lust und Hass trafen und sich in reißenden, tückischen Strudeln verwirbelten.
Sie setzte sich auf, zog die Knie an und legte die Arme überkreuzt auf die Schultern.
»Und du? Könntest du deine Kinder wirklich einfach so zurücklassen? Und deine Frau?«
Raharjo schwieg, das Gesicht halb abgewandt.
»Paul ist kein schlechter Geschäftsmann«, sagte sie leise. »Er ist meinen beiden Söhnen ein guter Vater. Und mir ein guter Ehemann.«
Raharjos Augen richteten sich auf sie, offen und glänzend.
»Warum bist du dann hier?«, flüsterte er rau.
Georginas Blick wanderte ins Leere. Ja. Warum war sie dann hier? Sie wusste es nicht mehr.
Sie schüttelte den Kopf und rutschte über die Laken, griff zu ihrem Sarong und streifte ihn sich über.
»Bring mich zurück an Land.«
Sie spürte seine Blicke auf sich, während sie ihr Hemdchen und die Kebaya anzog.
»Ich meine es ernst, Nilam«, raunte er. »Komm mit mir. Wohin du willst. Du und deine Söhne.«
Sie setzte zu einer Erwiderung an.
»Nein. Nicht heute. In sechs Monaten. Wenn ich wieder zurück bin. Dann erst will ich eine Antwort von dir.«
Georgina hatte dabei innegehalten, ihre Kebaya zurechtzuzupfen. Ihre Hände zitterten.
»Sag …«, begann er zögerlich und fuhr dann sicher, geradezu schneidend fort: »Sag deinem Mann, er soll Häuser in der Upper Circular Road kaufen. Dort wird sich in nächster Zeit etwas tun.«
Sie stand auf und strich sich über den Sarong.
»Bring mich zurück an Land«, erwiderte sie nur.
Nur zögerlich rollte das Donnergrollen aus. Immer wieder bäumte sich das Gewitter auf und zerschnitt die dampfende Luft mit einem Krachen, jedes Mal aus einer anderen Himmelsrichtung, doch hörbar aus immer weiterer Entfernung. Nur der Regen prasselte unverändert stark hinab, plätscherte über das Dach und die Blätter der Bäume, gurgelte und strudelte in der roten Erde des Gartens in der Orchard Road.
»Blöder Regen«, murrte David, zog seine Stupsnase kraus und versetzte einer Zigarrenkiste einen Stoß, sodass sie über den Boden schlitterte.
»He«, schalt Paul ihn liebevoll und schüttelte ihn zärtlich im Genick. »Ich würde jetzt auch lieber mit euch im Garten Ball spielen. Aber dafür habe ich euch ja etwas mitgebracht.«
Mit den beiden Jungen saß er auf dem Boden des Salons, auf dem in den vergangenen Stunden aus Zigarrenkisten, Blechdosen und Bauklötzen die Bebauung entlang der Strecke entstanden war, auf der die neue Eisenbahn fahren sollte. In Karmesinrot, Dschungelgrün, Schwarz und Marineblau glänzten die beiden Lokomotiven, ihre Tender und die zahlreichen Waggons aus Blech und warteten darauf, durch die Tunnels aus zurechtgerückten Stühlen hindurchzufahren. Mit den Kartons, in denen die Züge verpackt gewesen waren, als Bahnhöfe und Zinnsoldaten als Zuschauer, wartende Passagiere, Straßenhändler und Bauern auf dem Feld.
Sündhaft teuer war die Eisenbahn gewesen, aber Paul hatte den guten Geschäftsabschluss heute einfach feiern wollen. Wiedergutmachung wollte er leisten, dafür, dass er die beiden in der letzten Zeit so wenig gesehen hatte, und er hatte sich eigens dafür den Nachmittag frei genommen.
»Da ist noch Platz«, sagte Duncan und wies auf eine leere Stelle an den gedachten Gleisen.
Davids Miene hellte sich auf. »Eine Festung! Wir brauchen noch eine Festung!«, lispelte er durch seine frische zweite Zahnlücke hindurch.
»Au ja!«, stimmte Duncan begeistert zu.
Wie Sprungfedern schnellten beide Jungen in die Höhe, sammelten Zigarrenkisten ein, trugen die Bauklötze, denen sie eigentlich schon entwachsen waren, zusammen und machten sich daran, eine Festung ganz nach ihrem Geschmack zu errichten. In ihre Stimmen, die in fachmännischer Ernsthaftigkeit debattierten und verhandelten, was eine solche Festung an welcher Stelle benötigte und wie die Details aussehen sollten, drangen Stimmen von unten herauf.
Paul stand auf und ging zur Tür.
Die Kebaya an den Schultern durchnässt, das nachlässig zusammengenommene Haar feucht, stieg Georgina die Treppen hinauf, barfuß, ein Paar leichter Schuhe in der Hand. Erschöpft sah sie aus, das Gesicht verschleiert, wie in Gedanken.
»Hallo.«
Sie zuckte zusammen und zwang sich ein Lächeln auf.
»Paul.« Ihr Lächeln geriet ins Rutschen. »Du bist schon zu Hause?«
»Wie du siehst.« Die Schärfe in seiner Stimme milderte sich zu Unsicherheit, und er vergrub die Hände in den Hosentaschen. »Kartika hat mir gesagt, du seist in der Stadt.«
Verlegen hatte sie dabei gewirkt, seine Blicke um Haaresbreite gemieden. Als fürchte sie, von ihm zur Verantwortung gezogen zu werden, weil ihre Mem ohne sie unterwegs war und sie auch nicht sagen konnte, wann diese zurück sein würde.
»Ja.« Georgina schlug die Augen nieder. »Ich hatte etwas zu erledigen.«
Seine Augen wanderten unter hochgezogenen Brauen über ihre Kebaya und den Sarong. »So?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hatte es eilig und dachte, ich würde schnell zurück sein.«
Unruhe überfiel Paul, ließ ihn seinen Schwerpunkt mehrmals von einem Bein auf das andere verlagern; schließlich streckte er die Hand nach ihr aus.
»Komm her«, sagte er weich.
»Ich bin unterwegs beinahe eingegangen vor Hitze und durchgeschwitzt. Ich mach mich nur schnell frisch, ja?« Sie lächelte schwach und lief davon, in Richtung des Badezimmers.
Die Tür klappte hinter ihr zu.
»Komm spielen, Papa!«, rief David hinter ihm.
»Gleich.«
War es seine Schuld, dass Georgina ihm fremd geworden war? Früher so klar, wirkten ihre Augen oft dunstig wie das Meer an einem diesigen Morgen, mit ihren Gedanken Ozeane weit entfernt. Beim Frühstück und beim Dinner saß sie mit am Tisch, als gehöre sie nicht mehr zur Familie, driftete nach und nach weiter von ihnen fort wie Schwemmholz.
Eine schöne Fremde, die in seinem Bett schlief und seine Zärtlichkeiten routiniert erwiderte, wenn ihn doch wieder einmal das Begehren überkam. Mehr Trieb denn tief empfundenes Verlangen, eher mechanisch als lustvoll. Zu viele Gedanken kreisten in seinem Kopf, lenkten ihn ab, während der Leib unter seinen Händen zwar freundlich und entgegenkommend war, aber seelenlos und ohne Feuer.
Eine heiße Hand legte sich von hinten an sein Bein, und er senkte den Blick. Duncan lehnte sich an ihn, drückte seinen harten Kopf in Pauls Flanke und sah zu ihm herauf, wie tröstend. Pauls Hand, die sich auf das glatte Haar legen wollte, verharrte auf halbem Weg.
Er musterte die Augen des Jungen, silbern wie Mondlicht, und die ausgeprägten Brauenbögen darüber. Die kräftige Nase und den vollen Mund. Die Kinnlinie, die mit dem Zahnwechsel schärfer, kantiger gezeichnet war.
Dieser Junge, ohne den er Georgina wohl niemals bekommen hätte. Den er auf seinem Weg in die Welt begleitet und dem er ein Vater zu sein versprochen hatte, obwohl nicht sein eigen Fleisch und Blut. Er hatte von Anfang an gewusst, dass es nicht leicht werden würde.
Georginas Sohn und der eines anderen Mannes.
Eine dunkle Ahnung trieb in Paul herauf, verdichtete sich und drückte schmerzhaft gegen sein Brustbein, machte ihm für einen Augenblick das Atmen unmöglich.
Schließlich senkte sich seine Hand und strich über das fast schwarze Haar des Jungen.
Zu spät; trotzig bog Duncan den Kopf zurück und entwand sich ihm.
Er rannte zurück zu seinem Bruder, wo er stumm weiter an ihrer gemeinsamen Festung baute. Die Brauen verkniffen und einen unkindlich bitteren Zug um seinen Mund, die Augen mattgrau und hart wie Flusskiesel, und Paul war es schwer ums Herz.