Читать книгу Afghanistan Dragon - Norbert F. Schaaf - Страница 10

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Eine Viertelminute später stand ein Mann von etwa dreißig Jahren vor ihm, dem man ansah, dass er nicht in einem Büro aufgewachsen war. Er war groß und kräftig, hatte sehr kurz gestutztes Haar und hielt sich straff wie ein Soldat, der vor seinem Kommandeur stand. Everett war seit fünf Jahren in Afghanistan. Vier davon hatte er in einem Ausbildungscamp der Special Forces im usbekischen Grenzgebiet verbracht. Nicht zuletzt die Tätigkeit bei dieser Truppe hatte ihn für die Abkommandierung zu Oates´ Stab qualifiziert.

„Sir?“ sagte er und blickt seinen Vorgesetzten an.

„Haben Sie den Mann gesehen?“ erkundigte sich Oates.

„Ja, Sir. Auf dem Schirm.“

„Stellen Sie fest, wo er wohnt.“

Ein Lächeln glitt über die Züge Everetts. „Ist bereits geschehen. Hotel Oriental.“

„Sehr schön. Ihr Auftrag ist, zu beobachten, was er treibt.“ Oates ging zum Schreibtisch, nahm das Band mit dem aufgenommenen Gespräch und übergab es Everett. „Das können Sie sich mal anhören, bevor Sie losziehen. Ich will wissen, mit wem der Mann Kontakt aufnimmt und wohin er reist. Klar?“

„Klar, Sir“, antwortete Everett militärisch knapp. „Noch etwas?“

Oates überlegte. „Ist die Maschine abgeflogen?“

„Start erfolgte um elf Uhr, Sir.“

Oates rechnete. Der Heli könnte noch vor Sonnenuntergang in Karambar sein. Er wandte sich an Everett, der abwartend an der Tür stand: „Geben Sie einen Spruch auf, an die Mangal-Leute. Maschine kommt wie üblich.“

„Okay, Sir“, sagte Everett. Oates entließ ihn mit einem knappen Kopfnicken.

„Soll ich nicht Skinney reinschicken?“ gab Everett zurück.

Oates grunzte etwas, das als Zustimmung gelten konnte.

„Es ist kein Vergnügen“, äußerte Everett, „mit diesem Burschen zu arbeiten, ich misstraue ihm von hinten bis vorn, der Kerl lügt, wenn er den Mund aufmacht.“

„Wenn Langley ihm vertraut, haben wir hier keine Ursache, es nicht zu tun. Er hat in Amerika ganz gut gearbeitet. Darum hat man ihn hergeschickt. Fakt ist: Er ist versiert, und allein das zählt. Im Übrigen ist er genau wie Sie und ich und jeder Mitarbeiter informiert, dass für seine Unsterblichkeit nicht garantiert ist, falls er auf die Idee kommen sollte, seine Aufgabe falsch auszulegen. Seien Sie also unbesorgt. Ich halte die Augen offen.“

„Was auch dringend geboten ist. Der Kerl war zuhause Prediger, und hier geht er einem ständig auf den Sack mit seiner Zwei-Esel-Theologie und der gynäkologischen Klapperstorchtheologie, wie ein Kollege das nannte. Eigentlich müsste jetzt das christliche Glaubenbekenntnis völlig umgeschrieben werden, meint der Kollege.“

„Klingt ja ungeheuer spannend. Ich wollte schon immer wissen, was es mit Skinneys Spitznamen `Zwei-Esel-Theo´ auf sich hat.“

„Das wissen Sie nicht? Also: Der Prediger zitiert gern aus der Bibel: `Ihr werdet an bestimmter Stelle eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr. Wegen der Prophezeiung: Er reitet auf einem Esel und auf dem Füllen einer Eselin´. Was für ein Unfug! Wie kann einer auf zwei Tieren gleichzeitig reiten? Eigentlich heißt es ja auch im Alten Testament richtig: Sanftmütig ist er und reitet auf einem Esel, und zwar auf dem Füllen einer Eselin, also auf dem vorjährigen Fohlen einer Eselin. Doch der Bibelhengst legt seinen Dummspruch so aus, dass es diesem Matthäus sehr wichtig sei, dass sich diese Prophezeiung bis in die kleinste Einzelheit erfüllt. Und wenn sie noch so unsinnig, weil falsch übersetzt ist, sagte der Kollege.“

„Aha, sehr aufschlussreich. Und das mit dem Klapperstorch?“

„Das ist noch viel schöner. Der Pfaffe predigt, dass diese Maria ihren Jesus vom Heiligen Geist empfangen hat. Nicht von einem Josef oder irgendeinem anderen Kerl. Auf so was konnte man ja nur kommen, weil man damals noch nichts wusste von dem weiblichen Ei. Das war nämlich erst achtzehn-siebenundzwanzig, sagte der Kollege, und dass der männliche Samen und das weibliche Ei mitsammen verschmelzen müssten, wenn ein Jesus oder überhaupt irgendein Kind dabei entstanden soll. Vordem glaubte man, dass der Mann den Samen in die Frau gab wie in einen Blumentopf, wo er sich dann entwickelt. Angenommen, kein männlicher Same wäre beteiligt gewesen, so bliebe immer noch das weibliche Ei von Maria. Deswegen müsste es im Credo also wahrheitsgemäß heißen: Empfangen vom Heiligen Geist zu fünfzig Prozent. Sage der Kollege. Er zerbrach sich den Kopf, von wem Jesus denn nun eigentlich abstammt: Von Maria oder von Josef, über den allein sich doch die als so wichtig erachtete Herkunft von David ableiten lässt.“

„Was hat der besagte Kollege denn studiert?“ wollte Oates wissen.

„Frühe Bücher von einem gewissen Joseph Ratzinger, profilierter Theologe als er noch nicht Kardinal war und lange, bevor er sich als Papst Benedikt der soundsovielte nannte; damals schrieb der Papa Ratzi von einem weltweit verbreiteten Mythos wie bei diesen Göttern der altgriechischen Religion und von verworrenen Hoffnungen der antiken Menschheit auf die Jungfrau-Mutter. Sagte der Kollege.“

„Was er nicht sagte“, spottete Oates. „Da muss ich also wirklich höllisch aufpassen.“

Wieder allein setzte sich Oates auf den Schreibtisch und ließ die Beine baumeln. Der Untergebene für das nächste Briefing musste jeden Augenblick zur Tür hereintreten. Als er ausblieb, fragte Oates über die Gegensprechanlage nach. „Er ist bereits da“, piepste Miss Douglas. „Hat im Besucherraum II Platz genommen. Ich schicke ihn zu Ihnen.“

„Das lassen Sie schön bleiben“, befahl Oates. „Ich komme rüber.“

In besagtem Besucherraum saß, ein Bein unter den Körper gezogen, ein US-amerikanisch gekleideter Gentleman mit Stetson und Cowboystiefeln, ein Mann nicht ganz leicht bestimmbaren Alters und olivefarbenem Teint, dicklich, gedrungen, schütteren Haares und blank rasiert, auf einem Diwan, mit weitgeöffnetem Mund vernehmlich schnarchend.

Oates fing ein paar Fliegen, riss ihnen die Flügel aus und warf sie, eine nach der anderen, in den geöffneten Mund des Schläfers. Die Reaktion trat prompt ein: Die flügellosen Tiere krochen in der Mundhöhle des Dicken herum und gerieten in den Schlund. Das Schnarchen brach ab, derweil der fast gleichzeitig einsetzende Hustenanfall ein paar Fliegen hinausschleuderte, andere dagegen, in die Nase gelangt, ein heftiges Niesen hervorriefen, wobei der Stetson ins Zimmer kollerte.

Oates lachte trocken auf, indessen die mitgeeilte Miss Douglas eine nach beiden Seiten verbindliche Haltung einnahm.

„Ich habe von Wölfen geträumt“, keuchte der Korpulente mit merkwürdig sanfter Stimme, auf die angesichts der Dimensionen seiner Leibesfülle niemand gewappnet war, und begann, sich schlaftrunken die Augen zu reiben.

„Nein, Skinney, es sind noch nicht einmal Esel, sondern lediglich Fliegen“, griente Oates und gab Miss Douglas mit einem Wink zu verstehen, die Tür von außen zu schließen.

„Oates? Oates? Endlich!“ rief Skinney und sprang mit kaum zu erwartender Agilität auf die Beine, riss die Augen auf und fuhr fort: „Gott sei Lob und Dank! Als ich Sie zuletzt gesehen habe in San Alfredo ...“

„Es war in San Antonio, wenn ich mich recht erinnere, wo ich Sie vor einem peinlichem Interview mit der Polizei rettete“, versetzte Oates, amüsiert auf die kindlichen Züge des anderen schauend. „Wie ich sehe, sind Sie einem normalen Menschen noch immer nicht ähnlicher geworden.“

Der Dicke legte los, eine Reihe salbungsvoller, kunstvoll mit obszönen Flüchen vermengter Phrasen von sich zu geben, bis ihn endlich Oates harsch unterbrach: „Danke, Mister Nicolas Freeman Skinney, Stopp! Ich kenne das Programm zu Genüge. Damit können Sie hierzulande, allerdings an anderer Stelle durchaus brillieren. Nun, mein Lieber, ich habe Sie längst erwartet ...“

„Ich... wir...“, stammelte der Dicke, „wir waren so ziemlich an einem toten Punkt angelangt.“

„Sowohl tot wie Punkt ist übertrieben, wie ich Sie kenne“, antwortete Oates. „Also, Skinney, Sie kommen keine Sekunde zu früh. Was vor allem unverzüglich in Angriff genommen werden muss, ist die Rohopiumsache im Norden.“

„Warum so eilig?“ fragte Skinney und zeigte ein kaum merkliches Lächeln um seinen dünnlippigen Mund.

„Erstens, weil der Ertrag aus dieser Aktion die Betriebskosten einer anderen zu decken hat. Zum zweiten ist die Situation auf dem Opiummarkt gerade äußerst günstig.“

„Infolge der Restriktionen bestimmter...“, warf Skinney ein.

Oates schnitt ihm das Wort ab. „Shut up. Aber es stimmt schon. Seither sind die Preise in Afghanistan auf das Neunfache, über die Grenzen des Landes freilich auf das Vierzehnfache gestiegen. Wir sind selbstredend nicht die einzigen, die das wissen. Wie ich gerade erfahren habe, bereitet eine Gruppe Paschai in Nordpakistan einen ganz großen Coup vor, der, wenn er gelingt, natürlich die Preise wieder hinabsausen lassen wird. Wir müssen den Kerlen da oben also zuvorkommen.“

Skinney nickte eifrig mit dem Kopf, zog einen Bleistift heraus und begann auf einem Notizzettel zu rechnen.

„Lassen Sie die Kindereien“, warf ihm Oates zu, „den Gewinn auszurechnen ist man doch nur imstande, wenn man die Gestehungskosten kennt, und davon haben Sie keine Ahnung... Nun, was ich sagen will, ist: Falls die Paschais uns zuvorkommen, ist das Geschäft für uns verloren. Die enorme Menge, die sie hinüberschmuggeln wollen, würde die Preise abstürzen lassen und sie für etliche Zeit niedrig halten. Es kommt also darauf an, dass unser Mann im Pamir die Ware so schnell wie möglich in Händen hat.“

„Wie aber, zum Teufel, wollen Sie die Ware über den Oxus bringen? Dorthin darf doch unsereiner nicht, wie ich gehört habe“, unterbrach ihn Skinney.

„Vermutlich durch deutsche Regierungsluftschiffe“, entgegnete Oates ausfällig.

„Sie sollten sich mehr mit der Bibel befassen, geliebter Bruder im Herrn, dann würden Sie wissen, dass man seinen Nebenmenschen nicht zum Besten halten darf, wenn er eine ernsthafte, zur Sache gehörige Frage stellt.“

„Well, ich werde es mir merken. Für die Zukunft. Jetzt aber lassen Sie uns gefälligst weitersprechen... Die Paschai glauben, wie ich erfahren habe, eine Art afghanisches Ei des Kolumbus gefunden zu haben. Sie rüsten eine Salzkarawane aus, die in die Salzblöcke verpacktes Heroin transportiert. Was vielleicht gar nicht so dumm ist: Denn zum einen kontrolliert man Salzblöcke nur ganz oberflächlich, wenn es schon einer Patrouille einfallen sollte, die Karawane anzuhalten. Und zweitens sind die Salzhändler im Hochgebirge sozusagen sakrosankt, also unantastbar. Jedenfalls ist noch niemals ein Überfall auf Salzkaufleute vorgekommen. Und in den Salzblöcken der Kamelkarawanen lassen sich hübsche Mengen von Heroin transportieren.“

„Ein unglaubliches Land“, seufzte Skinney, „ich habe bereits Leibschmerzen von all dieser Romantik... Woher kennen Sie eigentlich diesen Banshef?“

„Wie kommen Sie auf Banshef? Nun, ein glücklicher Zufall. Wie Sie sich vielleicht noch erinnern... Aber nein, Sie waren damals bereits versetzt worden wegen allzu eifrigen Einsatzes im Kampf gegen...“

„Mister Oates, Sir“, unterbrach Skinney mit sanfter Stimme, „wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass ich Opfer meines Berufes wurde. Ich hatte den schwersten Teil dieser Mission auf mich genommen, die Bekehrung der schwarzen Schafe. Und um die Wölfe zum Grasgenuss zu bekehren, muss man vor allem mit ihnen heulen. Ich aber konnte eben nur dann heulen, wenn ich etwas getrunken hatte.“

„Und wie war die Geschichte in Corpus Christi, Texas, Euer Merkwürden, als man einen gewissen Nicolas Freeman Skinney in ein Teerfass stecken wollte, weil er im heiligen Eifer seiner Tätigkeit irrtümlicherweise einen falschen Scheck ausgegeben, gutes Geld eingenommen und dann noch ein Schäfchen seiner Gemeinde zu verführen versucht hatte?“

„Lassen wir das, Oates“, stöhnte Skinney und erhob beschwörend die Hände, um sie, mit einer überraschend schnellen und plötzlichen Bewegung, als geballte Fäuste dem grinsenden Oates unter die Nase zu halten. „Falls Sie sich erinnern wollen, hatten diese Fäuste...“

„...vor vielen Jahren einmal in New Orleans die Mittelgewichtsklasse für die Südstaaten gewonnen, ich kenne Ihre Akte“, nahm ihm Oates beschwichtigend das Wort aus dem Mund und drückte Skinneys Fäuste herunter. „Zurück zu unserer dringlichsten Aufgabe...“

„Wollen Sie eine Jeepkolonne gegen die Kamelkarawane ausrüsten?“

„Quatsch, Skinney, uns wird ein einziger Chinook ausreichen.“

„Solange es nur über Pässe unterhalb fünftausend Metern geht...“

„Das wird es, Skinney, das wird es. Und wenn es sein muss, suchen wir ein Zwischenlager und fliegen zweimal...“ Oates lachte flüchtig auf. Ein trockenes, unpersönliches Lachen.

„Sie haben leicht lachen, Oates“, sagte mit sanftem Augenaufschlag der dickliche Skinney. „Sie kennen sich in diesem Land aus, vertragen die Hitze und die Kälte, verstehen die Sprachen, während ich eigentlich Spezialist bin für Lateinamerika und zudem...“

„Hätten Sie nicht anlässlich der letzten Nicaraguarevolution versucht, auch für eigene Rechnung zu arbeiten, dann wären Sie nicht hierher abkommandiert worden“, versetzte Oates. „Unsere hiesigen Aktionen hängen von der politischen Konstellation der allernächsten Zeit ab. Und übrigens auch von ein paar grundlegenden Besprechungen.“

„Alles gut und schön, Bruder Abraham, sorry, Mister Oates, es war nur so, dass man etwas vergessen hat, als man mich herschickte, eine Kleinigkeit nur, doch immerhin etwas, das mich zumindest interessiert.“

„Und zwar?“

„Man hat vergessen, mich zu informieren, worum es geht. Mir wurde zwar gesagt, dass ich nähere Weisungen von Ihnen bekommen werde, jedoch...“

„Ich verstehe durchaus – nun ja, offiziell, sozusagen von ganz oben herab, hat man Agenten tatsächlich nicht zu informieren. Nicht aus Misstrauen, sondern – nun ja, sagen wir, weil dies in den Aufgabenkreis des Hauptagenten der jeweiligen Region gehört, der genau weiß, wie viel er zu sagen und wie viel er zu verschweigen hat. Nach dem Sinn und Zweck zu fragen, ist eigentlich nicht unsere Sache, da wir ja nicht die hohe Politik machen, sondern nur sozusagen als Spezialisten für den Felddienst hergeschickt wurden. Ich kann Ihnen immerhin folgendes sagen: Unsere Tätigkeit hier beruht auf zwei Tatsachen. Tatsache eins: dass gewisse Kreise daran interessiert sind, in diesem Land einen politischen Wechsel zu verhindern, und Faktum Nummer zwei: dass der Wind vom Norden her Ölgeruch mit sich bringt und...“

„Das können wir doch nicht verhindern“, unterbrach Skinney.

„Nein, wozu auch? Im Gegenteil. Um was es geht, ist einfach, alles aus dem Weg zu schaffen, was den Wind veranlassen könnte, eine andere Richtung einzuschlagen.“

„Wie Schah Massoud“, sagte der andere, nachdenklich sich den Kopf kratzend, „da dämmert sich mir einiges auf...“

„Na, also“, rief Oates aufgeräumt. Er wandte sich zum Gehen, hielt aber in der Tür inne. „Beinahe hätte ich´s vergessen: Haben Sie das Handy des Schweizers?“

„Klar“, antwortete Skinney, „man hat es ihm am Eingang unauffällig aus der Jackettasche gezogen.“

„Und?“ fragte Oates mürrisch. „Ist was Interessantes drauf?“

„Nichts, was der Rede wert wäre. Und der Kerl hat noch nicht ein Foto gemacht, seit er hier angekommen ist.“

„Was sitzen Sie hier noch rum, Mann, es gibt viel zu tun. Packen Sie´s an...“

Afghanistan Dragon

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