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Zwischenfrage: Unser Herz hat Ohren
ОглавлениеDer Tropfen hat die Engstelle überwunden. Mehr als neun von zehn Sitzplätzen sind nun mit Sauerstoff besetzt. Man sieht das dem Blut sogar an, es ist viel heller geworden. Die Reise kann weitergehen. Nächste Station: linke Herzhälfte. Aus den vielen haarfeinen Gefäßen, den Kapillaren, fließt das Blut auf dem Weg zum Herzen in immer größer werdenden Bahnen zusammen. Am Ende sind es nur noch vier Venen, die in den linken Vorhof des Herzens münden. Er ist das Sammelbecken, in dem das Blut kurz verweilt, wenn der Weg durch die Herzklappe versperrt ist. Das gibt uns Zeit, uns kurz umzuschauen.
Denkt man sich die Arterien weg, sieht das Herz tatsächlich recht herzförmig aus: Oben wölben sich die Vorhöfe, nach unten läuft es spitz zu. Und rot gefüllt ist es ohnehin. Etwa 300 Gramm wiegt das Herz eines erwachsenen Mannes; Frauenherzen sind ein bisschen kleiner und leichter als Männerherzen. Das Organ ist immer in etwa so groß wie die geballte Faust seines Besitzers.
Und was ist das? Einige Tropfen haben es sich am oberen Rand des Vorhofs in einer Ausstülpung gemütlich gemacht. Das ist eines der zwei Herzohren, sie schmücken die beiden Vorhöfe. Kardiologen rätseln noch, welchem Zweck die Ohren dienen – zum Hören sind sie ja offensichtlich nicht da. Sind sie bloß Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, die bei unseren frühen Vorfahren eine Aufgabe erledigten, heute aber nutzlos sind? Es gibt zumindest Hinweise, dass sie Sensoren für den Druck im Herzen sind: Falls er zu hoch ist, nehmen die Herzohren wie ein Auffangbecken zusätzliches Blut auf. Und funken dann die Nieren an, sie mögen doch bitte mehr Flüssigkeit ausscheiden, um den Druck im System zu senken. Überbracht wird diese Botschaft unter anderem mittels des Hormons ANP, das in den Herzohren produziert wird. Möglicherweise schalten sich unsere Herzohren auch ein, wenn der Druck zu gering ist. Das setzt einen Prozess in Gang, an dessen Ende wir Durst verspüren und etwas trinken, sodass wieder mehr Flüssigkeit in die Blutbahnen kommt. Bei Tieren konnte man bereits beobachten, dass Herzohren und Durst zusammenhängen.
Leider kann das linke Herzohr, das wir gerade betrachten, auch Schaden anrichten. Weil das Blut hier eine Pause einlegen und sich so längere Zeit vor der Weiterreise drücken kann, bilden sich in der Ausstülpung in manchen Fällen Gerinnsel. Dies ist vor allem ein Problem bei Menschen, die unter Vorhofflimmern leiden. Eine Gefahr wird der Blutklumpen, sobald er sich in Bewegung setzt: Dann ist das Risiko groß, dass er mit dem Blutstrom in die Adern treibt, die das Gehirn versorgen. Erreicht er ein enger werdendes Gefäß, bleibt er stecken – wie ein Lkw, der in einen zu niedrigen Tunnel fährt. Und genauso wie der Lkw legt er den gesamten Verkehr hinter sich lahm. Ein gewaltiger Unterschied besteht jedoch: Während ein Stau vor einem Tunnel meist nur dafür sorgt, dass Autofahrer Zeit verlieren, ist ein Stau in einem Hirnblutgefäß lebensgefährlich. Die besonders empfindlichen Nervenzellen werden nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und sterben ab. Der Betroffene erleidet einen Schlaganfall.
Diesen Risiken werden wir uns später ausführlicher widmen. Nun aber zurück zu unserem Tropfen, der sich nicht ins Herzohr verirrt, sondern darauf wartet, dass sich die linke Herzklappe, von Ärzten Mitralklappe genannt, öffnet. Das passiert gerade. Kaum ist unser Tropfen in die linke Herzkammer gesaust, verschließt sich der Weg wieder hinter ihm. Die Herzklappe verhindert, dass das Blut in die falsche Richtung zurückfließt, wenn sich die Kammer anspannt und somit entleert.
Lauscht jemand mit einem Stethoskop an der Brust, hört er jetzt den ersten Herzton, ein kurzes, dumpfes Geräusch. Früher dachte man, das Schließen der Klappe würde diesen Ton hervorrufen. Klingt ja ganz logisch: Eine Tür, die in Schloss fällt, macht auch ein Geräusch. Inzwischen geht man aber davon aus, dass die plötzliche Anspannung der Herzmuskulatur das But verwirbelt und damit das Geräusch erzeugt.
Die linke Herzkammer ist jetzt prall gefüllt – rund 140 Milliliter Blut haben sich in ihr angesammelt. Ihre Nachbarin, die rechte Herzkammer, bietet derselben Menge Platz. Das mag einem wenig vorkommen. Ein mittelgroßes Glas könnte diese Flüssigkeit fassen. Aber das Herz ist ja auch kein Speicher, sondern eine Pumpe! Um das Blut aus der linken Kammer in die große Hauptschlagader und damit hinein in den Körper zu drücken, zieht sich die Herzkammer zusammen, sie kontrahiert. Zurück kann die Flüssigkeit nicht – wegen der geschlossenen Mitralklappe. Also geht es voran in die Hauptschlagader. Etwa die Hälfte des Blutes, also 70 Milliliter, schießt aus der Kammer hinaus, bevor die Kammer sich wieder zu entspannen beginnt und eine weitere Herzklappe, hier die Aortenklappe, einen Rückstrom aus der Hauptschlagader in die Herzkammer verhindert.
Auf der anderen Herzseite passiert derweil das gleiche: Die rechte Herzkammer befördert rund 70 Milliliter in die Lungenschlagader. Dem widmen wir uns ausführlicher, wenn der Tropfen dort ankommt.
Ein zweiter Herzton begleitet das Schließen der Aortenklappe. Er ist etwas kürzer und heller als der erste. Bei gesunden Erwachsenen sind nur diese beiden Herztöne zu hören. Dann entspannt und weitet sich die linke Herzkammer wieder, wobei sie sich erneut mit aus dem Vorhof kommendem Blut füllt.
Das Zusammenziehen der linken Herzkammer, durch das das Blut in die Hauptschlagader – die Aorta – gepumpt wird, fühlen wir als Puls, egal ob am Hals oder am Handgelenk. Als Student habe ich meinen Professor mal ganz oberschlau gefragt, warum denn der Blutfluss im Körper so wunderbar gleichmäßig ist, obwohl das Blut vom Herzen doch stoßweise gepumpt wird. Er hat mir das dann sehr anschaulich mit dem Dudelsack-Phänomen erklärt. Viele kennen das Gefühl, irgendwann Schnappatmung zu bekommen, wenn sie einem muszierenden Schotten zusehen und zuhören – ein Blasinstrument, das ununterbrochen Töne von sich gibt, widerspricht unserer Intuition, unserer Erfahrung, kurz: den Möglichkeiten unserer Lunge. Das Geheimnis des Dudelsacks liegt darin, dass der Spieler den gleichmäßigen, ununterbrochenen Luftstrom nicht mit der Lunge erzeugt, sondern mit dem Arm. Die Atmung füllt nur – stoßweise, wie es sich gehört – das Reservoir für die Luft, nämlich den dudelnden Sack. In unserem Körper bildet dieses Reservoir die Aorta: Der Teil direkt hinter dem Herzen federt den Stoßeffekt des pumpenden Herzens ab, indem er sich bei jedem Schwall aus dem Herzen weitet und anschließend langsam wieder zusammenzieht. Das sorgt für einen gleichmäßigeren Blutfluss im Rest des Körpers. Trotzdem gibt es aber die Pulswelle, die wir ertasten können.