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LINDA KÜSSTZU VIEL UNDDUSCHT ZUWENIG

VON DER UNMÖGLICHKEIT, AMTAXIFAHREN UND BEGRÜSSEN NICHTZU SCHEITERN

Linda lässt sich auf den Rücksitz des Taxis fallen und bekommt einen ersten Eindruck von der Stadt, in der sie die nächsten drei Monate verbringen will. Armut drängt sich von allen Seiten auf, und der Abwassergeruch aus den Kanälen tut sein Übriges, um Linda in eine melancholische Stimmung zu versetzen. Das ist graue Tristesse trotz greller Sonne und nicht das farbenfrohe Rio, das sich Linda vorgestellt hat. Sie beobachtet Männer in ausgetragenen Flipflops und zerschlissenen Hosen, die vor improvisierten Autowerkstätten hocken, Frauen in unelegant engen Oberteilen aus billigsten Stoffen und Kinder, die mit ihren Schulheften ranzenlos durch den Verkehr hüpfen.

Nach einer ihr endlos erscheinenden Stunde werden die Straßen aufgeräumter, aus schmalen Mehrfamilienhäusern werden geräumigere Einfamilienhäuser. Ein paar Straßen weiter hält das Taxi. Sie sind da. Linda holt tief Luft, steigt aus und vergisst fast zu zahlen. Hundert Reais will der Taxifahrer von ihr. Linda schaut noch einmal in den Wagen, ob da überhaupt ein Taxameter ist. Es gibt eins, nur ist es ausgeschaltet. Wie hat sie darauf nicht achten können, ärgert sie sich. Ob die hundert Reais angemessen sind? Sie weiß nicht einmal genau, wie viel das umgerechnet ist. Nach einem kleinen Anflug von Verzweiflung gibt sie dem Taxifahrer den gewünschten Betrag – vorsorgend wie Linda ist, hat sie schon in Deutschland Geld umgetauscht –, lässt sich ihr Gepäck reichen und drückt auf die Klingel des Hauses, von dem bis jetzt außer einer hohen Mauer noch nicht viel zu sehen ist.

DIE WÄHRUNG: BRASILIANISCHER REAL

Der Real (Plural: Reais) ist nach einem stabilen Jahrzehnt 2015 arg ins Wanken geraten.

1994 blickte Brasilien auf eine Jahrzehnte währende Geschichte der Inflation zurück, in der seit 1942 sechs neue Währungen lanciert wurden, um die Abwertung aufzuhalten – stets erfolglos. Der spätere Präsident Fernando Henrique Cardoso (unter Brasilianern mehr oder weniger liebevoll unter dem fast chemisch anmutenden Kürzel FHC bekannt) hatte als Finanzminister 1994 die Idee, eine neue Währung einzuführen, deren Kurs in einer Übergangszeit an den des stabilen Dollars gebunden ist. Nach einigen Stolpersteinen zu Beginn, vor allem der Währungskrise 1999, wurde die Referenz zum Dollar aufgegeben. Von 2003 bis 2014 hielt sich die Währung relativ stabil. Als 2015 in Brasilien eine schwere Wirtschaftskrise mit Rezession und Inflation ausbrach, fiel der Kurs im Vergleich zu Dollar und Euro beträchtlich – von vorher etwa einem Verhältnis 1 Euro = 2,50 Reais auf zwischenzeitlich 1 Euro = 4,80 Reais. Da politische und wirtschaftliche Turbulenzen anhalten, lohnt es sich, die Entwicklung des Kurses im Auge zu behalten und immer aktuell nachzuschlagen.

Die Untereinheit des Reals ist der Centavo (100 Centavos = 1 Real).

Als niemand öffnet, klingelt Linda noch einmal. Und noch einmal. Auch das noch, dabei hat sie doch extra vom Flughafen aus angerufen und Bescheid gesagt, dass sie kommt. Resigniert lässt sie sich auf ihren Koffer fallen. Eine Frau kommt vorbei und fragt etwas. Linda zieht die Schultern hoch – sie versteht nichts. Die Frau deutet auf das Tor. Linda nickt und klingelt erneut. Die Frau klatscht nun auf einmal in die Hände und ruft etwas. Zwei Minuten später wird Linda die Tür von einer kleinen Frau um die vierzig in Leggins, Flipflops und Trägertop geöffnet. In ihrem Portugiesischkurs hat die Lehrerin gesagt, in Brasilien begrüßten sich die Menschen mit zwei Küssen auf die Wangen. Also streckt Linda der Frau ihren Kopf entgegen, die steht etwas steif da und lässt die unsichere Begrüßung über sich ergehen. Von Weitem hört Linda ein Kichern. Da steht noch eine Frau am anderen Ende des Hofes, am Hauseingang. Sie sieht frischer aus und besser gekleidet und sie kommt Linda entgegen.

»Willkommen Linda, ich bin Patrícia«, stellt sie sich auf Englisch vor. Das ist die Frau ihres Chefs, da ist sich Linda nun sicher und fasst sie herzlich wie zu einer Umarmung an der Taille, um ihr dann auf jede Wange einen Kuss zu drücken. Diesmal trifft es die richtige Dame! Doch auch Patrícia wird dabei etwas steif und windet sich erleichtert aus Lindas Händen, als diese fertig ist. Zusammen gehen sie in das geräumige, freundliche Haus. Die Frau, die ihr die Tür aufgemacht hat, verschwindet in die andere Richtung des Hofes. Patrícia führt Linda in ein Zimmer.

»Hier hat früher unser Sohn gewohnt, bevor er ausgezogen ist. Du kannst also erst mal hier schlafen.«

»Danke, das ist sehr freundlich«, antwortet Linda.

»Und, wie lange bist du geflogen?«, will Patrícia wissen.

»Dreizehn Stunden.«

»Nach so einer Reise willst du bestimmt erst mal duschen.«

»Das geht schon, ich kann später duschen«, meint Linda, die keine Umstände machen will.

Patrícia holt trotzdem ein Handtuch und zeigt Linda das Bad, das direkt an ihr Zimmer angegliedert ist. Wie praktisch. Linda räumt ihre Sachen in den Schrank, ruht sich kurz aus und folgt dann den Stimmen ins Wohnzimmer.

Dort sitzen inzwischen Patrícia und ein Mann, von dem Linda vermutet, es müsse Marcelo sein, auf dem prunkvollen Sofa und sehen fern. Er kommt ihr entgegen, und nun ist Linda vollkommen verunsichert, wie sie ihn begrüßen soll. Sie kann ihm doch nicht vor den Augen seiner Frau zwei Küsschen auf die Wange geben! Also streckt sie ihm pfeilschnell die Hand entgegen, er lächelt – und schlägt ein.

Was ist diesmal schiefgelaufen?

Am Flughafen hat Linda die karierten Taxis gesehen, die ihr etwas teuer vorkamen. Der Eindruck stimmte: Die sogenannten rádio taxis kosten mehr – aber wahrscheinlich nicht so viel, wie Linda am Ende gezahlt hat.

TAXIFAHREN

Der Vorteil der rádio taxis ist die zentralisierte und strenge Organisation: Bei ihnen kann man sich sicher sein, zu einem Preis nach Katalog zu fahren. Daher werden diese Taxis meist Touristen empfohlen. Ein normales Taxi zu nehmen, muss jedoch kein Fehler sein. Wer über die Preise Bescheid weiß, kann zu Fahrtbeginn einen günstigen Festpreis aushandeln, von dem Taxifahrer und Gast profitieren: Der Fahrer leistet keine Abgaben an sein Unternehmen, und der Fahrgast spart ebendiesen Betrag ein – das ist gängige Praxis und wird nicht als moralisch verwerflich empfunden. Ortsunkundige sollten dagegen darauf achten, dass das Taxameter eingeschaltet ist, sonst kann der Taxifahrer einen willkürlichen Preis verlangen.

Beim eingeschalteten Taxameter hören die Schwierigkeiten allerdings nicht auf. Auch hier kann man über den Tisch gezogen werden: Die meisten Taxameter lassen sich auf zwei verschiedene Tarife einstellen. Der normale Tarif heißt bandeira um (wörtlich: Fahne eins) und gilt an Werktagen tagsüber. Der teurere Tarif heißt bandeira dois (Fahne zwei) und gilt an Feiertagen und nachts. Wenn Sie sich in der Zeit des günstigen Tarifes bewegen, lohnt sich daher eine Vergewisserungsfrage: Fahren Sie bandeira um?

Durch diese Verkomplizierung ist es verständlich, dass Festpreise beliebt sind. Wenn Ihnen der Taxifahrer am Anfang einen Preis anbietet, der sich vernünftig anhört, akzeptieren Sie ihn ruhig – allerdings am besten erst, nachdem sie mehrere Angebote eingeholt haben, was durchaus üblich ist. An Plätzen, wo mehrere Taxis stehen, haben Sie dadurch eine gute Chance, einen angemessenen Festpreis angeboten zu bekommen. Erst dann sollten Sie in das Taxi Ihrer Wahl einsteigen.

Trinkgeld zu geben, ist bei Festpreisen nicht üblich; beim Taxameter können Sie den Preis aufrunden, müssen dies aber nicht tun.

Wenn Sie billiger davon kommen möchten, nutzen Sie Uber (siehe Infokasten in Kapitel 22).

Linda hat nicht darauf geachtet, ob ihr Fahrer sein Taxameter einschaltet, weil sie es für selbstverständlich hielt. Auf was muss man auch alles achten, wenn man übermüdet nach einem Interkontinentalflug ankommt!

Der Flughafen Galeão liegt weit entfernt von der touristischen Südzone der Stadt auf der Insel Ilha do Governador. Die durch starke militärische Präsenz sehr sichere Insel ist durch Brücken mit dem Festland verbunden und gehört zu den Arbeitervierteln im nördlichen Teil der Bucht Guanabara, an der Rio liegt. Bei einer Stunde Fahrtzeit sind die umgerechnet knapp 25 Euro (R$ 100) nicht so unverschämt viel, wie Linda es erschien.

Nun erwartete Linda bei der Ankunft am Haus ihrer Gastfamilie gleich das nächste Hindernis: die Klingel. Auch wenn (wenige) Häuser Klingeln haben, werden sie kaum genutzt. Manche Klingeln sind sicherlich defekt, doch selbst bei intakten Exemplaren sind die Bewohnerinnen es selten gewöhnt, auf diesem Wege von Besuch zu erfahren. In der Freude, dass Linda schließlich doch geöffnet wird, fällt ihr die kussreiche Begrüßung von Fremden, die ihrem deutschen Naturell sonst widerspricht, schon leichter. Ein ungutes Gefühl, etwas Seltsames gemacht zu haben, bekommt sie dann jedoch, als sie Patrícia kichern hört. Angestellte, wie die, die Linda das Tor geöffnet hat, werden eher nicht mit Wangenküsschen begrüßt. Und auch bei Patrícia hat Linda etwas übertrieben, indem sie sie am Rumpf angefasst hat, was doch auch Brasilianern etwas zu intim ist. Und die Wangenküsschen ... na ja, eigentlich sind es Luftküsse, bei denen sich die Köpfe gerade so seitlich berühren. Bis man den Dreh heraushat, kann es schon etwas dauern.

Aber warum Linda nun nicht gleich duschen wollte? Patrícia, die ein- bis dreimal täglich duscht, kann das nur als die gefürchtete mangelnde Hygiene der Europäerinnen interpretieren ...

Was können Sie besser machen?

Immer rein in die Dusche! Schweißflecken oder unfrischer Geruch sind absolute Tabus bei diesen Tropengraden. Und dass man nach einem dreizehnstündigen Flug nicht gerade die Frische in Person ist, davon gehen Brasilianerinnen aus. Das tägliche Bad haben sich die portugiesischen Kolonialherren von den Indigenen abgeschaut, und heutzutage sparen selbst die Ärmsten der Armen als Allerletztes am Deo.

Die Haushälterin, die Linda die Tür öffnete, mit Küsschen zu begrüßen, löste bei Patrícia Befremdung aus; ein Oi, tudo bem? Me chamo Linda (Hallo, wie geht’s? Ich heiße Linda) wäre angemessener gewesen. Und bei neuen Bekanntschaften reicht eine leichte Berührung an den Armen samt Küsschen in die Luft neben dem Kopf. Übrigens können es in einigen Regionen auch drei oder vier Küsse werden, da ist schon so manchem schwindelig geworden. Am sichersten ist es, Sie bleiben erst einmal passiv und warten ab, zu wie vielen Küssen ihr Gegenüber ansetzt. Marcelo hätte Linda wahrscheinlich auch mit diesen zwei Luftküssen begrüßt – da werden keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gemacht. Nur wenn zwei Männer sich begrüßen, werden die Küsschen weggelassen zugunsten eines deftigen Handschlags nahe am Körper samt Schulterklopfen mit der freien Hand.

Wer klare Verhältnisse mag, kann auch einfach nachfragen: Wie ist es hier üblich? Gerne erklären sich Brasilianer dann zur größten Küssernation Lateinamerikas, schimpfen auf die paulistas, die Bewohner São Paulos, die sich mit nur einem Kuss begrüßen, oder umgekehrt schimpfen die paulistas über die Hinterwäldler, die nichts anderes zu tun haben, als sich den ganzen Tag – viermal pro Begrüßung – zu küssen.

Und bei den Taxis? Kaum ein Tourist schafft es, so günstige Preise auszuhandeln wie Einheimische. Daran kann man nicht viel ändern – und im Vergleich zu anderen Ländern Lateinamerikas passieren in Brasilien ernsthafte Abzocken beim Taxifahren äußerst selten.

Wenn Sie schließlich vor einem Haus stehen, klatschen Sie kräftig in die Hände und rufen den Namen einer der Bewohner – anders als bei einer anonymen Klingel wissen die Bewohner dann gleich, dass dort jemand ist, den sie kennen.

Fettnäpfchenführer Brasilien

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