Читать книгу Afghanistan Dragon - Norbert F. Schaaf - Страница 9

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Etwa um diese Zeit fand der junge Mann in Livree, der Hodler im Hotel empfangen hatte, Gelegenheit, unbeobachtet zu telefonieren. Er verlangte Mister Wright persönlich zu sprechen und sagte nach einer kleinen Weile gedämpft in die Muschel: „Mister Wright, dies ist ein Hinweis für Sie vom Empfangschef des Hotels Oriental. Ein Professor Beat Hodler, Schweizer, aus den Vereinigten Staaten kommend, hat nach Ihnen gefragt. Es wird Sie interessieren, dass er sich außerdem erkundigte, wie er zum Büro für industrielle Kooperation kommen kann.“

Er lächelte und deutete sogar eine leichte Verbeugung an, während er sagte: „Oh, keine Ursache, das war eine Selbstverständlichkeit, Mister Wright!“ Alles sprach er in seiner Landessprache Pashto.

Hodler hatte indessen ein Taxi bestiegen, sie passierten Militärposten, der Chauffeur zeigte auf das Ministerium für Grenzen und Stammesangelegenheiten. Der Schweizer war ein wenig enttäuscht, denn das Taxi fuhr schon nach kurzer Zeit dicht an den linken Straßenrand und hielt. Hier, inmitten eines modernen Viertels, lag das Büro für industrielle Kooperation. Das Gebäude, in dem es untergebracht war, unterschied sich kaum von den anderen sandfarbenen Betonklötzen, die mit ihm in einer Reihe standen. Kabul hatte wohl in den letzten Jahren keine Gelegenheit versäumt, sein äußeres Bild jenem anzugleichen, das man von den Großstädten Nordamerikas gewöhnt war.

Hodler hatte andere mittelasiatische Städte besucht, und er erinnerte sich gern an das bunte Durcheinander, das dort herrschte, an die Straßenhändler und die Rikschas, die spielenden Kinder am Straßenrand, und die Eselskarren und die Lastenträger, an die Düfte um die Straßenküchen herum, das Geschrei der Handwerker und das Menschengewimmel auf den Bürgersteigen. Kabul war anders, zumindest das Zentrum der Stadt. Der Professor war sich nicht klar darüber, ob er es moderner nennen sollte. Die mondäne Oberfläche wirkte aufgetragen, sie ließ erkennen, dass sie dünn war, künstlich. Wenn man die Schriftzeichen unter den Pepsi-Cola-Plakaten und Füllhalterreklamen, den Tafeln mit riesigen Zahncremetuben oder Taschenlampen gegen lateinische Beschriftungen austauschte, könnte das hier auch Florida sein oder Kalifornien. Der Unterschied war gering, denn selbst die Erzeugnisse, die sie anpriesen, waren die gleichen wie in den Vereinigten Staaten.

Beat Hodler entsann sich der Feststellungen eines seiner Kollegen, der längere Zeit in diesem Lande verbracht hatte und nach dessen Urteil Afghanistan unter dem Einfluss der Vereinigten Staaten im Begriff war, immer mehr von seinen nationalen Eigenarten zu verlieren. Zweifellos hatte dieser Prozess in der Hauptstadt begonnen und schon ein großes Ausmaß angenommen, darüber konnten die gepflegten Moscheen nicht hinwegtäuschen, die zwischen den Hochhäusern standen. Hätten diese Leute, die da auf den Bürgersteigen gingen, nicht orientalische Gesichter, dachte Hodler, könnten sie ebenso gut aus Palm Beach stammen oder Santa Monica. Die jungen Männer trugen Anzüge im gleichen Schnitt wie die dort, und die Kleider der Mädchen in den Shopping-Centern und Diskos unterschieden sich kaum von denen, die man in Los Angeles sah oder in Miami. Wer hatte einmal von den mystischen Schatten geschrieben, die der Halbmond in die lampenlosen Gässchen warf, auf die bizarren Konturen der Häuser mit ihren Dächern, wo Wäschestücke in allen nur erdenklichen, im Halbdunkel mitunter erschreckenden Formen vom leisen Wind gehoben und wieder fallen gelassen wurden? Von der Klangromantik eines aus einem anderen Stadtteil herüberklingenden Flötenlieds? Und der Duftromantik der Wohlgerüche des Orients, die sich im Bazar der Stoffhändler aus dem Odeur von Kattun und Pferdemist zusammensetzten? Kabul konnte er kaum damit gemeint hatten. Oder aber seine Feststellung beschränkte sich auf einzelne Orte wie jene Parkanlage, dem Shar-e-Nau, wo sich Kinder gegenseitig auf Schaukeln stießen oder Volleybälle über zerrissene Netze schlugen, die zwischen Mispel- und Persimonenbäume gespannt waren, und wo kleine und große Jungen Drachen steigen ließen. Oder die Hochzeitshallen, wo auch in düstersten Jahren kostspielige Vermählungen gefeiert wurden von afghanischen Familien, die sich nicht selten dafür lebenslang verschuldeten.

Ich werde umdenken müssen, begriff Hodler. Vieles vergessen und einiges hinzulernen. Dies war das Asien, wie es die Vereinigten Staaten ausprägten, wenn ihrem Einfluss freie Bahn gelassen wurde. Sollte man es bewundern? Oder sollte man nicht vielmehr betrauern, was da verlorenging?

Die Zufahrt zu dem modernen Bau war mit wuchtigen Betonklötzen und soliden Schranken gesichert und wurde von einem halben Dutzend bewaffneter Männer bewacht. Um das ganze Gelände zog sich eine hohe Mauer. Hodler betrat das Gebäude, nachdem er einer gründlichen Leibesvisitation unterzogen worden war, und blickte sich in der geräumigen Halle um. An einem Empfangstisch saß eine junge Afghanin in einem hautengen Kleid aus gelbem Kattun. Als Hodler auf sie zu ging, schlug sie die Beine übereinander; dabei war zu sehen, dass ihre Unterwäsche die gleiche Farbe hatte wie ihr geschlitztes Kleid. Sie trug eine Sonnenbrille, Hodler konnte ihre Augen nicht erkennen. Er nickte ihr zu und erklärte, er wolle zu Mr. Oates. Das Mädchen lud ihn höflich ein, Platz zu nehmen in einem Stahlrohrsessel. Während sie zum Telefon griff, dachte Hodler darüber nach, wie wohl das Leben eines solchen Mädchens aussehen mochte. War sie womöglich schon eine junge Frau? Was tat sie, wenn sie nicht hier saß und Besucher anmeldete? Worüber sprach sie mit ihrem Freund oder mit ihrem Mann? Hatte sie Sorgen? Oder lebte sie in dieser Umgebung, ohne sich Gedanken über das zu machen, was um sie herum vorging?

Sie bat ihn, sich noch ein wenig zu gedulden, während sie auf die Verbindung wartete. Mit einem freundlichen Lächeln, das nicht von den Augen ausging, die hinter den dunklen Gläsern versteckt waren, sondern von den Mundwinkeln, die sich leicht verzogen. Ein Geschöpf dieser Stadt. Sollte man aus ihrem modernen Kleid den Schluss ziehen, dass sie leichtfertig war? Oder hatte sie sich einfach einer Lebensform angepasst, die in Mode gebracht worden und gleichzeitig verfemt war? Waren Kleid und Brille, das offenbar von einem geschickten Friseur gepflegte schwarze Haar und das freundliche Lächeln mehr eingeübte Routine als Ausdruck ihrer eigenen Denkweise? Man müsste länger hier leben, dachte er. Man müsste die Seele dieser Menschen erforschen, wenn es sie unter der Oberfläche von Chrom und Neon, von Chicagoer Kattun und Gesichtscreme noch gab. Ich bin sicher, es gibt sie. Doch es wird schwer sein, sie zu entdecken.

Sechs Stockwerke über der Halle betätigte in diesem Augenblick ein etwa fünfzig Jahre alter, untersetzter US-Amerikaner, der hinter einem schweren Schreibtisch saß, einen kleinen Schalter. Auf einem der vier Bildschirme, die in die Wand eingebaut waren, erschien das Bild des Professors, im Stahlrohrsessel sitzend. Der Amerikaner betrachtete den Besucher eine Weile. Das Büro, in dem er sich befand, war von einer ausgezeichneten Klimaanlage gekühlt. Die Einrichtung bestand aus Teakholz. Neben einer Anzahl technischer Einrichtungen war das Zimmer noch mit bequemen Sesseln und einem kleinen runden Tisch ausgestattet. Fotografierte Landschaften aus den Vereinigten Staaten schmückten die Wände und verliehen dem Raum eine Nüchternheit, die durch die beiden gekreuzten Sternenbanner hinter dem Schreibtisch unterstrichen wurde.

„Schicken Sie ihn herauf“, sagte der US-Amerikaner in die Sprechanlage. Und schaltete das Bild ab. Der Mann wirkte genau so nüchtern wie seine Umgebung. Er zog sein schwarzweißkleinkariertes Sakko, das er einem eingebauten Garderobenschrank entnahm, über das blaugestreifte Hemd mit dem Seidenschlips in rötlichen Farben. Mechanisch griff er nach einer Zigarre, doch zündete er sie nicht an, sondern trat an eines der großen Fenster und blickte durch die Scheiben auf die Straße hinunter. Die Hände auf den Rücken gelegt, wippte er leicht mit den Fußspitzen auf und ab. Eine schlechte Angewohnheit noch aus seiner Ausbildungszeit. Er war weder erregt noch verärgert, er war auch durch den Besuch nicht überrascht. Mr. Oates, leitender Resident der Central Intelligence Agency in Kabul, hatte den Herrn Professor Beat Hodler erwartet. Ein Wissenschaftler, Mediziner. Schweizer. Mitglied der internationalen Kommission für die Bekämpfung des Drogenmissbrauchs mit Sitz in New York. Keiner von den eifervollen jungen Karriereleuten. Fünfzig vielleicht. Er wirkte gelassen, soweit man das auf dem Bildschirm zu erkennen vermochte. Jedenfalls ein nicht mehr junger Mann, ohne die Illusion, Rom an einem Tag zu erbauen. Nun ja, man hatte solche Leute aus internationalen Gremien oft genug erlebt. Dieser hier würde auf die Freuden der Kabuler Badehäuser verzichten, er würde auch kaum in die Gefahr zu bringen sein, über dem Lächeln einer Barfrau im UN-Quartier sein Anliegen zu vergessen. Vermutlich würde er nicht einmal viel Zeit damit vergeuden, nach echten Antiquitäten zu suchen; ein paar Souvenirs vielleicht für die Frau oder die Töchter zu Hause. Dinge, die zwischen dem Touristenkitsch lagen und dem teuren, kunsthistorisch wertvollen Sammlerstück. Wir werden sehen.

Der Chefagent drehte sich um, als die gepolsterte Tür mit der schlichten Aufschrift `ABRAHAM TRACY OATES´ von seiner Sekretärin geöffnet wurde. Miss Douglas war noch nicht lange in Kabul. Wie die meisten Neulinge hatte sie sich erst an das Klima gewöhnen müssen. Gegenwärtig war sie dermaßen erkältet, dass sie näselnd sprach, was nicht gerade dazu beitrug, ihre Attraktivität zu fördern. Miss Douglas war ein farbloses, molliges, großbrüstiges, kleingewachsenes Geschöpf, dessen Wert in seiner absoluten Zuverlässigkeit lag. Man war nicht einmal genötigt, ihre Liebhaber zu überprüfen, sie hatte keine. Miss Douglas verbrachte ihre Freizeit gewöhnlich mit dem Hören von Schallplatten. Klassische Musik in guten Zeiten, Gospel in schlechten.

„Sir, dies ist Professor Beat Hodler“, flötete sie.

Oates verkniff sich ein Lächeln. Es klingt wie eine gestopfte Trompete, dachte er. Oder wie ein Saxophon. Doch er brachte es fertig, ihr mit ernster Miene zuzunicken, bevor er Hodler die Hand entgegenstreckte. „Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.“

Er führte den Besucher zu dem kleinen runden Tisch und ließ sich dort mit ihm nieder. Bevor er das nächste Wort sagte, öffnete er eine große silberne Zigarettendose und hielt sie Hodler hin. Als dieser ablehnte, stellte er die Dose wieder zurück, und zwar genau auf den Kontakt, der das Tonband auslöste. Kurz darauf erschien Miss Douglas mit einem Tablett, auf dem zwei Gläser Limonade standen, eine Flasche Bourbon sowie ein Eiskübel.

Hodler blickte der Sekretärin nach, die das Zimmer umgehend verließ, und er erinnerte sich verwundert, dass die Empfangsdame in der Halle goldfarbige Härchen an ihren gebräunten Beinen gezeigt hatte. Miss Douglas trug undurchsichtige Nylonstrümpfe. Welch unterschiedliche Geschöpfe leben doch zuweilen unter einem Dach! Hodler wandte sich Oates zu, der bereits die Bourbonflasche entkorkte. „Bitte nur einen symbolischen Schluck, Mister Oates“, bat der Schweizer. „Ich bin nicht gewohnt, Alkohol zu trinken.“

Er stieß mit Oates an, sich wieder einmal über die US-amerikanische Gewohnheit wundernd, mit Schnapsgläsern anzustoßen, und begann: „Sie sind gewiss auf meinen Besuch vorbereitet worden?“

Oates nickte. „Ich wusste, dass Sie kommen würden.“

„Man hat mir geraten, Sie aufzusuchen“, erklärte Hodler. „Genauer gesagt, es war der Sekretär unserer Kommission, der mir riet, Ihre Hinweise an Ort und Stelle zu hören.“

Oates ließ ihm Zeit, zu erläutern, aus welchem Grund er nach Afghanistan gekommen war. Hodler tat es mit einer Knappheit und Präzision, die Oates überraschte. Dieser Mann war ganz sicher kein schrulliger Gelehrter. Er nahm seine Aufgabe ernst. So musste man zumindest sein Auftreten werten.

„Sie wissen, dass sich unsere Kommission im internationalen Rahmen mit der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs beschäftigt“, legte Hodler dar. „Dabei haben wir nichts mit den Polizeimaßnahmen und der vom Zoll getragenen Fahndung zu tun. Wir analysieren die Art der Drogen, wir stellen fest, woher sie kommen und warum. Auf der Grundlage dieser Kenntnisse versuchen wir dann, über andere Institutionen Abhilfe zu schaffen. Unserer Meinung nach war bereits der Anbau der Droge ein Phänomen, das ganz konkrete, jeweils verschiedene soziale Ursachen hat. Hier setzen wir an. Wir forschen, und wir schlagen Veränderungen vor, die auf den ersten Blick oft gar nicht in Zusammenhang mit der Droge stehen, die aber doch auf lange Sicht dazu führen können, das Übel an der Wurzel zu bekämpfen.“

Er verriet Oates damit nichts wesentlich Neues, denn der war von seiner Zentrale bestens informiert worden. Mit einer Miene, die angespanntes Interesse ausdrückte, versicherte er: „Ich werde Ihnen natürlich nach Kräften helfen, Mister Hodler. Wenn Sie mir sagen, was ich für Sie tun kann, will ich zusehen, dass Ihr Aufenthalt hier die Erkenntnisse für Sie bringt, die Sie suchen.“

Hodler bedankte sich. „Das wird meine Arbeit sehr erleichtern. Wenn Sie gestatten, würde ich gern von Ihnen hören, wie Sie die Lage sehen. Nach unseren Informationen stammt bis zu achtzig Prozent allen Rohopiums, das später in Form von Heroin auf den illegalen Drogenmarkt gelangt, aus Anbaugebieten, die in Afghanistan liegen. Können Sie das bestätigen?“

„Nicht ganz. Zunächst bin ich skeptisch, was die Menge betrifft. Der Anbau ist hierzulande von den Behörden stark eingeschränkt worden.“

„Wir haben insgesamt eine Jahresmenge von etwa dreißigtausend Tonnen registriert“, warf Hodler ein. „Zusammengesetzt aus dem Teil, der als Rohopium ausgeführt wird, und dem bereits zu Heroin veredelten Endprodukt.“

Oates schüttelte den Kopf. Er lächelte verbindlich, als er einschränkte: „Mister Hodler, bei diesen Zahlenangaben wird meist etwas übertrieben. Ich verstehe das, aber wenn Sie Ergebnisse erreichen wollen, sollten Sie sich an die von uns geprüften Fakten halten. Sie entsprechen ungefähr der tatsächlichen Lage.“

„Sie halten die Jahresmenge, die ich nannte, für zu hoch?“

„Entschieden“, erwiderte Oates. „Sie würden diese Menge im ganzen Land nicht vorfinden.“

„Nun ja“, räumte Hodler ein, „ich vergaß zu erwähnen, dass die Kommission natürlich nicht den Nachweis führen kann, dass diese Menge ausschließlich in Afghanistan angebaut wird. Man vermutet, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil über die unübersichtlichen Grenzen im Nordosten des Landes einsickert und nur von Afghanistan aus weitervertrieben wird.“

„Auch in dieser Hinsicht würde ich vorsichtig sein. Natürlich gibt es im Nordosten diesen kleinen Handel über die kaum kontrollierten Grenzen. Doch nach allem, was ich weiß, kommt dabei die von Ihnen genannte Menge nicht im Entferntesten zusammen. Bedenken Sie bitte, dass die Ausfuhr aus Afghanistan nicht gerade leicht ist. Die Zollbestimmungen sind in dieser Beziehung sehr streng.“

„Und Sie glauben nicht, dass sie umgangen werden?“

Oates wog den Kopf. Während Hodler zu sprechen begonnen hatte, war er an seinen Schreibtisch gegangen und hatte die Zigarre angebrannt, die er sich zurechtgelegt hatte. Nun blies er Rauchringe in die Luft und meinte nachdenklich: „Umgangen schon. Aber nicht in der von Ihnen angedeuteten Ausdehnung.“

Hodler lächelte. „Es wird für Sie interessant sein, dass wir in der Kommission ähnliche Überlegungen angestellt haben. Wir kamen zu dem Schluss, dass selbst in diesem Land Zollbestimmungen nicht in einem solchen Ausmaß umgangen werden können. Da sind wir also einer Meinung mit Ihnen. Nur haben wir den Verdacht, dass es gewissen Personen hierzulande möglich sein muss, größere Mengen Rohopium außer Landes zu bringen, entweder auf Grund ihrer Stellung, ihres Einflusses oder mit Hilfe von Bestechungsmanipulationen. Wir bekamen Hinweise, dass sich sehr hohe Militärs, Beamte, ja sogar Diplomaten mit diesem Geschäft befassen sollen, ähnlich wie das vormals in Südvietnam der Fall war.“

Oates wurde ernst, er riet: „Ich würde mich an Ihrer Stelle auf solche Vermutungen nicht verlassen. Verdächtigungen dieser Art gab es oft. Doch soweit ich weiß, sind sie nicht nachzuweisen.“

Hodler überlegte einen Augenblick, ehe er fragte: „Wenn ich Sie richtig verstehe, Mister Oates, halten Sie es nicht für wahrscheinlich, dass Rohopium in der von der Kommission bezifferten Menge aus Afghanistan ausgeführt wird? Wovon übrigens lediglich sechs Tonnen von den Grenzbehörden abgefangen werden.“

Oates nickte bedächtig. „Das wollte ich sagen, ja.“

„Sie halten es auch nicht für möglich, dass diese Mengen hier erzeugt werden? Oder über die Grenzen einsickern?“

Er ist hartnäckiger, als ich dachte, stellte Oates für sich fest.

Er lehnte sich zurück und setzte zu einer Erklärung an, die er sich zuvor für diesen Fall zurechtgelegt hatte. „Sehen Sie, Mister Hodler, bei der Untersuchung dieser Angelegenheit muss man viele Faktoren berücksichtigen. Ich will Ihnen das ein wenig erläutern, weil Sie sicher nicht gerade viel über dieses Land wissen. Da ist zunächst der Umstand, dass große Landstriche, insbesondere der Nordosten, im gewissen Sinne unsichere Gebiete sind. Dort oben gibt es beispielsweise tadschikische Stämme, die seit einiger Zeit islamistischen Einflüssen unterliegen. Es hat etliche Rebellionen gegeben. Die Regierung ist eingeschritten, aber sie hat keine Möglichkeit, dieses Gebiet völlig zu kontrollieren. Wenn ich sage, man hat es sozusagen durch einen `cordon sanitaire´ abgeriegelt, dann ist das sicher zu hoch gegriffen. Doch allein die Tatsache, dass man es dort oben mit staatsgefährdenden Einflüssen zu tun hat, bewirkt natürlich eine ständige Kontrolle alles dessen, was von da kommt oder dorthin geht. Können Sie sich vorstellen, wie schwer es ist, unter diesen Bedingungen Tonnen von Rohopium aus solch einem Gebiet herauszubringen?“

Hodler hatte ihm aufmerksam zugehört. Er bestätigte: „In der Tat sollte es sehr schwer sein.“

„Ist es auch“, betonte Oates. „Zum anderen müssen Sie berücksichtigen, dass die Leute in den Bergen natürlich Opium anbauen. Doch nach meinem Wissen verbrauchen sie es im Wesentlichen für sich selbst. Das hängt damit zusammen, dass ihre Ernährung schlecht ist und auch die medizinische Betreuung. In den Bergen gibt es kaum einen Bewohner, der nicht von jung auf Opium in irgendeiner Form zu sich nimmt, regelmäßig oder sporadisch. Vermutlich orientiert sich Ihre Kommission an diesem Sachverhalt. Das müssen Sie berücksichtigen.“

„Sie meinen also, dreißigtausend Tonnen jährlich können nicht aus den Mohnanbaugebieten Afghanistans kommen?“

„Ich halte das auf jeden Fall für sehr unwahrscheinlich.“

„Und woher kommen sie dann?“

Oates hatte auf diese Frage gewartet. Er antwortete bedächtig: „Mister Hodler, wenn Ihnen an einem Tipp gelegen ist, dann würde ich Ihnen raten, einmal das östliche Nachbarland etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.“

„Pakistan?“

Oates nickte. „Hierzulande weiß man, dass in den nordwestlichen Bezirken Pakistans ganz erhebliche Mengen Opium angebaut werden. Besonders in den Grenzgebieten zu Afghanistan, in denen solche Stämme leben wie die Paschai, die Nuristani und die Gujar. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass die pakistanische Regierung ihr Land ziemlich isoliert hat. Ein pakistanisches Einreisevisum ist heute mehr wert als eine Aktie bei Ford. Warum ist das so? Man will sich nicht hinter die Kulissen schauen lassen. So etwas hat immer seinen Grund. Und denken Sie auch an die verschiedenen Parteien des Kaschmirkonflikts und ihren Finanzierungsbedarf. Wenn Sie mich fragen – ich bin nicht der einzige, der annimmt, dass die Quelle, die Sie in Afghanistan vermuten, sich in Pakistan befindet.“

Warum belügt mich dieser Mann, fragte sich Hodler unvermittelt. Er hörte Oates weiter mit interessierter Miene zu, doch er überlegte, was seinen Gesprächspartner veranlassen könnte, ihn von dem abzulenken, was er untersuchen wollte. Pakistan! Hodler war versucht, den Kopf zu schütteln. Offenbar denkt er, dass ich schlecht informiert bin. Soll er es ruhig weiter glauben! Wer sich auch nur im entferntesten mit den Verhältnissen in diesem Teil Asiens beschäftigt, der weiß längst, dass Stämme wie die Pamiri oder die Nuristani seit Jahren in Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung Pakistans leben, mit dem Ziel der Abtrennung ihrer Stammesgebiete von Pakistan. Aus welchem Grund sollten die Rebellen in Pakistans Nordwestgebieten ausgerechnet der Zentralregierung, die sie bekämpfen, ihr Opium zum Weiterverkauf anbieten? Eine absurde Idee. Tauglich nur, um Leute irrezuführen, die überhaupt nichts von dem begriffen haben, was heute in Mittelasien vor sich geht. Warum also will dieser Mr. Oates mir ausreden, was eine Kommission von gut informierten Leuten in jahrelanger intensiver Kleinarbeit zusammengetragen hat? Deckt er jemanden? Und wenn ja, wen? Oder deckt er sich selbst? Doch warum? Er ist der Leiter dieser offiziellen US-amerikanischen Dienststelle!

Schließlich äußerte der Professor: „Sie haben mich da auf einen interessanten Aspekt hingewiesen, Mister Oates. Ich werde das zu überlegen haben.“ Er hob in einer hilflosen Gebärde die Hände. „So ist das manchmal! Man hat seine Theorien, und man hat seine Voreingenommenheiten, aber sobald man sie an der Realität erproben will, erweisen sie sich als falsch.“

Oates lächelte. Er goss sich ungeniert einen weiteren Bourbon ein, blies ein paar Rauchkringel in die Luft und sagte obenhin: „Nun ja, das ist verständlich. Wir, die wir hier leben, haben doch einen besseren Einblick in die Dinge.“

„Sie sind schon lange hier?“

„Jahre. Wissen Sie, wir haben die Aufgabe, industrielle Kooperationsvorhaben zu koordinieren. Das ist eine langfristige Sache. Kein aufregender Betrieb wie in einer Tageszeitung. Und es zahlt sich aus, wenn man das nicht nur kurze Zeit macht, sondern eben über viele Jahre, weil man dann erst das richtige Fingerspitzengefühl bekommt.“

„Fingerspitzengefühl brauchen Sie dafür sicher“, meinte Hodler. Er gab sich Mühe, es nicht ironisch klingen zu lassen.

Was war das für ein Mensch? fragte sich der Schweizer. Ich weiß nicht mehr von ihm als das, was mir der Sekretär der Kommission gesagt hat: ein Mann, der im Regierungsauftrag in Kabul ist. Ein Mann mit viel Einfluss und mit guten Kenntnissen über Land und Leute, genauen Kenntnissen, und mit Verbindungen, besten Verbindungen. Aus dem Mund des Sekretärs hatte es so geklungen, als gebe er Hodler nicht einfach den Rat, sich an Oates zu wenden, sondern als erwarte er, dass der Professor das tue. Hodler hatte durch eine Zwischenfrage erfahren, dass der Sekretär diesen Mr. Oates nie im Leben gesehen hatte. Wer also hatte ihn angewiesen, einen Mann, der im Auftrag der Kommission nach Kabul reiste, bei diesem Mr. Oates anlaufen zu lassen? Man könnte zur US-amerikanischen Botschaft gehen und sich erkundigen, was von Oates zu halten ist. Doch das würde wenig nützen. Wer weiß, auf wen man dort trifft. Oder zur Botschaft der Schweiz? Auch nicht sehr sinnvoll. Auf jeden Fall muss es einen Grund dafür geben, dass Mr. Oates versucht, meine Aufmerksamkeit von dem Opium, das hierzulande produziert und weiterverhökert wird, abzulenken und mir einzureden, dies alles wäre nur in Pakistan aufzuklären. Ausgerechnet in einem Land, das den Opiumanbau ebenso wie den Konsum der Droge seit der Unabhängigkeit verboten hat und nachweisen kann, dass dieses Verbot respektiert wird, außer in jenen Gebieten, die sich im Aufstand gegen die Regierung befinden.

Die Territorien der Aufständischen aber grenzen an Afghanistan. Und Mr. Oates beschwört für die Regionen in Afghanistan, an die sie grenzen, die islamistische Gefahr, um rechtzeitig darauf aufmerksam zu machen, dass es unmöglich ist, an Ort und Stelle Nachforschungen zu betreiben. Liegt es daran, dass dieser Mann schon jahrelang in Kabul lebt, dass er mich für so naiv hält, ihm das zu glauben?

„Ich denke“, sagte er langsam, „ich sollte mir noch einen weiteren Rat bei Ihnen holen.“

Als Oates ihn freundlich aufforderte: „Aber bitte!“, erkundigte sich Hodler: „Halten Sie es für möglich, dass ich für ein paar Tage in eine dieser Gegenden reise? Ich denke an den Nordosten des Landes, jene Gebirgsgegend, in der wir besonders viele und ertragreiche Felder mit Mohn vermuten und die Produzenten dazu?“

Oates zog die Brauen hoch. „Wie alt sind Sie?“

„Fünfundfünfzig.“

Der US-Amerikaner zuckte die Schultern. Was er sagte, klang besorgt. „Raten würde ich Ihnen das nicht. Es ist eine Strapaze, die selbst jungen Menschen arg zu schaffen macht. Wüstenei und Gebirge, das ist eine tödliche Mischung. Kaum Wege. Kein Trinkwasser. Riesige Entfernungen von einer Siedlung zur anderen. Und dazwischen eine Menge unmittelbarer Gefahren.“

„Sie kennen die Gegend?“

„Nicht besonders gut“, schränkte Oates vorsichtig ein. „Auch ich muss mir überlegen, was ich mir noch zumuten kann. Doch abgesehen davon, würde eine solche Reise nutzlos sein. Niemand würde Ihnen dort die Antworten geben, auf die Sie aus sind. Sie würden so gut wie nichts erfahren. Sie riskieren höchstens, dass jemand sich durch Ihre Neugier gefährdet wähnt und Ihnen von hinten eine Kugel in den Kopf schießt.“

„Keine schöne Vorstellung“, sagte Hodler trocken. „Dies scheint ein Land mit rauen Sitten zu sein!“

„Das ist es. Lassen Sie sich nicht durch Äußerlichkeiten täuschen. Zwanzig Kilometer um Kabul herum wird immer noch nach der Methode verfahren, zuerst zu schießen und danach Fragen zu stellen.“

Er ist ein Fuchs, überlegte Hodler. Er weiß genau, wohin er mich haben will. Jedenfalls nicht dorthin, wo ich Aufschluss über das bekommen könnte, was mich hergeführt hat. Er erhob sich. „Ich habe Ihnen sehr zu danken.“

„Aber, ich bitte Sie“, wehrte Oates bescheiden ab. „Das ist eine Selbstverständlichkeit. Sind Sie gut untergebracht?“

„O ja, sehr anständig.“

„Sie sollten sich den alten Königspalast ansehen. Einmalig! Und völlig ruiniert! Dafür gibt es jetzt das ähnlich mit Zinnen und Türmchen verzierte Regierungszentrum.“

„Ich werde es mir ansehen, sobald ich Zeit finde.“

„Und dann kann ich Ihnen einen Besuch des großen Bazars empfehlen. Reizvoll. Das letzte bisschen Exotik der Hauptstadt, sagen viele.“

„Klingt interessant.“

„Am Ghargha-See sollten Sie mal einen Tag am Strand verbringen. Ein herrliches Gefühl, goldglitzerndes Sonnenlicht auf tiefblauem Seewasser.“

Hodler lächelte. „Ich werde mich ganz gewiss nicht langweilen! Vorhin habe ich mir einen Stadtplan besorgt. Natürlich finde ich mich noch nicht zurecht, doch auf der Rückseite des Plans stehen einige Worte in der Landessprache, Farsi glaube ich, die habe ich mir auf der Fahrt zu Ihnen bereits eingeprägt.“

„Ehem“, machte Oates, „Sie sind sprachbegabt?“

„Ich fiel meinen Lehrern bereits als kleiner Junge auf, weil ich mit fremden Sprachen keine Schwierigkeiten hatte.“

„Nun, dann lernen Sie schnell noch Dari, aber vor allem Pashto.“

Hodler bedankte sich höflich. „Nützlicher kleiner Sprachkurs auf dem Stadtplan übrigens: lotfan heißt `bitte´ wie auch bas, tashakor: `danke´, dostet darum: `Ich liebe dich´, maghbool: `schön´ und zendagi migzara: `Das Leben geht weiter´. Sehr hübsch. Doch wenn man nach diesem Vokabular urteilen soll, birgt die Hauptstadt nicht im Entferntesten jene Gefahren, die Sie mir für den Nordosten vorausgesagt haben!“

Oates lachte. „Sie birgt andere. Süßere, wenn man so sagen darf!“

Hodler schüttelte ihm die Hand. „Was Doppelbett heißt, weiß ich seit kurzem auch schon. Ich habe es wieder vergessen. Mister Oates, ich danke Ihnen. Sie haben mir sehr geholfen.“

„Ich hoffe, ich sehe Sie noch einmal“, gab Oates zurück. „Vielleicht vor Ihrer Abreise?“

„Da bin ich ganz sicher. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin unbekannterweise.“

Oates nickte nur und öffnete die gepolsterte Tür. Er winkte Miss Douglas, die schnell ihr Taschentuch einsteckte und sich erhob, um Hodler hinauszubegleiten.

Allein in seinem Zimmer, blieb Oates stehen. Er überlegte ein paar Minuten, strich sich mit der Hand durch seine hellblonden Haarwellen. Nach einer Weile lachte er auf und schüttelte den Kopf. Weiß der Himmel, da hat diese komische Kommission mir ja einen seltsamen Heiligen auf den Hals geschickt! Doppelbett! Nicht einmal ich habe bisher gewusst, wie das heißt. Er wurde wieder ernst, ging zu seinem Schreibtisch und stellte das Bandgerät ab. Dann drückte er auf eine Taste an seinem Sprechgerät und sagte: „Everett, kommen Sie zu mir.“

Afghanistan Dragon

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