Читать книгу Afghanistan Dragon - Norbert F. Schaaf - Страница 4

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Vorspann

Sanaubar richtete sich auf.

Sie biss die Zähne zusammen, die linke Faust in die Hüfte gestemmt. Schmerzvolle Stiche bohrten sich ihr wie mit rasiermesserscharfem Krummdolch ins Rückgrat. Diese Qualen waren ihr alltägliche Erfahrung, doch an sie gewöhnen würde sie sich nie. Den dritten Tag schon war sie auf dem Mohnfeld. Größer gewachsen als die meisten anderen Frauen musste sie in stark gebückter Haltung arbeiten. Nur so vermochte sie mit dem kleinen, gekrümmten Messer jene haarfeinen Schnitte in die Kapseln zu ritzen, aus denen ganz allmählich, im Verlauf etlicher Stunden, die weiße, sämige Milch herausquoll.

Sanaubar war geschickt im Anritzen der Mohnkapseln. Doch bekam man klebrige Finger dabei, die Sonne versengte einem das Gesicht und den Nacken wie ein Brandeisen. Selbst mit einem grobmaschigen Gitternetz als Sehschlitz einer Burka wäre die Arbeit nicht zu vollbringen. Das mandeläugige Mädchen in gelber hijab, dem Kopfschleier, hatte sich daher mit einer Mischung aus Hühnerblut und Erde eingerieben, doch auch das hielt die weißglühend vom Himmel herab stechenden Lichtstrahlen nicht völlig ab, die ihr die Augäpfel zu verschmoren drohten. Und doch war diese Arbeit noch die weniger unbequeme; jene Frauen, die einen Tag nach dem Anritzen den geronnenen Saft von den Kapseln abschabten und in kleine Blechdosen sammelten, waren weitaus schlechter dran. Die schwarzoxidierte Masse war widerspenstig, ab und zu fiel ein solches Klümpchen auf die Erde, wenn man schon glaubte, es an der Klinge zu haben. Dann war die Mühe umsonst gewesen. Es nützte nichts, das Klümpchen aufzuheben, denn daran klebten Erde und Pflanzenteilchen, die die Masse verunreinigten und im Wert minderten. Andernteils murrten die Männer, wenn die Frauen am Abend ihre Büchsen nicht gefüllt hatten.

Das Feld, auf dem die Frauen arbeiteten, lag eine gute Stunde von Karambar entfernt, auf einer schwer zugänglichen Hochfläche, die sich schroff, steil bis abschüssig, zwischen felsigen Hängen der kälteblauen Berge wie ein am Hang ausgerollter bemalter Filzteppich erstreckte. Es hatte zwar genügend Wasser, doch nur karges Erdreich. Hier in der Bergregion des nordöstlichen Afghanistan gab es nicht viel bebaubaren Boden. Ein Feld wurde bestellt, solange es eine Ernte versprach, ehe man es brachliegen ließ, bis es wieder eine niedere Vegetation zeigte. Hatte diese eine gewisse Dichte erreicht, drosch man sie zusammen und grub Gezweig, Laubwerk und Binsengras unter. Dadurch gewann der Boden gerade so viel Kraft, dass er erneut bestellt werden konnte, freilich nur für eine kürzere Periode als zuvor.

Vorwiegend wurde Mohn angebaut, seit unerdenklichen Zeiten schon. Die rosa oder malvenfarbigen Blüten bedeckten beinahe jedes Stück verwertbaren Bodens im Gebirge, im Bergwind wogende Blumenmeere. Der Mohn vertrug die Sonne, aber auch die Kälte der Nächte und kam mit wenig Feuchtigkeit aus. Und er war seit unzähligen Generationen das einzig gewinnbringende Tauschobjekt der Gebirgsbewohner. Sicher könnte man Trockenreis ziehen, man tat es auch in bescheidenem Umfang in unmittelbarer Nähe der Ansiedlungen, doch man brauchte zum Leben auch Öl und Salz, Geschirr und Werkzeug, Seife und elektrische Geräte, Brennstoff für die Lampen und Öfen sowie Kattun, um sich zu kleiden, und vieles mehr. Dies alles konnte man in den Tälern eintauschen gegen Opium. Ein einziger Sack voll brachte Salz und Öl für ein ganzes Jahr. Das klebrige, bräunliche Rohopium war deshalb für die Bergbewohner von jeher das Gold unter allen Erzeugnissen.

Die Menschen aus den Bergen interessierten sich nicht dafür, ob ihre Ware für medizinische Zwecke verarbeitet wurde oder als illegal hergestelltes Heroin in die Hände von Süchtigen geriet. Sie hatten die Mägen ihrer Kinder zu füllen. Niemand sonst tat das. Jede Regierung in Kabul hatte zwar schon vor einigen Jahren und wiederholt den Handel mit Opium verboten, doch das war eine Anordnung, um die sich in den Bergen niemand scherte. Wovon sollte man leben, wenn nicht vom Opium? Die Regierung gab keinen Reis. Sie ließ auch kaum Straßen bauen, die in die Berge führten, damit die Bewohner andere Produkte in die Täler transportieren könnten. Die wenigen, die es nun gab, waren zwar asphaltiert, jedoch viel zu unsicher, um sie regelmäßig zu benutzen. Der Regierung war es gleichgültig, ob in Karambar die Kinder hungerten oder nicht. Die Staatsmacht bestand nur aus Stammesfürsten und Kriegsherren, die an dem Handel mit dem Rohopium zumeist beteiligt waren.

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