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CINEMATOGRAPHEN-THEATER

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BR regional 1959. 8 Folgen, 29.1.–11.6.1959

P Degeto für Bayerische Werbefunk GmbH und BR. Weitere Details unbekannt.

Die Serie stand nicht zur Verfügung.

Die erste Slapstickserie im Fernsehen beider deutscher Staaten war nicht allein den stummen Slapstickfilmen gewidmet. Den überwiegenden Teil der etwa halbstündigen Folgen des CINEMATOGRAPHEN-THEATERS füllten dramatische und abenteuerliche Stummfilme, von denen ein oder zwei Folgen wohl auch aus Serials stammten. Präsentiert wurde die Serie von einem unbekannt gebliebenen Kommentator. Das CINEMATOGRAPHEN-THEATER wurde im Auftrag der 1956 gegründeten Bayerischen Werbefunk GmbH erworben, einer 100 %-igen Tochter des BR, die heute als BRmedia GmbH firmiert. Den Einkauf besorgte die Degeto. Ursprünglich 1928 zur Förderung von Kulturfilmen als Deutsche Gesellschaft für Ton und Bild e. V. gegründet, wurde der Verein 1952 vom Land Nordrhein-Westfalen und dem HR wiederbelebt. Es entstand die GmbH, die seit November 1954 der HR-Werbetochter Werbung im Rundfunk GmbH gehört und seit demselben Jahr für die Landesrundfunkanstalten der ARD Serien und Spielfilme einkauft. Ihr Sitz befindet sich wie der des HR und seiner Werbetochter in Frankfurt a. M..

Werbefernsehen war in den 1950er-Jahren umstritten und wurde juristisch bekämpft. Die Landesrundfunkanstalten der ARD gründeten nach und nach Werbetöchter, um sich neben den Rund- und Fernsehgebühren über sie zu finanzieren. Dafür galt es Werbekunden zu animieren, ihre Werbefilme, die man heute Werbespots nennt, gegen Bezahlung zu platzieren. Zwischen den Werbeblöcken wurde ein Programm gesendet, das die Zuschauer anziehen und so attraktiv sein sollte, dass sie auch bei der Werbung möglichst nicht abschalteten. Die regional ausgestrahlten Programme des Werbefernsehens mit dokumentarischen, kulturellen und unterhaltenden Inhalten war daher für die Werbekunden von großer Bedeutung. Vorläufer der TV-Regionalprogramme der Landesrundfunkanstalten war das gemeinsame Regionalprogramm von HR, SR und SWF, das ab dem 9. Juli 1955 als ZWISCHEN RHEIN, MAIN UND NECKAR gesendet wurde. Am 3. November 1956 begann das regionale Werbefernsehen des BR.

Über die regionale Ausrichtung hinaus wurde das ARD-Programm auf zusätzlichen Ebenen weiterentwickelt. Dies geschah einmal durch die Zusammenarbeit westeuropäischer Fernsehanstalten, zum Beispiel mit Eurovisions-Sendungen. Zum anderen wurde 1961 das Programm ARD2 gegründet, wo ES DARF GELACHT WERDEN seinen Platz fand und den Slapstick förderte. Schließlich begann am 4. September 1961 das Vormittagsprogramm für die «Brüder und Schwestern in der Zone» (Hickethier, S. 133–139).

Vom CINEMATOGRAPHEN-THEATER entstanden acht knapp halbstündige Folgen, die vom 29. Januar bis 11. Juni 1959 sporadisch in der «Südschiene» von BR, HR, SDR und SWF um 19:30 Uhr auf dem Programmplatz ZWISCHEN HALB UND 8 ausgestrahlt wurden, also direkt vor der um 20:00 Uhr im ARD-Hauptprogramm beginnenden TAGESSCHAU. Einer der Sendetermine des CINEMATOGRAPHEN-THEATERS in der «Südschiene» wurde womöglich in den Programmzeitschriften nicht ausgedruckt. Nach der Programm-Planung der Bayerischen Werbefunk GmbH wurde die Serie in der Endphase unter dem Titel IM KINO NEBENAN ODER CINEMATOGRAPHEN-THEATER genannt, in TV-Programmzeitschriften blieb der Sendetitel aber unverändert. Die Serie wurde von anderen Werbetöchtern der Landesrundfunkanstalten übernommen. Die erste war die 1958 gegründete Westdeutsche Werbefernsehen GmbH, geläufig unter der Abkürzung WWF, deren Programm ab dem 1. April 1959 ausgestrahlt wurde. Heute firmiert das WWF als WDR mediagroup GmbH. Das WWF strahlte die acht Folgen des CINEMATOGRAPHEN-THEATERS vom 14. April bis 29. September 1959 um 19:30 Uhr in seinem INTERMEZZO aus. Je drei Episoden liefen außerdem in den Regionalprogrammen von SFB und SR (ab 23. April 1959 bzw. 4. Januar 1960), und eine nicht genau festzustellende Anzahl Folgen im Regionalprogramm des NDR bei SEHPFERDCHEN ZEIGT, ebenfalls um 19:30 Uhr.

Anno 1959 warben Bärenmarke, Birkin, Glänzer, Trumpf, Maggi, Kaba, Constructa und viele andere Firmen für ihre Produkte. Die Renner des damaligen Werbefernsehens waren die Serien ABENTEUER UNTER WASSER (SEA HUNT) mit Lloyd Bridges als Mike Nelson, VATER IST DER BESTE (FATHER KNOWS BEST) mit Robert Young und LONDON 999 (DIAL 999), dazu das TICK-TACK-QUIZ mit Fritz Benscher. Eine heute noch bekannte qualitätsvolle Serie wie ALFRED HITCHCOCK ZEIGT (ALFRED HITCHCOCK PRESENTS) zog demgegenüber in der Zuschauergunst eindeutig den Kürzeren.

Die ersten vier Folgen des CINEMATOGRAPHEN-THEATERS wurden von einer GEFILMTEN ENZYKLOPÄDIE begleitet. Nach den Notizen des regionalen Infratest-Indexes war das «ein gewaltiges Werk, das einige mutige Männer in Frankreich soeben begonnen haben, und dessen Beendigung mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Heute: Amazone, Atlantik und Lawine.» Eine seltsame Kombination, mit der man wahrscheinlich vorsorglich versucht hat, Filme aus der Stummfilmzeit mit Bildung zu verbinden, um dem Vorwurf zu begegnen, die Zuschauer bei der Begegnung mit alten Filmen einfach nur lachen lassen zu wollen. Über die Art, wie die Filme in der Serie präsentiert worden sind, ist nur wenig bekannt. Den einzigen Hinweis in Programmzeitschriften enthält die TV Fernseh-Woche vom 14. Mai 1959: «Das CINEMATOGRAPHEN-THEATER zeigt eine Reihe kurzer Stummfilme aus den Anfängen des Kinos, die zu den Raritäten der Filmgeschichte gehören. Berühmte Darsteller wie Buster Keaton, Harald [sic] Lloyd, Mary Pickford und Douglas Fairbanks werden auch dem heutigen Zuschauer viel Vergnügen bereiten, wenn meist auch unfreiwillig. Wie einst im alten Kintopp, so wird auch jetzt ein Begleittext gesprochen, allerdings diesmal in persiflierender Form.» Wer der Erklärer war, wie die deutsche Bearbeitung aussah und welche Musik eingespielt wurde, ist unbekannt. Die Anfrage dazu hat die BRmedia GmbH nicht beantwortet.

In der Startfolge wurde der erste Western der Filmgeschichte gezeigt, THE GREAT TRAIN ROBBERY (1903), und dazu der Slapstickfilm DER WASSERSCHADEN (THE PLUMBER, 1914) mit Charly Murray. Klempner Murray soll im Badezimmer einer Villa einen Wasserschaden beheben und will im Keller des Anwesens den Haupthahn abdrehen. Dort findet er eine Flasche Schnaps, an der er sich gütlich tut und bald nicht mehr ganz allein ist. In dem Zustand lässt er im Keller unbeaufsichtigt eine brennende Lötlampe zurück, als er sich im Obergeschoss an die Reparatur des Schadens macht. Im Nu steht die Villa in Flammen, die Feuerwehr rückt an, und der Hausherr prügelt sich mit Murray. Die Zuschauer des bayerischen Regionalprogramms gefiel die Groteske besser als der frühe Western. Sie bemängelten aber den technischen Standard der alten Streifen und mokierten sich über die Stoffe, die damals verfilmt wurden. Für Verwirrung sorgte, dass der Erklärer die Stummfilme mit Murray mit denen von Chaplin verglich. Das geschah offenbar reichlich missverständlich. Denn manche Zuschauer dachten, sie hätten einen Chaplin-Film gesehen. In der zweiten Folge scheint es nur einen Ausschnitt aus dem dramatischen Stummfilm DER SCHWARZE ADLER (THE EAGLE, 1925) mit Rudolph Valentino gegeben zu haben und dazu die GEFILMTE ENZYKLOPÄDIE zu den Begriffen Alchemie und Automat. Für die dritte Folge wählte «der ironische Filmhistoriker, der diese Sendereihe betreut,» eine Parodie auf THE COVERED WAGON (1923) von James Cruze aus. Das war Will Rogers’ vielschichtige Satire TWO WAGONS: BOTH COVERED (1924) auf die Pioniere des wilden Westens. Sie hat dafür gesorgt, dass Cruzes Drama nicht in Vergessenheit geraten ist. Vor allem ist der Streifen ein Beispiel dafür, welch hervorragender Filmemacher Rogers war. Drei Viertel der Zuschauer aus dem Bereich der «Südschiene» fanden damals TWO WAGONS: BOTH COVERED ausgezeichnet, das andere Viertel tat ihn als «albern» ab. Außerdem zeigte sich, wie unnötig der wohl sehr bemühte kulturpolitische Anhang der GEFILMTEN ENZYKLOPÄDIE war. Ihre Beiträge zu Abwesenheit (auch psychisch gemeint) und Azur waren für die meisten langweilig. Aus einer Zuschrift ging hervor, dass der Azur-Beitrag an den Haaren herbeigezogen sei, weil man gequält Millionäre an der Riviera mit dem Begriff Azur in Verbindung gebracht hatte. Der Infratest-Kommentar: «Diese Sendereihe wird von Mal zu Mal schlechter beurteilt. Was [den Zuschauern] nicht gefällt, schalten sie nicht mehr ein.» Die GEFILMTE ENZYKLOPÄDIE riss das CINEMATOGRAPHEN-THEATER ein viertes und letztes Mal mit Beiträgen über die französische Stadt Arles und Arithmetik herunter. Die Ausführungen über die Arithmetik fanden Viele regelrecht unverständlich.

Schon die erste Folge der Serie im Regionalprogramm des WDR erzielte am 14. April 1959 mit einem Urteils-Index von +3 auf einer Skala von 0 bis +10 nur eine verhaltene Zuschauerreaktion. Infratest resümierte, dass die TV-Zuschauer der Sendung «offenbar keinen Geschmack abgewinnen» konnten. Als das Regionalprogramm des WDR die GEFILMTE ENZYKLOPÄDIE fallen ließ, erholte sich das CINEMATOGRAPHEN-THEATER in der Wertschätzung der Zuschauer etwas. Aber auch die Folge mit den Filmen WIE DIE ERSTEN MENSCHEN und DER VERHINDERTE AKROBAT kam über den Urteils-Index von +3 nicht hinaus. Der erste Streifen handelt von der Partnersuche in der Steinzeit und dem brachialen Eifersuchtsstreit der Herren der Schöpfung um die Damenwelt. Das ist Laurel und Hardys FLYING ELEPHANTS (1927). DER VERHINDERTE AKROBAT sollte ein Film von David Wark Griffith mit Buster Keaton in der Hauptrolle als schüchterner Uhrmacher sein, der eine Kundin in den Zirkus ausführt, wo sie sich in einen Artisten verliebt. Zum Schluss rettet der Hauptdarsteller die Dame aus Feuersnot und verfehlt beim Sprung aus dem Inferno das Sprungtuch. Das lässt ihm das Herz der Angebeteten zufliegen. Keaton hat allerdings mit Griffith keinen Film gedreht, sondern mit seinem Spielfilm THE THREE AGES (1923) Griffiths INTOLERANCE (1916) parodiert. Nach der kurzen Beschreibung im Infratest-Bericht wurde vielmehr ein Ausschnitt aus Keatons Educational-Zweiakter ALLEZ OOP von 1934 gezeigt, der womöglich mit Szenen aus Keatons weiteren Zweiaktern THE TIMID YOUNG MAN (1935) oder THE CHEMIST (1936) versetzt worden ist. Laut Infratest wurde der angebliche Keaton-Film, der die Lachmuskeln der Zuschauer gereizt hatte, deutlich besser bewertet als Laurel und Hardys Steinzeit-Amouren. Manche Zuschauer wussten danach nicht, ob WIE DIE ERSTEN MENSCHEN zum Lachen war oder sie belehrt werden sollten. Infratest vermutete, dass diese «Dinge […] wohl schon zu weit zurück[liegen], als dass sie in der Erinnerung lebendig wären, oder dass es überhaupt noch eine größere Zahl von Fernsehzuschauern gibt, die Gelegenheit hatten, diese Filme in der Zeit zu sehen, als sie die Menschen in die Kinos lockten.»

Die restlichen Folgen des CINEMATOGRAPHEN-THEATERS haben wohl überwiegend aus Ausschnitten dramatischer Filme, Western und stummen Serials bestanden. Der Klassiker THE PHANTOM OF THE OPERA (1925) mit Lon Chaney Sr. ist fraglos kein Slapstickfilm. DIE ZUKUNFT LIEGT IN DER LUFT (1912) ist ein Drama um einen Doppeldecker-Piloten. Beide Streifen kamen nicht an. «Wenn schon alte Filme, dann bessere!», hieß es aus dem Zuschauerkreis. Und Infratest kommentierte: «Nach der Meinung der Zuschauer könnte das CINEMATOGRAPHEN-THEATER die Pforten schließen, ohne dass eine größere Zahl von ihnen das sehr bedauern würde.» Allein noch DURCH DICK UND DÜNN mit Mack Sennett und angeblich Dale Hamelson [gemeint: Hale Hamilton?] als Landstreichern war eine Groteske. Der Film handelt von zwei Landstreichern, die Wind davon bekommen, dass ein Herr Gracegertel einen reichen Zeitgenossen besuchen will. Einer der beiden Hobos gibt sich als Gracegertel aus, während sein Kumpane sich im Haus des Reichen versteckt. Der Schwindel fliegt natürlich auf. Dies ist COMRADES (1911), der erste Slapstickfilm, in dem Mack Sennett als Regisseur genannt wurde. Den anderen Tramp spielte darin Jack Dillon. In derselben Folge des CINEMATOGRAPHEN-THEATERS war DICKE LUFT zu sehen, eine Spionage-Story um einen Testpiloten und einen Saboteur, der einen Fabrikschornstein sprengt. Auch danach blieb die Gefolgschaft der Serie gering, vor allem im WDR-Sendebereich des einwohnerreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. In der letzten Folge der Serie, die jedenfalls am 18. August 1959 im Regionalprogramm des WDR gesendet (wiederholt?) wurde, gab es in DAS MÄDCHEN UND IHR SCHATZ eine wilde Verfolgungs- und Rettungsjagd um einen Eisenbahn-Goldraub mit Entführung. In DAS DICKE ENDE befreit ein Sheriff seine Angebetete aus den Fängen eines Postkutschenräubers und gewinnt dadurch ihr Herz. Nach den von Infratest gesammelten Zuschauerreaktionen reichten die Meinungen für diese Kombination von «hat mir gefallen» und «man kann Erinnerungen gut auffrischen» über «miserabel», «Kitsch» und «olle Kamellen» bis zum Resümee: «Was damals für die Großeltern spannend war, kann uns heute zum großen Teil nur noch ein müdes Lächeln abgewinnen.» Damit hatte die Bayerische Werbefunk GmbH die Zuschauer beim Wort genommen und das CINEMATOGRAPHEN-THEATER eingestellt. Andere Regionalprogramme wie das des WDR und des SR sendeten die Serie noch bis zum 29. September 1959 bzw. sporadisch bis zum 23. August 1960.

Außer Urteils-Indizes hatte das Werbefernsehen damals noch nicht die Erhebung von Einschaltquoten für die Unterhaltungssendungen bei Infratest in Auftrag gegeben. Vermutlich wären sie für das CINEMATOGRAPHEN-THEATER nicht überwältigend gewesen. Mit der belehrenden GEFILMTEN ENZYKLOPÄDIE und ihrem Bildungsanspruch als Anhängsel hatte man ohne Not Zuschauer vergrault. Die französischen Produzenten haben ihr auf Jahrzehnte angelegtes Projekt wohl auch so schnell aufgegeben wie einst Joachim Ringelnatz’ Ameisen ihre Weltreise von Hamburg nach Australien gleich nach dem Start. Ob das CINEMATOGRAPHEN-THEATER nicht zuletzt an dem Spagat zwischen dramatischen Streifen und stummen Slapstickfilmen scheiterte, lässt sich nur vermuten. Womöglich hat der Serie ein Erklärer von Werner Schwiers Format gefehlt, der die persiflierenden Kommentare so verschmitzt sprach wie 1957 zu JUNGDEUTSCHLAND AUF GELÄNDEÜBUNG in CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE. Nach diesem wenig verheißungsvollen bundesdeutschen Start in die Welt des Slapsticks machte das WWF sich selbst ans Werk und startete Ende Oktober 1959 die Serie AUS DER FLIMMERKISTE mit Filmen von Charlie Chaplin.

Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte

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